FC Bayern:Pep kann per Post eine neue Mannschaft erschaffen

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Du jetzt dorthin und du dort, ich geh dahin: Philipp Lahm überbringt die Zettelpost. (Foto: Frank Hoermann/Sven Simon)
  • Der FC Bayern profitiert gegen Ingolstadt von seiner enormen taktischen Flexibilität.
  • Philipp Lahm wirft den Taktikzettel seines Trainerteams später achtlos weg.
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Von Benedikt Warmbrunn, München

Der Vorgang sollte sauber, penibel und ganz im Sinne des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KultgSchG) überprüft werden, nicht nur im Interesse aller Archivare und Museumsdirektoren. Am besten sollte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters, tätig werden, wobei, auch das wird zu klären sein, genauso gut könnte eine katalanische Behörde Ansprüche erheben.

Es geht immerhin um eines der höchsten Kulturgüter des Fußballs, und dazu zählt schon lange nicht mehr ein Lederball oder ein schweißgetränktes Baumwollhemd. Es handelt sich vielmehr um ein Blatt Papier, das oft ein begehrtes Sammlerstück wird, gerne im Format DIN A6. Es gewährt Einblicke in das Denken der handelnden Personen, es wird versteigert für eine Millionen Euro (Jens Lehmanns Spickzettel aus dem Elfmeterschießen im WM-Achtelfinale 2006 gegen Argentinien) oder irgendwann in einem Museum von Touristen aus der ganzen Welt bewundert (Ewald Lienens Notizblockaufzeichnungen).

Im Sinne des KultgSchG wünschen sich nicht nur Archivare und Museumsdirektoren deshalb auch, dass überprüft wird, ob sich Philipp Lahm am Samstag korrekt verhalten hat.

Die 56. Minute im Heimspiel des FC Bayern gegen den FC Ingolstadt, Lahm kommt an die Seitenlinie, um eine Einwurf auszuführen. Er nimmt den Ball, er nimmt auch einen Zettel, den ihm Trainer Pep Guardiola zusteckt. Einwurf, Lahm läuft, liest, läuft, steckt den Zettel Javi Martínez zu. Der läuft, liest, läuft, gibt den Zettel wieder Lahm, der steckt ihn in die Hose, läuft, lässt Thomas Müller, Thiago und Joshua Kimmich lesen. Eckball für Ingolstadt. Und dann verändert das Spiel seinen Lauf.

Aus dem Rechtsverteidiger Lahm wird ein Rechtsaußen, aus dem Linksverteidiger Rafinha ein Rechtsverteidiger, aus dem Innenverteidiger Holger Badstuber ein Linksverteidiger, aus dem Mittelfeldspieler Martínez ein Innenverteidiger, aus dem Linksaußen Müller ein zweiter Angreifer und aus dem Rechtsaußen Kingsley Coman ein Linksaußen. Keine 20 Minuten später hat der FC Bayern ein schweres Spiel in ein beruhigendes 2:0 verwandelt.

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Geschrieben hatte den Zettel Co-Trainer Domenec Torrent

Anschließend haben sie sich beim FC Bayern bemüht, den Zettel zu keinem großen Thema werden zu lassen. "Der Trainer hat gesagt, dass ich ein Tor schießen soll, und da ich ein Musterprofi bin, habe ich mich daran gehalten", sagte Lahm, der das Tor zum Endstand erzielte (75.). "So war es die beste Möglichkeit, und es gab keine Verwirrungen", sagte Müller, "also ich fand das nicht schlecht." Sportvorstand Matthias Sammer verriet immerhin, dass Guardiolas Co-Trainer, der Katalane Domenec Torrent, den Zettel geschrieben habe, auch er fand das nicht schlecht. "Bevor du meinst, dass du die da hinten erreichst, ist es besser, wenn du das aufschreibst." Guardiola selbst sagte: "Es ist einfacher, wenn ein Spieler das auf dem Platz kommuniziert, Philipp Lahm ist intelligent genug."

Aber so sehr sie auch beschwichtigten, der Zettel war dann doch ein großes Thema. Weil er wie Lehmanns Spickzettel, Lienens Notizblöcke oder das Papierchen, das Mönchengladbachs Trainer André Schubert Ende November Nico Elvedi zusteckte, das Spiel in ein Vorher und ein Nachher teilte.

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Mindestens 58 Minuten lang war an diesem Nachmittag der FC Ingolstadt die bessere Mannschaft. Die Spieler von Trainer Ralph Hasenhüttl deckten mehrere Schwachstellen des Tabellenführers auf. Durch ein frühes und energisches Anlaufen am Strafraum der Münchner. Durch lange Bälle auf den bemühten, aber eben nur 1,71 Meter großen Rafinha. Durch schnelle Kombinationen durch das Mittelfeld, die allein Stefan Lex drei sehr gute Torchancen ermöglichten (11., 42., 58.). "Wir waren supermutig, haben toll gearbeitet, toll attackiert", sagte Hasenhüttl. Und Lahm lobte: "Die haben ja ähnlich gespielt wie wir, wenn wir nicht in Ballbesitz sind."

Arturo Vidal gelingt es kaum, das Spiel auf engem Raum zu steuern

Mit diesem Auftritt waren die Gäste ein unangenehmer Gegner für den FC Bayern, der lange überhaupt nicht so ähnlich spielte, wie er sonst spielt. Ohne Arjen Robben, Franck Ribéry oder Douglas Costa fehlten die Spieler, die eine dichte Defensive ausdribbeln können. Und da zunächst Thiago und Xabi Alonso geschont wurden, fiel auf, wie schwer es Arturo Vidal fällt, auf engem Raum ein Spiel zu steuern. Joshua Kimmich, der nach einer achtminütigen Karriere als Rechtsaußen in die Mitte kommandiert wurde (und später auf die Linksverteidigerposition), strukturierte das Spiel mit seinen Pässen viel souveräner.

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Dennoch mangelte es den Bayern gerade in der ersten Hälfte an Witz und Tempo, um dem aggressiven Pressing des FCI zu entkommen. "Wir sind immer rausgegangen in den vergangenen Wochen, Monaten, auch Jahren, und wir hatten diese Energie", sagte Lahm, "heute hat uns diese Energie gefehlt." Bis zu jenem Moment, als ihm Guardiola einen Zettel zusteckte; danach drängte die Mannschaft sich weiter in die Ingolstädter Spielfeldhälfte hinein. Erst traf Robert Lewandowski (65., nach langem Pass von Jérôme Boateng), dann Lahm (75., mit links). Verletzte, fehlende Energie, ein forscher Gegner, es waren weiter dieselben Spieler - ein Zettel, und schon war es eine andere Mannschaft.

Und dieses historisch wertvolle Sammlerstück, behauptet Lahm, hatte er ohne Berücksichtigung des KultgSchG achtlos weggeworfen.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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