Fußball-WM:Ein Hauch von Klinsmann spornt England an

Lesezeit: 3 min

Formte die englische Mannschaft zu einer Einheit: Nationaltrainer Gareth Southgate. (Foto: He Canling/dpa)
  • Gareth Southgate hat in den vergangenen zwei Jahren viel verändert in der englischen Nationalmannschaft.
  • Um Harry Kane hat er eine Mannschaft mit jungen Spielern geformt, die sogar das Elfmeterschießen beherrscht.
  • Hier geht es zum Spielplan der Fußball-WM.

Von Martin Schneider, Moskau

Dem Engländer ist Darts sehr wichtig, die Welt ist auf der Insel zuweilen eine Scheibe und der Brite deutet vieles mit Hilfe der Pfeile. Auch seine Fußball-Nationalmannschaft. In der dunklen Zeit, die Engländer nennen sie 2016, gab es bei der Europameisterschaft ein Darts-Turnier innerhalb der englischen Nationalmannschaft, der Torwart Joe Hart soll es organisiert haben. Man muss "soll" schreiben, weil Joe Hart nie etwas darüber gesagt hat.

Ein Journalist fragte ihn auf einer Pressekonferenz und Hart behandelte Informationen über das Darts-Turnier (so es denn stattgefunden hat) wie ein Staatsgeheimnis. Er wollte nichts darüber sagen. Weil England danach gegen Island ausschied, erschienen Artikel mit den Überschriften "Too wealthy, too famous, too much ego" - zu wohlhabend, zu berühmt, zu viel Ego. Wer nicht mal über Darts reden kann - so die Argumentation von Teilen der britischen Presse - bei dem kann es in der Mannschaft nicht stimmen.

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Und nun, zwei Jahre später? Fotos von englischen Spielern auf aufblasbaren Einhörnern im Hotelpool, Fotos von englischen Spielern beim Kegeln, Fotos von englischen Spielern, wie sie ein Elfmeterschießen gewinnen und Fotos von einem englischen Spieler beim Darts. Gary Cahill spielte im Trainingslager eine Runde mit den Journalisten. Joe Hart ist übrigens nicht mehr dabei, dabei ist Jordan Pickford, der einen Elfmeter hielt.

Es hat sich viel geändert in zwei Jahren bei der englischen Nationalmannschaft und das hat viel mit Gareth Southgate zu tun. Der Trainer, der eine Notlösung war. Mit dem damals 68-jährigen Roy Hodgson konnte der Verband nach dem Island-Aus nicht mehr weitermachen und dessen Nachfolger, der mittlerweile 63-jährige Sam Allardyce (genannt "Big Sam") wurde von Reportern erwischt, wie er Transferregeln umgehen wollte. Also kam Southgate, 47 Jahre alt, aber im Kopf viel mehr Teil der Kabine als es seine Vorgänger sein konnten. Nach dem gewonnen Elfmeterschießen sagte Southgate Sachen wie. "Wir wussten ja, die Statistik sprach gegen uns. Aber da hatten wir schon vorher unsere Witze drüber gemacht."

Southgate ist der erste England-Trainer in diesem Jahrtausend, bei dem man das Gefühl hat, dass er eine Art Verbindung zu seiner Mannschaft hat. 2001 trainierte der Schwede Sven-Göran Erikson die Three Lions, über den man eigentlich nur wissen muss, dass er mal beim TSV 1860 München im Gespräch war. Es folgte Steve McClaren, den sie Steve McClown nannten und dann kam der Italiener Fabio Capello, der nicht als englischer Coach, sondern bei der WM 2014 als Trainer von Russland in Erinnerung blieb. Nicht wegen des Fußballs, sondern weil er den mit Abstand bestdotierten Vertrag hatte.

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Und nun Southgate, der charismatisch ist, Witze macht, über den es keine gemeinen Schlagzeilen gibt, und der mit seinem Dreiteiler zur Mode-Ikone geworden ist. Gegen Kolumbien trug er wieder seine Weste und sofort meldeten die Agenturen, dass der Westen-Verkauf in England gestiegen sei. Ein Hauch von Jürgen Klinsmann weht durch die englische Nationalmannschaft. Southgate, selbst kaum Erfahrung als Trainer, machte aus der WM ein Projekt, er sagt "wir schreiben unsere eigene Geschichte" und das kommt an. Er vermied das Image als "Kumpeltyp", als er Torhüter Hart und den Alt-Star Wayne Rooney nicht mehr für die Nationalelf nominierte. Rooney fehlten nur noch sieben Spiele, bevor er Englands Rekordnationalspieler geworden wäre. Aber die englischen Fans fanden das okay und haben Southgate sogar längst ein eigenes Lied gewidmet.

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Er berief eine Mannschaft, die nach Frankreich die zweitjüngste im Turnier ist, von allen 32 Mannschaften die geringste Länderspielerfahrung und mit Kapitän Harry Kane nur einen einzigen herausragenden Akteur hat. Der Rest besteht aus soliden Premier-League-Spielern, etwa aus Liverpools Jordan Henderson, Manchester Citys Raheem Sterling und John Stones, aus Harry Maguire, einem Abwehrspieler von Leicester City, hoch wie der Tower of London. Der Einzige, der neben Kane auffällt, ist Rechtsverteidiger Kieran Trippier, Teil des starken Tottenham-Blocks um Kane, Dele Alli, Eric Dier und Danny Rose. Das sind alles sehr gute Kicker, aber keine Spitzenfußballer. England funktioniert als Team.

Das war gegen Kolumbien offensichtlich. Selbst die ultraharte Spielweise des Gegners brachte das Team nur ein wenig aus dem Konzept, selbst als Kolumbien versuchte, den Elfmeterpunkt vor Kanes Strafstoß in der regulären Spielzeit umzugraben. Wenn Southgate sagt, man habe die Partie "90 Minuten lang kontrolliert", ist das ein bisschen geschwindelt, aber ganz falsch auch nicht. Wahrscheinlich war er schlicht stolz, dass seine unerfahrene Mannschaft mit Härte dagegen hielt. Ein Kopfballgegentor in der 93. Minute und eine Fan-Übermacht der Kolumbianer auf den Rängen warf England auch nicht um.

"Wir sind eine junge Mannschaft und wir haben heute viel gelernt", sagte Kane nach dem Spiel, der neben der Rolle als Führender in der WM-Torschützenwertung die Rolle als Kapitän vollkommen angenommen hat.

Vor Kurzem gab es im britischen Fernsehen eine Expertenrunde mit Frank Lampard, Rio Ferdinand und Steven Gerrard. Diese Spieler waren Teil der "goldenen Generation" Englands, sie gehörten damals zu den besten Fußballern der Welt und sie spielten für Chelsea, Manchester und Liverpool. Die Runde geriet ins Reden und irgendwann hörte man dann, warum es nie geklappt hat, mit einem guten Turnier, mit einem Titel. Gerrard, Lampard und Ferdinand waren sich einig, dass man damals den Verein im Kopf hatte und nicht die Nationalmannschaft, dass die Rivalität zwischen Chelsea und United so groß war, dass man im Nationalteam nicht mehr zusammengekommen sei.

Es scheint, als habe das aktuelle Team dieses Problem nicht.

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