FC Bayern gegen Manchester City:Winken, wedeln, schimpfen

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Der Chef und sein Vollstrecker: FC-Bayern-Coach Pep Guardiola freut sich mit Jérôme Boateng über seinen Treffer gegen Manchester City. (Foto: dpa)

Pep Guardiola rennt beim Champions-League-Auftakt gegen Manchester City an der Seitenlinie auf und ab, er ändert das Spielsystem mehrmals. Zwar trifft der FC Bayern in letzter Minute zum 1:0-Erfolg - doch mit ihrem neuen Lösungsfußball sind die Münchner nicht so dominant wie zuvor.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Der Schiedsrichter hatte längst abgepfiffen, die Mitspieler waren bereits auf dem Weg nach Hause, die Gegenspieler zum Flughafen, draußen drängelten sich die letzten Autos aus den Parkhäusern, da kam endlich der Held des Abends aus dem Kabinentrakt. Kurioserweise noch immer in Trikot und Turnhose. Mehr als eine Stunde hatte Jérôme Boateng lediglich dazu genutzt, Schuhe und Stutzen abzustreifen.

Barfuß erklärte Boateng, dass sein Arbeitstag noch immer nicht beendet war. Er wurde zur Dopingkontrolle gebeten, doch er sei "noch nicht fertig". Das Wasserlassen klappte offensichtlich keineswegs so gut wie das Toreschießen in der letzten Minute samt wildem Jubellauf.

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"Der Ball ist ja dann hoch gekommen, ich habe mich ein bisschen abgesetzt und gehofft, dass er noch zu mir kommt. Ich hatte dann auch das Glück. Ich hab ihn gut getroffen, er wurde ja dann auch abgefälscht. Ich freu mich einfach, dass es geklappt hat." So klingt das, wenn einer in der 90. Minute das erste Champions-League-Spiel der Saison entscheidet. Jérôme Boateng traf den Ball so gut, dass der vom Rücken von Mario Götze ins lange Eck segelte. 1:0 gegen Manchester City. Die Menschen jubelten, die Mitspieler hüpften, Auftakt geglückt.

Glück dominierte den Abend aus bayerischer Sicht. Der Klub benötigte das Glück des späten Treffers, weil die Mannschaft derzeit nicht diese irrwitzige Dominanz ausstrahlt wie in den beiden vergangenen Spielzeiten. Er benötigte das Glück, weil viele wichtige Spieler verletzt fehlten oder mit Rafinha und Zugang Mehdi Benatia Leute ihr Debüt gaben, die zuvor kaum trainiert hatten. Das Glück erzwangen die Münchner aber auch durch ihren unvergänglichen Willen. Diese Entschlossenheit, dem wieder einmal sehr biederen englischen Meister noch ein Tor zu verpassen.

Schwitzkasten-Jubel mit Boateng

Weil Boateng den Ball erst in der letzten Spielminute gut traf, erlebten die Bayern auch einen großen Glücksmoment. "Wir sind Menschen, wir haben Emotionen. Obwohl wir schon alles gewonnen haben", sagte Thomas Müller zum Ausbruch der Freude nach dem 1:0. Am glücklichsten wirkte dabei der Trainer.

Pep Guardiola wirbelte umher, packte sich den Torschützen, nahm ihn in den Schwitzkasten und rüttelte ihn mächtig durch. Es war der letzte Akt eines Pep-Abends, der bewies, dass dieser 43-Jährige noch immer fit genug ist, um jederzeit an Olympischen Spielen teilzunehmen. Turnen, Tischtennis oder Moderner Fünfkampf - Pep Guardiola kann sicher alles.

Es hatte genau 20 Sekunden gedauert, bis der Münchner Trainer zum ersten Mal von der Bank aufsprang und zur Seitenlinie lief. Er monierte einen laschen Pass aus der Abwehr heraus und hätte dabei fast die erste große Chance von Thomas Müller nach 40 Spielsekunden verpasst. Guardiola winkte, wedelte, zeigte, deutete, schrie, sprach. Er stand dabei oft einen Meter im Spielfeld, einmal rannte er in Richtung Linienrichter wie ein Werner Lorant, weil er ein Handspiel eines Engländers monierte. Es war eine einzigartige Pantomime, die sich den Zuschauern bot. Wobei Kapitän Philipp Lahm den Verdacht zerstreute, dass auch die Spieler nichts von dem wilden Gestikulieren neben dem Spielfeld verstünden. Sie würden ihren Trainer immer verstehen, "weil wir jeden Tag trainieren. Deshalb gibt es bei uns keine Überraschungen."

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Weil Manchester zu Beginn noch sehr häufig den Ball hatte, was Guardiola bekanntlich überhaupt nicht gefällt, wedelte er David Alaba aus der Dreierkette heraus und über einige Umwege schlussendlich ins offensive Mittelfeld. Er winkte stattdessen Xabi Alonso weit nach hinten, so dass dieser im Spielaufbau eine Art Lothar-Matthäus-Interpretation des Liberos verkörperte. Im einfachen Taktikjargon wechselte er lediglich von Dreier- auf Vierer-Abwehrkette. Doch viele Beobachter rätselten ob des wirren Hin und Her einiger Spieler, ob in diesem Bayern-Chaos überhaupt ein System versteckt sei.

Hier wiederum beruhigte Sportdirektor Matthias Sammer: Das alles sei keineswegs spontan und unkoordiniert geschehen, sagte er. "Wir haben einen Trainer, der das Spiel liest, wie ..." Sammer suchte einen Superlativ, entschied sich dann aber dagegen und führte an: "Er hat das Gefühl, mittendrin zu sein. Er weiß in den verschiedenen Konstellationen, was der Mannschaft guttut. Deshalb hat er umgestellt."

Nach Guardiolas Rochade zeigte seine Mannschaft mehr Guardiola-Fußball und hatte vor allem nach der Pause viel häufiger den Ball. Weil Manchester City zuerst keine Idee mehr hatte, wie es noch selbst in die Offensive finden soll und sich dann sehr früh dazu entschloss, das 0:0 über die Zeit zu spielen, verstärkte sich die bayerische Dominanz zunehmend.

Weniger filigran, mehr wuchtig

Guardiola brachte Angreifer Arjen Robben, er brachte Angreifer Claudio Pizarro. Einmal wollte er das Spiel schnell machen und Juan Bernat den Ball zum Einwurf zupassen. Er verfehlte aber sein Ziel und man sah, was Guardiola noch weniger mag als einen Fehlpass seiner Mannschaft: einen eigenen Fehlpass. Guardiola legte die Hände vors Gesicht und rieb sich seine Glatze. Um sofort wieder Anweisungen zu geben, was nun sogleich zu tun sei.

"Er ist immer aktiv. Ich mag das immer. Er will eben gewinnen", sagte Arjen Robben. Guardiolas Eifer und Einsatzfreude übertrug sich offenbar auf seine Spieler, die zwar wenig filigran aber wuchtig nach vorne kombinierten. Boatengs Tor entstand aus einer abgewehrten Ecke, die Robben und Lahm sogleich zur nächsten Flanke nutzten.

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Die Passmaschine fehlt

Das Spiel gegen Manchester City zeigte, dass der FC Bayern längst noch nicht dort ist, wo er vor nicht allzu langer Zeit war. Die erdrückende Passmaschine ist derzeit nicht in Sicht und mit dem Strategen Xabi Alonso in der Zentrale ist diese vielleicht auch gar nicht zu haben. Doch der Klub hat weiterhin Mittel und Wege, selbst die größten Kaliber des europäischen Fußballs zu beherrschen. Der maschinengleiche Systemfußball ist einem situativen Lösungsfußball gewichen. Mit einem Trainer, der das Spiel besser versteht als die meisten anderen. Und Spielern, die dessen Ideen umsetzen können und beseelt sind vom Siegeswillen.

Zur Not muss eben der Innenverteidiger zum Schluss den Ball gut treffen. Wann Jérôme Boateng in dieser Nacht allerdings sein Trikot auszog und nach Hause in den Münchner Stadtteil Bogenhausen fahren durfte, ist nicht überliefert.

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