Manchmal sind neun Minuten mehr als 90 Minuten. Zum Beispiel, wenn man sie so nutzt wie Thomas Müller am Samstagabend in Hamburg. Eingewechselt zur Halbzeit, dann mit einer kleinen Fuß-Bewegung das Tor des Spiels vorbereitet in der 52. Minute: Alaba hatte von links geflankt, Müller schob den Ball weiter auf Tolisso - der schob ihn über die Linie. Und gleich darauf: zusammengesunken am Spielfeldrand, behandelt, ausgewechselt und weggehumpelt, hinaufgestiegen in das Reich der Verklärung.
Was ist das für eine Geschichte: Noch bis vor wenigen Wochen hatte man fürchten müssen, dass Thomas Müller (mutmaßlich unverschuldet) mit ewigem Stürmerunglück gestraft ist, der Trainer Carlo Ancelotti brachte ihn konsequent in eher unwichtigen Spielen, und wenn er ihn doch mal in einem ganz wichtigen brachte wie beim 0:3 in Paris, ging es schief. Aber nun, da Müller mehrere Wochen ausfallen wird wegen einer Verletzung im Oberschenkel, sind alle glaubwürdig betrübt, vom Sportchef Hasan Salihamidzic ("wäre ganz bedenklich") über Mats Hummels ("spielen alle gerne mit ihm zusammen") bis Arjen Robben ("er ist jetzt auch unser Kapitän und ganz wichtig").
Heynckes sah Müller auf gutem Weg, "wieder der Alte zu werden"
Tatsächlich war Müller in den drei Spielen seit Heynckes' Rückkehr je mindestens an einem Tor beteiligt, gegen Celtic erzielte er das 1:0. Heynckes betonte ausdrücklich, der Stürmer sei "wieder auf dem Weg, der Alte zu werden", der Raumöffner und Ball-über-die-Linie-Wurstler. Wobei nicht ganz klar war, was diese öffentliche Belobigung war: schon eine Diagnose? Oder doch eher Teil der Therapie? Wissend, dass Müller Vertrauen braucht für sein Spiel, redet Heynckes ihn stark?
Wahrscheinlich von beidem ein bisschen. Hinzu kommt, dass Heynckes' Spielsystem Müller entgegenkommt. Der Coach bevorzugt traditionelle Flügelstürmer, Robben rechts, Coman links (Ribéry ist verletzt) - und einen Offensiven auf der Zehner-Position. James Rodríguez hat sich da in Hamburg nicht aufgedrängt, Müller wäre erste Wahl - der Spanier Thiago interpretiert die Rolle etwas defensiver, dürfte aber jetzt dort zum Zuge kommen. Die offizielle Diagnose der Müller-Verletzung folgte am Montag: Er erlitt einen Muskelfaserriss im rechten hinteren Oberschenkel und wird nach Angaben des FC Bayern "voraussichtlich drei Wochen" fehlen.