Formel 1 in Kanada:Vettel begrenzt den Schaden

Lesezeit: 4 min

Es lief nicht wirklich gut für Sebastian Vettel in Kanada. (Foto: AP)
  • Lewis Hamilton gewinnt den Großen Preis von Kanada, der WM-Führende Sebastian Vettel wird nur Vierter.
  • Nach einer Kollision kurz nach dem Start muss Vettel früh an die Box und verliert viel Zeit.
  • Eine beherzte Aufholjagd begrenzt den Schaden.

Von Philipp Schneider, Montréal

Dafür, dass auch an diesem Rennwochenende ganz schön viel über die Probleme bei Mercedes diskutiert worden war, sah es am Ende ganz gut aus für die Stuttgarter: Der Sieger Lewis Hamilton wickelte sich vor Freude eine britische Fahne um den Helm. Und Valtteri Bottas grinste sogar ein bisschen, als er von Sir Patrick Stewart interviewt wurde, dem Captain Jean-Luc Picard vom Raumschiff Enterprise. Okay, wer grinst da nicht? Aber es war auch so: Zwei Mercedes-Piloten auf den Plätzen eins und zwei. Und wo war Sebastian Vettel?

Nun, nicht auf dem Podium. Nur auf Platz vier. Seine WM-Führung war von 25 auf zwölf Punkte geschrumpft. Allerdings war das eine beachtliche Leistung, nachdem Vettel früh seinen Frontflügel verloren hatte. "Das sind sehr wertvolle Punkte für mich, ich bin dem Team sehr dankbar und freue mich riesig", sagte Hamilton. Doch der Reihe nach.

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Zwei Mercedes liegen in Montreal vorne. Dahinter liefert sich Sebastian Vettel einen großen Kampf, der mit Rang vier belohnt wird.

In dieser Woche in Kanada hatten die Techniker, Verantwortlichen und Fahrer bei Mercedes noch immer über die komplexe Beziehung ihres Autos zu den Reifen gerätselt. Die Temperatur der Gummimischungen ins entsprechende "Fenster" zu bekommen, ist die Kunst in dieser Saison. Doch während dieses Fenster bei Ferrari bemessen ist wie das Panoramadach einer siebensitzigen Familienkutsche, ist es bei Mercedes so klein wie das Guckloch an der Pforte einer Spelunke in St. Pauli. Mal sind die Reifen zu warm, dann wieder zu kalt, mal bereiten nur die Hinterräder Probleme, dann wieder die Vorderräder. "Manchmal", sagte Hamilton in Kanada, fühlten sich die Reifen "wie taub" an. Wie taub. Als sei der Reifen nicht nur verwachsen mit seinem Wagen, sondern sogar mit dem Fahrer. Und was soll man sagen? Bei Hamilton ist das ja nicht einmal ausgeschlossen.

In Montréal gelang Hamilton die 65. Pole Position seine Karriere - nun ist er so gut wie Ayrton Senna

Denn als es darauf ankam, presste er seinen Mercedes durch das Guckloch, legte im Qualifying am Samstag eine Fabelrunde hin, war 0,33 Sekunden schneller als der WM-Führende Vettel. Und weil diese Runde die 65. Pole Position seiner Karriere bedeutete, womit er mit Ayrton Senna gleichzog, bekam er auch noch einen gelben Helm mit grünem Streifen überreicht. Einen Helm, wie ihn Senna getragen hatte. "Ich zittere", sagte Hamilton.

Qualifying ist das eine, ein ganzes Rennen das andere. Dort entscheidet, gerade in Montréal, sehr oft der Start.

Einsamer Sonntagsausflug: Lewis Hamilton fährt auf seiner Paradestrecke in Montréal zu einem Start-Ziel-Sieg. (Foto: Mark Thompson/AFP)

Hamilton kam gut weg, Vettel eigentlich auch. Allerdings lange nicht so gut wie Max Verstappen, der von Platz fünf startend noch in der ersten Kurve vorbei spurtete am Deutschen. Wobei er, das war der Preis, über den rechten Teil des Frontflügels des Ferrari rumpelte. Möglicherweise wurde Vettel dabei so irritiert, dass er auf der linken Seite auch noch Valtteri Bottas passieren ließ. Er sagte: "Ich war in der ersten Kurve zur falschen Zeit am falschen Ort." Nach der zweiten Kurve lag Vettel nur noch auf Platz vier, was für Hamilton bedeutete: Er hatte zwei Wagen Puffer zwischen sich und seinen ärgsten Rivalen gebracht. Und weil weiter hinten Carlos Sainz jr. in den Williams von Felipe Massa krachte, bog das Safety Car auf die Piste. Als es darauf wieder mit Tempo weiterging, gab Vettels Flügel ein geradezu jämmerliches Bild ab. Er sah ein bisschen aus wie eine von Jürgen Klinsmann umgewemste Werbebande. Trist abgeknickt, irgendwie.

Vettel rollte also zur Reparatur an die Box, zog sich bei der Gelegenheit gleich ein neues Paar Reifen auf. Die mittlere Mischung, mit der er, so die Theorie, würde durchfahren können bis zum Ende. Dann sortierte er sich im Mittelfeld ein. Weil aber selbst die Formel 1 manchmal gerecht ist, ballte Verstappen kurz darauf seine behandschuhten Hände zu kleinen Fäusten des Zorns. Verstappens Red Bull wurde erst langsam. Dann immer langsamer. Ehe er schließlich so langsam war, dass ihn der Niederländer am Straßenrand abstellen musste. Motorschaden in Runde elf.

Nach 20 von 70 Umdrehungen vergaßen die Herren in der Mercedes-Box erstmals für längere Zeit die leidigen Probleme mit den Reifen: An der Spitze gab es nun ein Bild, das sie verzückte: Vorne kreiste Hamilton vor Bottas - und Vettel lag nur auf Position zehn. Zudem funkte der WM-Führende an seine Box, dass er auch mit dem neuen Flügel noch Probleme habe. Allerdings belegte seine Geschwindigkeit diese Beobachtung nicht wirklich. Nach 26 Runden lag Vettel schon auf Position acht, nach 30 auf sieben. Er betrieb jetzt Schadensbegrenzung.

In Runde 24 ließ sich Bottas einen neuen Satz Pneus aufziehen - nur die drittweichste Mischung, mit der er in jedem Fall würde durchfahren können. An der Spitze lag Hamilton, dahinter hielt sensationell der 20 Jahre alte Esteban Ocon in seinem Force India mit, der sich nun - genau wie Hamilton noch ohne Boxenstopp - vorübergehend zwischen die zwei Mercedes geschoben hatte.

Erste Besorgnis ermächtigte sich Hamiltons kurz darauf, angesichts jener überaus entzückenden, wenngleich unverhofft deutlichen Führung vor Vettel: Der immer schneller rollende Ferrari werde ja wohl nicht, funkte Hamilton an seine Strategen, er werde also doch nicht allen ernstes durchfahren mit seinem alten Satz Reifen? Oh doch, antworteten die Strategen.

Ferrari und Vettel entschieden anders.

Noch einmal zogen sie frische Reifen auf, um eine kleine Aufholjagd zu starten. Die Kalkulation war: Die Reifen des Red Bull von Daniel Ricciardo und der zwei Force-India-Piloten, die noch zwischen Vettel und den silbernen Rennwagen an der Spitze lagen, würden noch deutlich schlechter werden. So kam es. "Du bist der Schnellste auf der Strecke, mach weiter so", funkten ihm die Ingenieure. Also machte Vettel weiter so, und mit einem Gewaltmanöver, bei dem er Ocon von der Piste scheuchte, rollte er erst vor auf Platz fünf, dann noch auf vier. Mehr war nicht drin.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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