Ehemaliger Leverkusener Vidal:Chiles giftiger Krieger

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Kämpfer in Schräglage: Arturo Vidal (Foto: Olivier Morin/AFP)

Vom Teenager zum "großen Häuptling": Arturo Vidal verkörpert wie kein anderer die unbequeme Spielweise der chilenischen Nationalmannschaft. Im Freundschaftsspiel gegen Deutschland am Mittwoch will er sich mit seiner Auswahl Respekt verschaffen.

Von Philipp Selldorf, Stuttgart

Noch heute erinnert man sich in Leverkusen gern an den Spott des Korrespondenten einer großen Boulevardzeitung. So tief sei Bayer 04 mittlerweile gesunken, dass der Verein nicht mal mehr imstande sei, einen ordentlichen Brasilianer zu verpflichten - "jetzt müssen sie schon einen Spieler aus Chile holen". So stand es damals fachkundig geschrieben, als Rudi Völler und Michael Reschke Anfang 2007 aus Chile heimkehrten und den demnächst anstehenden Import des 19-jährigen Arturo Vidal bekanntgaben.

Die beiden Sportmanager haben damals lieber darauf verzichtet, sich gegen die abfällige Kommentierung zu wehren. Sie waren zwar überzeugt von Vidal und seinen Fähigkeiten, nachdem ein Scout des Vereins ihn bei der Junioren-Nationalmannschaft beobachtet hatte und sie selbst ihn dreimal für CSD Colo Colo hatten spielen sehen. Aber ein Rest von Unwohlsein ließ sich leider nicht verscheuchen, denn Bayer musste für den Teenager mehr als fünf Millionen Euro Ablöse an den Klub aus der Hauptstadt Santiago de Chile bezahlen und erhielt dafür nicht mal die vollen Transferrechte.

Dreißig Prozent Anteil für den Fall des Weiterverkaufs ließ sich Colo Colo zusichern, das brachte weitere Millionen ein, als Vidal 2011 aus Leverkusen zu Juventus Turin wechselte. Nun steht wohl der nächste Karrieresprung an - Real Madrid, FC Barcelona und Manchester United sollen heftig interessiert sein. Und dann dürften 40 oder 50 Millionen Euro Ablöse fällig werden.

Seriöse Warnung an die deutsche Elf

Inzwischen lästert kein Mensch mehr über Fußballer aus Chile. Für die WM in Brasilien hat sich Chile als Dritter der Südamerikagruppe qualifiziert (hinter Argentinien und Kolumbien); das Team, dessen Spieler allesamt außerhalb ihres Heimatlandes beschäftigt sind, trägt das Qualitätsprädikat des sogenannten unbequemen Gegners, und Arturo Vidal ist ein prototypischer Vertreter des giftigen, aber dennoch ballfertigen Stils der Chilenen.

Die Deutschen sollten es als seriöse Warnung auffassen, dass er das anstehende Testspiel als Chance betrachtet, "noch mehr Respekt" bei den WM-Favoriten zu erwerben. Chile trifft in der Vorrunde des Turniers auf Spanien und die Niederlande, die vormaligen WM-Finalisten, doch es sind nicht nur die Chilenen, die sich deswegen Sorgen machen. "Man muss auf Chile aufpassen", empfahl Vidal jetzt in Stuttgart.

Reschke hat ihn als "kleinen Krieger" bezeichnet, als er nach Leverkusen kam. Jetzt stellt er fest, dass aus dem kleinen Krieger "ein großer Häuptling" geworden sei, "für ihn ist Fußball ein Kampfsport - jeder Zweikampf scheint eine Frage des Überlebens zu sein". Darüber hinaus ist der 26-Jährige, der aus kleinen Verhältnissen stammt und mehr oder weniger vaterlos in einer Großfamilie aufwuchs, den Leverkusenern in liebevoller Erinnerung geblieben. "Er hat eine Riesen-Lebensfreude und ist ein herrlicher Typ", sagt Reschke.

Defensivmann und exzellenter Kopfballspieler

Als Vidal noch für Colo Colo spielte, gehörte er dem linken Flügel einer Dreier-Abwehrkette an, und den Vertretern seines neuen Vereins erklärte er, er wolle eines Tages "der beste Innenverteidiger der Welt" werden, denn ein unerschütterliches Selbstbewusstsein besaß er schon damals.

Aus der großen Innenverteidiger-Karriere ist zwar nichts geworden, doch nun hat Vidal der Sportbild mitgeteilt, dass er sich anderweitig getröstet habe: Er hält sich jetzt auf seiner Position im Mittelfeld für den besten Spieler der Welt, und er begründet das damit, dass er nicht nur seine defensiven Zweikämpfe gewinne, sondern auch eine Menge Tore schieße. Elf Treffer sind ihm in 25 Spielen der Serie A gelungen, fünf während der Vorrunde der Champions League. Arturo Vidal ist zwar nicht der Schnellste, aber er hat außer dem nötigen Biss auch das nötige technische Vermögen, und ein exzellenter Kopfballspieler ist er mit seinen 1,80 Metern auch noch.

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Der Rest der Welt mag es daher immer noch für eine heldenhafte Tat halten, dass die Leverkusener ihren starken Krieger nicht nach München ziehen lassen wollten, als er gegen Ende seiner Vertragslaufzeit "in die Kategorie unbezahlbar" (Völler) entrückte. Der FC Bayern plante Vidal als eine Art Einstandsgeschenk an Jupp Heynckes ein, als dieser aus Leverkusen an die Säbener Straße zurückkehrte.

Aber bei Bayer regte sich plötzlich Widerstand gegen die Münchner Personalanforderung, und Wolfgang Holzhäuser setzte sich an die Spitze der Bewegung und verkündete ein Export-Embargo. Sogar einen Beschluss des von der Bayer AG bestellten Aufsichtsrates führte er herbei. Am Ende hatten Holzhäuser und Bayer das Glück, dass Vidal gern dazu bereit war, nach Italien zu gehen.

© SZ vom 05.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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