FC Bayern:Lahm hört nur auf sich

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Der langjährige Bayern-Kapitän hat in seiner irritierend makellosen Karriere stets die Deutungshoheit behalten - es ist sein größter Erfolg.

Von Christof Kneer

Joachim Löw war gerade Weltmeister geworden, und trotzdem schmeckte ihm das Frühstück nicht. Am Abend des WM-Endspiels hatte sich Löw noch angemessen freuen dürfen, aber als er am Morgen den Speisesaal des Teamhotels in Rio de Janeiro betrat, setzte sich als Erstes sein Kapitän zu ihm. Übrigens, er werde jetzt seine Karriere in der Nationalelf mit sofortiger Wirkung beenden, eröffnete Philipp Lahm dem Bundestrainer, der in diesem Moment wusste, dass er diesen Weltmeistertitel schnell noch genießen sollte. Denn ohne Lahm neue Titel zu gewinnen? Das, ahnte Löw, würde schwer werden.

Gehen, wenn man noch vermisst wird: Das kann Philipp Lahm vielleicht noch besser als Fußball spielen, und es ist ihm auch wichtig: dass er beim Verlassen eines Raums auf der Türschwelle noch mitbekommt, wie sie in seinem Rücken flüstern. Wie schade, dass er weg ist! Hätte er nicht noch ein bisschen bleiben können?

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Nein, Philipp Lahm ist dann mal weg. Er wird im Sommer seine Karriere in einem Alter beenden, in dem andere noch um ihren "letzten großen Vertrag" feilschen, wie das im Fußballdeutsch heißt. Lahm ist 33, er spielt wie 29, und er sieht von Ferne immer noch aus wie einer, dem der Lehrer gleich das Klassenzimmer aufschließt. Aber Lahm kann es sich erlauben, Erwartungen und Gehaltszahlen zu ignorieren: Wenn es ernst wird, vertraut er sich selbst. Er hat sich ja noch nie enttäuscht.

Lahm spürt, dass es genug ist. Und es ist ihm dabei auf spektakuläre Weise egal, dass Trainer und Mitspieler finden, er könne weiterspielen, bis er 40 ist.

Ein wenig streberhaft ist er schon

Aber Lahm hört nur auf sich selbst. Er merkt, dass ihm die vermeintliche Mühelosigkeit, mit der er das Spiel spielt, allmählich Mühe bereitet. Dass ihn all das mehr fordert als früher: diese schweißfreie Selbstverständlichkeit, mit der er in Training und Spiel immer noch oft der Beste ist, diese absurde Fehlerlosigkeit, die ihm gegeben ist. So wie ein Musiker das absolute Gehör besitzt, hat er das absolute Gespür fürs Spiel, es teilt sich ihm mit wie kaum einem Zweiten, und nichts fände Lahm entwürdigender, als wenn er beim Verlassen des Feldes Schweinsteiger-Debatten hören müsste: Mei, jetzt ächzt der alte Ritter aber in seiner Rüstung! War der immer so langsam?

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Vielleicht ist dies Philipp Lahms größter Erfolg: dass er die Deutungshoheit über seine Karriere bis zum Ende behalten hat. Dieses Image, zur rechten Zeit das Richtige zu tun, bildete stets einen großen Teil seiner Autorität. Die zu besitzen, ist keine Selbstverständlichkeit bei einem Fußballer wie Lahm, der nicht drei Meter groß ist, nie krachende Grätschen setzt und Sätze sagt, die viele Begleiter ausgewogen und vernünftig finden, manche aber auch etwas beflissen.

Aber auch das hat Lahm nie gestört: dass es manche in der Branche für streberhaft hielten, wie strategisch hier ein Sportler mitten in der Karriere sein Leben nach der Karriere plant. Seit Jahren unterhält Philipp Lahm seine gleichnamige Stiftung, er hat sich an zahlreichen Unternehmen beteiligt. Zuletzt machte es Schlagzeilen, dass er als Gesellschafter bei Schneekoppe und beim bayerischen Sportprodukte-Hersteller Sixtus eingestiegen ist. Außerdem ist er an einer Berliner Unternehmensberatungsagentur beteiligt, zum Portfolio gehört auch ein Nürnberger Anbieter von betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Es gehe dabei "nicht um stille Teilhabe", sagt Lahm dazu stets, er wolle sich "unternehmerisches Wissen" aneignen. Es ist die Vorbereitung für ein Leben nach dem Sport - nach einer Karriere als Fußballer, die fast zu perfekt ist, um wahr zu sein. Es gab Spieler, die sich von Klub zu Klub nach oben gearbeitet haben, aber Lahm hat gar keine Vereinswechsel gebraucht, um eine Reißbrettkarriere zu machen.

Er ist mit jedem Jahr beim FC Bayern ein bisschen größer geworden, und der FC Bayern ist mit ihm und an ihm gewachsen. Als Lahms Karriere begann, wurde Bayern schon mal Meister, aber schied in der Champions League gerne im Viertelfinale aus. Unter Lahms fußballerischer Federführung hat sich der Klub zu einem natürlichen Favoriten in Europa entwickelt.

Auf fast schon irritierend makellose Weise hat Lahm dabei Schritt vor Schritt und Pass auf Pass gesetzt. Erst war er das überragende Talent, das sich nicht entscheiden konnte, ob es als Rechts- oder als Linksverteidiger besser spielt. Dann war er der junge Leistungsträger, der schon sachte den Finger hob, wenn es darum ging, öffentlich gehört zu werden. Im Herbst 2009 hat er am Verein vorbei ein SZ-Interview gegeben, in dem er die Hauspolitik des Klubs auseinandernahm und dabei den Konflikt mit Teamkollegen nicht scheute. Und dann hat er im Nationalteam vertretungsweise die Kapitänsbinde des verletzten Michael Ballack übernommen und bald darauf erklärt, dass er eigentlich nicht einsehe, warum er die Binde wieder zurückgeben solle.

Zu glatt, zu reibungs- und bruchlos?

Von nun an war Lahm auf dem Höhepunkt seiner Macht, die er bis zum Schluss aus zwei Gründen glaubwürdig ausüben konnte. Erstens, weil er sich weiterhin weigerte, schlecht zu spielen. Und zweitens, weil er bei allem Anspruch, mitzudenken und mitzugestalten, stets ein Dienstleister geblieben ist. Er hat Politik gemacht und versucht, Trainer wie Jogi Löw oder Pep Guardiola mit seinen Ideen zu beeinflussen - aber er war sich dabei nie zu schade, auch mal gegen die eigene Überzeugung zu spielen. Bei der WM 2014 wäre er gerne im Mittelfeld geblieben, aber er hat sich dann nach rechts hinten versetzen lassen, weil er sicher war, dass das für die Statik der Mannschaft am besten ist.

Man dachte bislang, dass Lahms Karriere zu glatt, zu reibungs- und bruchlos verlaufen sei, um eine wirklich saftige Geschichte zu ergeben. Aber dass er nun am Ende nicht Sportchef bei Bayern werden will, obwohl das der selbstverständliche, nächste Schritt wäre: Das macht aus seiner Geschichte vielleicht sogar ein Stück Fußball-Literatur.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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