Finale der Rugby-WM:Neuseeländer wenden Wirtschaftskrise ab

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Wie im Jahr 1840 fehlt den Franzosen wieder nur ein Wimpernschlag, um das große Rugby-Reich Neuseeland zu erobern. Sie verlieren das Endspiel der Weltmeisterschaft in Auckland unverdient mit 7:8. Den Gastgebern droht nun in neun Monaten ein Baby-Boom.

Sissi Stein-Abel, Auckland

Es gibt ein malerisches Gallier-Dorf in Neuseeland, Akaroa auf der Banks-Halbinsel nahe Christchurch. Französische Straßennamen und Flaggen erinnern daran, dass Neuseelands Südinsel eine französische Kolonie geworden wäre, hätte das Schiff mit den Siedlern aus der Grande Nation 1840 ein paar Tage früher angelegt und nicht erst die Tricolore gehisst, als die einheimischen Maori mit England gerade den Vertrag von Waitangi unterzeichnet hatten.

Am Sonntag fehlte fünfzehn wackeren Galliern wieder nur ein Wimpernschlag, um das große Rugby-Reich am anderen Ende der Welt zu erobern. Und sie hätten den ersten Weltmeistertitel für ihr Land verdient gehabt - so wenig sie es auch nach ihren beiden Vorrunden-Niederlagen und dem Duselsieg im Halbfinale gegen Wales verdient gehabt hatten, überhaupt im Endspiel gegen Neuseeland zu stehen. Aber was ist schon Gerechtigkeit?

Gerecht war der 8:7 (5:0)-Erfolg der All Blacks im Eden Park in Auckland nur mit Blick auf ihre jahrelange Vormachtstellung in diesem Sport, das gesamte Turnier, die Art, wie sie die schlimmsten Rückschläge wegsteckten.

Auch im Finale blieben sie davon nicht verschont. Aber sie überlebten und konnten nach einer erbittert geführten Partie den erstaunlich kleinen Webb-Ellis-Cup küssen, während die Franzosen ihre Silbermedaillen mit Leichenbittermienen entgegen nahmen. Einige Spieler weinten auch lange nach dem Abpfiff noch vor Enttäuschung.

"Ich kriege den Gedanken nicht aus meinem Kopf, dass wir dort oben stehen könnten", sagte Dritte-Reihe-Stürmer Julien Bonnaire. Der überragende Kapitän Thierry Dusautoir fand es "wirklich schade, dass es für uns nicht gereicht hat. Aber es ist gut für die All Blacks und das ganze Land." Für den Fall einer Niederlage hatten Wirtschaftsexperten in der rugby-verrückten Nation eine Verschärfung der Rezession vorhergesagt. Stattdessen droht nun ein Baby-Boom, so wie vor 24 Jahren, als neun Monate nach dem ersten Titelgewinn der All Blacks zehn Prozent mehr Kinder zur Welt kamen als sonst.

Die dazu nötige gute Stimmung war gestern bis zur letzten Sekunde des achtzigeinhalb Minuten langen Duells in Frage gestellt. Zwar begannen die Franzosen engagiert, doch sie brachten die All Blacks zunächst nie in Gefahr. Sie mussten sogar froh sein, dass sie zur Pause nur 0:5 hinten lagen. Diese fünf Punkte erzielte in der 15. Minute Tony Woodcock, der letzte Verteidiger, der nach einem Einwurf von Keven Mealamu in die Gasse den Ball hinter die Torlinie legte.

Finale der Rugby-WM
:Die tapfersten Verlierer der Welt

Eine Woche lang schimpfte die Rugby-Welt über den Finalisten Frankreich, der unverdient und nur durch Glück im Finale der Weltmeisterschaft stand. Doch dann bot der Außenseiter dem Gastgeber Neuseeland eine großartige Partie - und verlor in einem unvergesslichen Schauspiel denkbar knapp.

Ausgerechnet der sonst so überzeugende Gedrängehalb Piri Weepu kickte zwei Straftritte und einen Bonuskick meilenweit am Torgestänge vorbei. Das waren acht verschenkte Punkte, die den All Blacks bis zum Happy-End schmerzlich fehlten.

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Aber es kam noch schlimmer. In der 34. Minute verdrehte sich Verbindungshalb Aaron Cruden bei einem Tackle das rechte Knie und musste vom Platz. Damit reihte sich Spielmacher Nummer drei der All Blacks im Lazarett ein, nachdem im Laufe der WM Daniel Carter und sein Ersatz Colin Slade mit schweren Adduktorenverletzungen ausgefallen waren.

Spielmacher Nummer vier, Stephen Donald, den Trainer Graham Henry vor zwei Wochen aus dem Angelurlaub angefordert hatte, entpuppte sich als letztlich spielentscheidende Figur. Er schnappte sich nach der Pause bei einer Straftritt-Entscheidung (46.) den Ball und verwandelte zum 8:0. "Eigentlich hatte ich an diesem Wochenende andere Pläne", witzelte Donald.

Wenige Minuten später war Weepus rabenschwarzer Arbeitstag vorzeitig zu Ende. Besser wurde das Spiel der Blacks dadurch nicht. Ihre blinde Hoch- und Weitkickerei entlockte den Franzosen, die großartig verteidigten und beim Einwurf in die Gasse Fabelhaftes vollbrachten, allenfalls ein Lächeln. Doch der Versuch durch Kapitän Dusautoir (fünf Punkte) und der Bonus-Kick durch François Trinh-Duc (zwei Punkte) war zu wenig. Obwohl Trinh-Duc später eine Straftritt-Chance (65.) zum ersten WM-Titel der Franzosen vergab, zeigte er, welch großartiger Spielmacher er ist.

Tränen flossen auch bei den All Blacks nach dem Spiel. Freudentränen. Und alle waren sie, wie Kapitän Richie McCaw sagte, "stolz, ein Neuseeländer zu sein". Es war McCaws erster Triumph im dritten Anlauf. Auch für Trainer Graham Henry war es die Rehabilitation nach der Viertelfinal-Pleite 2007. Und es war wohl auch sein goldener Abschied von den All Blacks, genauso wie für Brad Thorn, der mit 36 Jahren und 262 Tagen der älteste Spieler in einem WM-Finale war. "Darüber werde ich auch noch reden, wenn ich irgendwann mal keine Zähne mehr habe", sagte der knallharte Zweite-Reihe-Stürmer, als Feuerwerksraketen den nachtschwarzen Himmel erhellten.

Die Wirtschaft wird unter der exzessiven Partylaune nicht leiden. An diesem Montag ist Feiertag. Tag der Arbeit nach der schwersten Arbeit, die Neuseelands Rugby-Helden bei dieser WM verrichten mussten.

© SZ vom 24.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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