England - Island:Große Zweifel

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Der in diesem Sommer auslaufende Vertrag von Nationaltrainer Roy Hodgson, 68, seit 2012 im Amt, wird nur verlängert, wenn England mindestens das Viertelfinale erreicht. (Foto: Georgi Licovski/dpa)

Seit 2012 im Amt, aber wie lange noch? Für Englands Trainer Roy Hodgson geht es im Achtelfinale gegen Island auch um seinen Job.

Von Raphael Honigstein, Paris

Premierminister David Cameron ist nach der Niederlage im EU-Referendum zurückgetreten, gegen Labour-Parteichef Jeremy Corbyn begehren die eigenen Parlamentarier auf, und auch Roy Hodgson, das fußballerische Regierungsoberhaupt, spürt vor dem Achtelfinale gegen Island, dass auf der unruhigen Insel das Vertrauen in ihn schwindet. Der 68-Jährige hatte im letzten Gruppenspiel die halbe Mannschaft ausgetauscht und nur ein 0:0 gegen die Slowakei erzielt, das Remis beförderte England auf die deutliche schwergewichtigere Seite des Turniers, wo Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien um den Einzug ins Finale kämpfen. "Hodgson verzockt sich", schrieben die Gazetten. Wirklich gefährlich wurde es für den Nationaltrainer aber erst, als Verbandsfunktionäre hinter vorgehaltener Hand Unverständnis für die Wechselwut äußerten und der in St. Etienne zunächst geschonte Kapitän Wayne Rooney auf inoffiziellen Wegen ebenfalls seinen Unmut kundtat.

Hodgson bat die Reporter am Samstag zu einem Gespräch am Trainingsplatz in Chantilly, er wollte sich und seine Aufstellung ausführlich erklären. Hatte er mit Daniel Sturridge und Jamie Vardy gegen die Slowaken nicht genau jenes Sturmduo aufgeboten, das zuvor beim 2:1 gegen Wales die Tore erzielt hatte? Wo bitte genau war das Problem, die beiden Außenverteidiger auszutauschen? Der allseits gefeierte Tottenham-Hotspur-Coach Mauricio Pochettino mache das in der Liga doch jede Woche. Liverpools Jordan Henderson hatte im Mittelfeld an Stelle von Jungstar Dele Alli ein starkes Spiel gemacht, das könne niemand bestreiten. "Es bleibt genau ein Mann übrig", fuhr Hodgson fort, "ausgerechnet der Mann, für den ich vor der Euro meinen Hals unters Fallbeil gelegt habe, den ich stets verteidigt habe. Ich habe immer gesagt, Wayne Rooney ist Kapitän, er wird spielen. Und jetzt sollen wir gegen die Slowakei trotz 29 Schüssen und 15 Ecken nicht gewonnen haben, weil er nur 30 Minuten gespielt hat? Das amüsiert mich."

Hodgson hat sicher recht. Aber Spitzentrainer zeichnet eben auch das nötige Schlachtenglück aus. Das allgemeine Unwohl, das ihm entgegenschlägt, mag sich an einer 0:0-Lappalie entzündet haben und kann nach einem überzeugenden Erfolg gegen die Isländer schnell wieder abklingen. Doch es fußt, wie man merkt, auf anderen, grundlegenden Zweifeln an seiner Eignung für das Amt.

Hodgson ist ein Gentleman, die Spieler mögen ihn, man kann sich mit ihm hervorragend über Politik und Literatur unterhalten. Das englische Publikum, das tagtäglich internationale Trainerkoryphäen bei der Arbeit in der Liga erlebt, besessene Männer mit großer Aura wie Jürgen Klopp, José Mourinho oder früher Alex Ferguson, hat den gemütlichen Hodgson noch nie einen großen Titel gewinnen sehen; nie erlebt, dass er das Glück erzwingt oder mit einem glücklichen Händchen für sich gewinnt. Meister wurde er in Schweden und Dänemark, erfolgreiche Turniere spielte er mit der Schweiz. Seit er 2012 Fabio Capello auf Englands Bank beerbte, ist er auf mal mehr, mal weniger ehrenhafte Weise gescheitert. Man wird den Eindruck nicht los, dass den von Haus eher defensiv denkenden Fußballlehrer das aktuelle Überangebot an offensiven Kräften etwas überfordert, dass ihm vielleicht auch der enge Draht zu den Jungmillionären aus der Premier League fehlt. Es war bezeichnend, dass Pep Guardiola, der zukünftige Trainer von Manchester City, sich unter der Woche gefordert sah, Raheem Sterling anzurufen, um den verunsicherten Flügelstürmer wieder aufzurichten.

Verbandschef Greg Dyke betonte, dass man Hodgson nie in die Aufstellung reden würde, "Roy genießt unsere Unterstützung, alles andere ist unwahr". Wahr ist auch, dass der diesen Sommer auslaufende Vertrag mit dem Coach nur verlängert wird, wenn er mindestens das Viertelfinale erreicht. Dyke, 69, hat dies bestätigt. "Ich bin bereit weiterzumachen, falls die FA das will. Ich werde nicht um den Job betteln", erklärte Hodgson gereizt. Das wäre im Falle einer Niederlage in Nizza aber auch zwecklos.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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