FC St. Pauli bei 1860 München:Ohne Sturm und Drang

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Der FC St. Pauli hat ein Offensivproblem: Seit 252 Spielminuten haben die Hamburger kein Gegentor mehr kassiert, allerdings gelang dem Aufstiegskandidaten der zweiten Liga in dieser Phase auch nur ein eigener Treffer. Ob Trainer Schubert im Schlüsselspiel beim TSV 1860 München wenigstens wieder einen Stürmer aufstellt?

Jörg Marwedel

Selbstverständlich weiß der Fußballtrainer André Schubert vom FC St. Pauli viel über Taktik. Er kennt die Raute im Mittelfeld, er kennt das Tannenbaum-System mit einer Spitze und weiß im Prinzip, wie daraus durch zwei Verschiebungen auf den Außenbahnen blitzschnell ein Dreier-Sturm entsteht.

War im Hinspiel gegen die Löwen nicht zu stoppen: Marius Ebbers im Zweikampf mit Stefan Buck. (Foto: imago sportfotodienst)

Schuberts jüngste Variante aber war auch für ihn selbst neu: In den letzten beiden Zweitliga-Partien hat er komplett auf Stürmer verzichtet. Er hat pro forma seinen wichtigsten Mittelfeldspieler Max Kruse ein Stück weiter vorn platziert, was diesem aber wenig Spaß bereitet hat und ihm den Schwung für überraschende Aktionen aus der Tiefe nahm, nach denen er immerhin schon zehn Tore erzielt hat.

Das Ergebnis wundert nicht: St. Pauli blieb zuletzt in 252 Minuten ohne Gegentreffer, aber es gelang auch nur ein Tor, vor zwei Wochen beim 1:0 in Duisburg. Geschossen hat es, wie bei sechs der vergangenen sieben Treffer, in Kapitän Fabian Boll ein defensiver Mittelfeldspieler. Man könnte vor dem Spiel beim TSV 1860 München an diesem Montag (20.15 Uhr, Liveticker bei sz.de) eine Prognose aufstellen: Der Tabellendritte wird ohne Stürmer kaum die Rückkehr in die erste Bundesliga schaffen. Und man könnte der Ansicht sein, dass die gute Einkaufspolitik von Manager Helmut Schulte eher für die hinteren Reihen gilt als für die vorderen.

André Schubert hat dieser These widersprochen, gleichwohl aber seiner kompletten Angriffsreihe eine äußerst mäßige aktuelle Zensur erteilt. Er vermisst die "Laufumfänge" und "Laufintensität", also die Beweglichkeit. "Die Stürmer unserer Konkurrenten arbeiten und laufen mehr", sagt er, das könne man "ja an den Daten ablesen". Auch an jener Statistik, nach welcher nur Alemannia Aachen in der Rückrunde weniger Torschüsse abgegeben habe. Dabei investieren die Hamburger - trotz der Unzulänglichkeit der Angreifer - läuferisch fast immer mehr als der Gegner.

Letztes Stürmer-Tor im November

Das letzte Stürmer-Tor erzielte am 27. November Marius Ebbers beim 3:1 in Rostock. Doch der bekannte Zweitliga-Torjäger Ebbers (immerhin 95 Treffer), der nach einem Muskelfaserriss noch nicht wieder einsatzfähig ist, arbeite nur optimal, wenn er "richtig gallig" sei. Dann sei er ein Top-Stürmer. Jemand, der "mit Wucht, Präsenz und Feuer alles auseinanderreißt". Auch bei den Kollegen Deniz Naki und Mahir Saglik sei das "eine Kopfsache", eine Frage der Bereitschaft. Schubert wünscht sich, dass beide die "Balljagd einleiten" und den Gegner mit Pressing unter Druck setzen. Man habe einige Spiele auch deshalb verloren, "weil unsere Offensivspieler kein gutes Defensivverhalten hatten".

Petar Sliskovic, 21, ein hoffnungsvolles Talent, das der Erstligaverein FSV Mainz 05 (für den er immerhin schon zwei Tore in zehn Bundesligaspielen erzielt hatte) in der Hoffnung nach Hamburg auslieh, dass er mehr Spielpraxis sammele, ist als vierter Stürmer noch gar nicht wirklich angekommen. Erst in vier Zweitliga-Partien durfte der 1,93 Meter große kroatische Juniorennationalspieler mitmischen, einen Treffer hat er noch nicht markiert. Auch Sliskovic hat offenbar die größten Mängel, wenn der Gegner seine Angriffe in der eigenen Hälfte einleitet.

Der St. Pauli-Coach sieht eine "Grundsatzproblematik" darin, dass die Mannschaft die größten Probleme hat, wenn der Gegner hinten drinsteht. So wie auch am vergangenen Wochenende beim 0:0 gegen Eintracht Braunschweig, als die spätere Einwechslung von Sliskovic und Saglik fast nach hinten losgegangen wäre: beinahe hätten die ersatzgeschwächten Niedersachsen am Millerntor noch das 0:1 erzielt.

Löwen werden sich nicht einmauern

Gegen die Löwen ist hingegen nicht davon auszugehen, dass der Gegner sich einmauert. Fünf Rückrundensiege in fünf Spielen stehen für die Münchner zu Buche, in der Tabelle lauern sie direkt hinter St. Pauli. Mit einem Sieg hätten die Sechziger nur noch zwei Zähler Rückstand auf die Hamburger (und sie haben ein Nachholspiel in Aue). Der gallige Ebbers wird noch nicht wieder dabei sein - Pech für St. Pauli, im Hinspiel hatte der zur Pause eingewechselte Stürmer maßgeblich dazu beigetragen, den 0:2-Rückstand noch in ein umjubeltes 4:2 umzuwandeln. Mit dem Tor zum 1:2 und einer Vorlage vor dem 3:2 für Max Kruse.

In diesem Spiel jedenfalls konnte man sehen, dass der FC St. Pauli doch "eine hervorragende Qualität im Angriff hat", wie Schubert trotz aller Kritik feststellte. Jedenfalls, wenn die Dinge im Kopf geregelt sind.

© SZ vom 05.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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