Frankreich im WM-Viertelfinale:Liberté, Egalité, Mbappé

Lesezeit: 4 min

Kylian Mbappé (l.) feiert das Tor zum 3:2. (Foto: AFP)
  • Frankreich erreicht das WM-Viertelfinale durch ein 4:3 (1:1) gegen Argentinien.
  • In einem spektakulären Spiel treffen Griezmann, Pavard und zwei Mal Mbappé für Frankreich und di Maria, Mercado und Agüero für Argentinien.
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Von Martin Schneider, Kasan

Wer über dieses Spiel reden will, muss über Geschwindigkeit reden. Über ein Tempo, das mit den Sehgewohnheiten brach, über Sprints, die aussahen, als würden sie die Raum-Zeit dehnen, über einen Spieler, der in Bruchteilen nur noch als dunkelblau-weißer Schleier zu erkennen war. Wer über dieses WM-Achtelfinale zwischen Frankreich und Argentinien reden will, der muss über einen 19-Jährigen reden, der mehr Naturphänomen als Fußballer ist. Wer über dieses 4:3 der Franzosen reden will, muss über Kylian Mbappé reden.

Es begann in der zehnten Minute. Zehn, vielleicht 15 Meter vor dem Sechzehner der Franzosen stand Kylian Mbappé und sah, wie dem Argentinier Ever Banega der Ball versprang. Und dann sprintete Kylian Mbappé los. Er lief an Nicolas Tagliafico vorbei, er lief an Javier Mascherano vorbei, er wurde schneller und schneller, er sah aus, als hätte jemand in einem Computerspiel einfach einen Spieler auf doppelte Geschwindigkeit programmiert. Als er auf Marcos Rojo zulief, warf der sich vor Mbappé, aber es war, als wollte man eine Gewehrkugel fangen. Der Argentinier schaffte es nur noch, diesen Sprint mit Schallgeschwindigkeit bei Meter 70 zu stoppen. Mbappé fiel, und weil er im Sechzehner fiel, gab es Elfmeter. Antoine Griezmann verwandelte sicher.

Am Ende des Spiels hatte Mbappé dann noch zwei Tore erzielt, in Frankreich wird es nun Liberté, Egalité, Mbappé heißen. 180 Millionen Euro zahlte Paris Saint-Gemain an AS Monaco für dieses Talent, das erscheint nun als ziemliches Schnäppchen. Er war der herausragende Mann dieses denkwürdigen Spiels in der Arena von Kasan.

Eine Partie, die auch deswegen spektakulär wurde, weil die Franzosen nach der Führung lethargisch wurden. Das Team von Didier Deschamps hatte nach 13 Minuten eine 1:0-Führung im Rücken und immer noch diesen Schnellzug auf dem Platz. Nach einem langen Ball beschleunigte Mbappé wieder schneller, als jeder Argentinier das erwartet hätte. Diesmal war es Tagliafico, der ihn foulte, knapp vor dem Sechzehner. Paul Pogba vergab den anschließenden Freistoß zu lässig. In der neunten Minute hatte Griezmann noch per Freistoß die Latte getroffen.

Frankreich überließ Argentinien nach der Führung den Ball und die Mannschaft war damit sensationell überfordert. Denn sie hatte keinen Stürmer, den sie finden konnte: Sergio Aguero, 21 Tore in der englischen Premier League: Saß auf der Bank. Gonzalo Higuain und Paulo Dybala, zusammen 38 Tore in der Serie A: Saßen auf der Bank. Auf dem Platz stand vorne die heilige 10, dem sich diese Mannschaft anvertraut, man könnte auch sagen: ausgeliefert hat. Es kursiert ein Video aus dem letzten Spiel, da fragte Sampaoli Messi, ob er Kun, also Sergio Aguero bringen solle. Zur Erinnerung: Sampaoli ist der Trainer, Messi der Spieler. Als Sampaoli auf die Szene angesprochen wurde, widersprach er der Darstellung nicht.

Die von wem auch immer aufgestellte argentinische Mannschaft hatte nach dem Tor von Frankreich also den Ball, wusste aber erschreckend wenig damit anzufangen. In der 27. Minute kam Gabriel Mercado zum Schuss, der französische Verteidiger Samuel Umtiti war mit der Hand dran, aber es gab keinen Elfmeter und der Schuss war auch nicht so gut. Vorne war kein Stürmer und so hatte das argentinische Spiel kein Ziel.

Frankreich überließ dem Gegner den Ball und rechnete offensichtlich damit, dass da nichts mehr passiert. Irgendwann halt wieder TGV-Tempo über den Wundersprinter, so die Devise. Der Stuttgarter Benjamin Pavard brachte zweimal zwei Flanken für Olivier Giroud, aber sonst passierte nicht viel und Argentinien hatte offensichtlich auch keinen Plan, Messi hatte in der 30. Minute ganze 15 Ballkontakte und exemplarisch für das Spiel stand eine Flanke von Rojo - unbedrängt schlug er sie in die Arme von Frankreichs Torwart Hugo Lloris. Es war kein Stürmer im Sechzehner.

Dann kam die erste Wende und der erste Kunstschuss des Spiels: Nach einem Einwurf spielt Banega den Ball zu Angel Di Maria, der steht vor dem Sechzehner, ziemlich genau an der Stelle, an der Mbappé zu seinem Sprint vor dem 1:0 startete. Weder Paul Pogba, noch N'Golo Kanté rückten raus und so schaute Di Maria und schoss halb, halb zog der die Kugel mit seinem linken Fuß auf eine krumme Flugbahn. Der Ball drehte sich immer weiter ins Eck, er wurde länger und irgendwann zu lang für Frankreichs Torwart Hugo Lloris. Es war der erste Schuss von Argentinien aufs Tor - 1:1 (41.).

Mit dem zweiten Schuss von Argentinien aufs Tor fiel dann die Führung. Messi, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht stattfand außer als Hoffnung und Versprechen, schoss mit dem linken Fuß. Mercado stand in der Flubahn, wollte den Fuß noch zurückziehen, schaffte es nicht, und fälschte so unhaltbar für Lloris ab (48.). Zweites Tor mit dem zweiten Torschuss, Argentinien führte in einem Spiel, in dem es bisher ziemlich hilflos wirkte.

Aber dann entschied Frankreich einfach wieder, an diesem Spiel teilzunehmen. Paul Pogba übernahm das Kommando, Frankreich nahm nun selbst den Ball und dann war da neben Mbappé auch noch ein Spieler vom VfB Stuttgart. Eine Flanke von Blais Matuidi segelte quer durch den argentinischen Strafraum, es war kein Franzose da, um sie zu verwerten. Auf der rechten Seite kam dann Benjamin Pavard, er legte seinen Oberkörper leicht in die Waagerechte und gab dem Ball mit seinem rechten Fuß eine - man muss das so sagen - wunderschöne Rotation. Der Schuss sauste mit der Geschwindigkeit eines laufenden Mbappés ins Tor (57.) und die Chance, dass Pavard auch kommende Saison Spieler des VfB Stuttgart sein wird, sanken.

Dann kam wieder Mbappé. Das 3:2 erzielte er, weil er nach einem abgeblockten Schuss von Paul Pogba - natürlich - schnellerr reagierte als alle anderen und Argentiniens Torhüter Armani beim abtauchen auch nicht so gut aussah (64.). Das 4:2 (68.) erzielte Mbappé er nach einem Konter, Giroud legte ihm den Ball auf, er lief über rechts durch, der eingewechselte Federico Fazio kam zu spät, Mbappé schob mit rechts ein.

Als er in der 90. Minute ausgewechselt wurde, ging er ganz langsam vom Platz. Jeder Franzose applaudierte und die vielen Argentinier im Stadion, die hätte wohl auch gerne geklatscht. Aber dann kam die Hoffnung plötzlich zurück. Der eingewechselte Sergio Aguero traf noch zum 4:3 (93.) - eine Chance hatte Di Maria dann tatsächlich noch zum 4:4. Aber dann wa dieses irre Spiel vorbei. Es waren wohl die letzten Sekunden des Lionel Messi bei einer WM.

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