Europa League:Europa muss den BVB fürchten

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Im Gegensatz zu Tottenham nimmt Dortmund die Europa League ernst. Das Resultat ist ein 2:1, das besonders einen Spieler glänzen lässt.

Von Sven Haist, London

Es waren beeindruckende Szenen nach dem Sieg von Borussia Dortmund gegen Tottenham Hotspur im Achtelfinale der Europa League. Angeführt von Kapitän Roman Weidenfeller lief der Tross der Spieler auf die mitgereisten Fans zu, es gab Trikots, reichlich Handschläge und gegenseitige Wertschätzungen. Szenen, die dem Mutterland des Fußballs kurz die Augen öffneten, wie weit sich die eigenen, auf der Insel ansässigen Vereine von ihrem Publikum entfernt haben.

Trainer Thomas wartete vor dem Kabinentrakt auf sein Team. Jedem Spieler wollte er einen persönlichen Dank mitteilen für das 2:1 an der White Hart Lane, das Dortmund nach dem 3:0 im Hinspiel ohne Mühe ins Viertelfinale der Europa League brachte. Zwei Treffer von Pierre-Emerick Aubameyang und ein Gegentor nach Fehler von Neven Subotic durch den Koreaner Son besiegelten einen Abend voller Anerkennung des BVB. "Ein großes Vertrauen ist zwischen uns entstanden", sagte Tuchel. Gemeint ist die Beziehung zwischen ihm, dem Trainer, und seiner Mannschaft, obwohl er ja gerade erst seit einem Dreivierteljahr bei der Borussia im Dienst ist.

Ein besonderes Verhältnis hat Tuchel zu Julian Weigl, seinem 20-jährigen Strategen im Zentrum. Auf seinen Rat hin hatten die Dortmunder im Sommer Weigl ins Ruhrgebiet gelotst. Zuvor kämpfte sich der Oberbayer bei seinem Jugendverein 1860 München durchs Gestrüpp der zweiten Liga. Als in London spät in der Nacht auf der Pressekonferenz der Name Weigl fiel, zauberte das dem Fußballlehrer ein Grinsen ins Gesicht. Tuchel geriet ins Schwärmen, fast eine Minute lang.

Nach dem 3:0 vor einer Woche im Hinspiel hätte Tuchel es sich leicht machen können, das defensive Mittelfeld doppelt abzusichern. Schließlich ging es einzig darum, den Einfluss von Tottenhams neuem Liebling Dele Alli zu begrenzen. Die international erprobten Fachkräfte Gonzalo Castro und Nuri Sahin hätten sich angeboten als Assistenten von Weigl, aber Tuchel vertraute natürlich seinem Musterknaben die Position alleine an.

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Wohlwissend dass der Zweikampf der beiden Jungtalente den Ausgang der Partie entscheiden würde. Spätestens in der 70. Minute war das dann auch geschehen, weil Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino sich der Niederlage hingab und Alli auswechselte. Es war das Eingeständnis der Spurs, dass eine Aufholjagd gegen den BVB nicht mehr möglich war. Die Gedanken wanderten ab zur Premier League. Am Sonntag trifft der Tabellenzweite auf den AFC Bournemouth - und wenn die Londoner ehrlich sind, hatten sie ohnehin nur mäßiges Interesse am Europapokal.

Jeweils fünf Punkte befinden sich Tottenham und Dortmund in ihren nationalen Ligen hinter dem Spitzenreiter, aber der Ausgang des Zweikampfs zwischen Alli und Weigl überbrachte den Beweis, wie weit beide Klubs inhaltlich wirklich voneinander entfernt liegen. Mit Laufstärke und Umsicht beschützte Weigl die eigene Abwehr, ohne die Sonderbewachung für Alli zu vernachlässigen. Bei der Ballannahme verhinderte Weigl, dass sich der Spielmacher auf das Tor der Borussia drehen konnte. "Seine Verlässlichkeit in jungen Jahren auf diesem hohen Niveau ist toll", befand Tuchel.

Angeleitet von dessen Handbuch könnte Weigl mit seiner Mischung aus sportlicher Begabung und menschlichem Anstand zu einem Prototyp für nachfolgende Talente werden. Es ist wahrlich kein Zufall, dass sich die BVB-Elf ohne Aufbegehren von den Handbewegungen des jungen Weigl führen lässt. Trotz seines jungen Alters und seiner Debütsaison bei einem Bundesligisten. Ein solches Ansehen ohne Titel auf der Autogrammkarte stehen zu haben, ist nur möglich, wenn sich das Gebilde einer Mannschaft über den sozialen Umgang definiert.

Diese weichen Faktoren sind im Profifußball gerade vom Aussterben bedroht. In einem Zeitalter, in denen Vereine und Spieler zunehmend der realen Welt entwachsen, setzt Tuchel in Dortmund auf Erziehung, Vertrauen und Nähe.

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Das Fundament dafür liegt in der Vereinsorganisation um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc. Seit Tuchels Amtsübernahme kommt keiner im Umfeld des BVB auf die Idee, die Zeit unter Vorgänger Jürgen Klopp aus dem Archiv zu kramen. Trotz der Spuren, die Klopp mit zwei Meisterschaften und einem Pokalsieg in der Trophäenvitrine hinterlassen hat. Diese Emanzipation hat Tuchel beschleunigt, indem er vor Beginn der Saison auf das Ausrufen einer handelsüblichen Eingewöhnungsphase verzichtet hat.

Auf der Reise durch das Turnier hat Borussia Dortmund nun den größten Teil der Wegstrecke hinter sich. Keiner aus dem Verein hat bis hierhin über den lästigen Modus und die geringe finanzielle Erschwinglichkeit geklagt. Es ist eine kluge Taktik, sich selbst zurückzunehmen - und dafür den Wettbewerb glänzen zu lassen.

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