Mercedes in der Formel 1:Die Diva zickt

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Anspruchsvoller Bolide: Das Team von Mercedes bekommt Lewis Hamiltons Fahrzeug in dieser Saison nur schwer in den Griff. (Foto: dpa)
  • Mercedes könnte beim Grand Prix von Montreal den Anschluss an WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel verlieren.
  • Das Auto ist so kompliziert, dass es nicht mal die eigenen Techniker richtig verstehen.

Von Elmar Brümmer, Montreal

In dem Moment, als Lewis Hamilton zum Probesitzen erscheint, fungiert der Frühsommerhimmel über der Ile de Notre-Dame wie ein natürlicher Weichzeichner. Die Spiegelung in Hamiltons Sonnenbrille zeigt ein schwarz-weißes Renn-Karo. Der Mercedes-Pilot lässt genau dort Porträtbilder von sich machen, wo er beim 50. Großen Preis von Kanada hin will: Auf dem Podium des Circuit Jacques Villeneuve in Montreal, oberste Stufe, selbstredend. Das Ziel des Briten ist klar: WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel, der nach sechs Läufen schon 25 Punkte Vorsprung hat, nicht noch weiter enteilen zu lassen.

Dem Rennen, das er schon fünf Mal gewonnen hat, kommt vorentscheidende Bedeutung zu. Das überlegene Team der letzten drei Jahre hat eine kleine Krise durchlebt. Auf höchstem Niveau, gewiss. Aber dennoch ist Unsicherheit ein völlig ungewohntes Gefühl für die Silberpfeil-Fraktion.

So ganz neu ist das Problem mit den Reifen und die Tücke der Fahrzeugabstimmung beim Konzernrennstall nicht. Es erscheint lediglich je nach Klimaverhältnissen und Asphaltbeschaffenheit immer wieder anders. Das macht es so schwer zu greifen. Die Reifen in das optimale Temperaturfenster zu bekommen ist der entscheidende Faktor in dieser Saison, und bei Mercedes ist dieser Bereich sehr klein und sehr schwankend. Oft von Runde zu Runde anders, wechselnd dazu noch zwischen den Vorder- und Hinterrädern. "Manchmal fühlten die Reifen sich gut, manchmal wie taub an", klagt Hamilton über die Differenzen.

Mercedes-Ingenieure werten das gesamte Datenmaterial der Saison neu aus

Vermutlich steckt die Tücke in der technischen DNA des Silberpfeils, die etwas zu anspruchsvoll gestaltet worden ist, wenn es selbst die Techniker nicht mehr richtig verstehen. Hamilton und Kollege Valtteri Bottas wünschen sich ein Wohlfühlauto, so gutmütig wie das vom Rivalen Vettel. Das kann auch Routiniers nervös machen, verbunden mit der Frage, ob Hamiltons siebter Platz in Monte Carlo nur ein Ausrutscher war oder Anzeichen für einen Trend liefert. Als "Diva" hat Teamchef Toto Wolff den W08 bezeichnet, und das hat für den Österreicher eine klare Konsequenz: "Es tut zwar weh, das zu sagen - aber momentan sind die anderen Favorit."

Ferrari setzt weiter auf eine aggressive Offensivtaktik, Sebastian Vettel hat bereits den vierten Motor im Einsatz, beim nächsten Wechsel setzt es dafür eine Strafversetzung in der Startaufstellung. Ganz ohne Anspannung ist also auch Ferrari nicht, allerdings ist die Grundstimmung nach dem Triumph von Monaco immer noch so positiv, dass sich Vettel bislang nicht mal mit den anstehenden Vertragsverhandlungen beschäftigt hat: "Dass wir bisher überall schnell waren ist das Wichtigste. Dieses Momentum müssen wir bewahren." Gereizt reagiert der vierfache Weltmeister nur, wenn behauptet wird, er habe es bei der Fahrzeugabstimmung leichter als Hamilton mit dem komplizierten Mercedes: "Das ist nicht fair! Es ist nie einfach, das Beste aus einem Auto herauszuholen. Wir arbeiten hart daran, aber wir tun das im Stillen." Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda gibt zu: "Die haben den Flow."

Zurückgezogen haben sich auch die Mercedes-Ingenieure, und sie haben innerhalb von einer Woche das Datenmaterial der ganzen Saison neu aufgearbeitet. Denn es scheint noch ernster als bei der letzten großen Rennreifen-Panne 2015 in Singapur. Damals wurde durch eine erhöhte Konzentration auf die Fahrzeugabstimmung das nächste Rennen gleich wieder gewonnen. Aber die veränderten Gummis und der Mercedes vertragen sich in dieser Saison generell schlechter. Es gebe eine Menge Dinge, die man von Rennen zu Rennen verändern könne, befindet der von Ferrari gekommene Technikchef James Allison, und verweist darauf, dass man bis Montreal die Hälfte der Rennen und vier von sechs Pole-Positionen gewonnen habe.

An eine Neukonstruktion des Formel-1-Autos über Nacht ist nicht zu denken, allein das Set-Up lässt radikale Veränderungen zu, allerdings auch mit dem zusätzlichen Risiko, sich noch weiter in die falsche Richtung zu bewegen. Am Auto wurde das Fahrwerk modifiziert, auf Sicht sollen Änderungen bei der Aerodynamik die Balance verstärken. "Manchmal ist es ein Ritt auf Messers Schneide", gibt Bottas zu.

© SZ vom 11.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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