Doping im Radsport:Spanischer Fiebertraum

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Ohne Doping lief nichts im Rad-Spitzensport - das weiß mittlerweile auch der naivste Fan. Trotzdem jubelt die spanische Öffentlichkeit ihrem alten Helden und Dopingsünder Alberto Contador zu, der bei der "Vuelta" gerade wieder eine Etappe gewann. Mit gesundem Menschenverstand ist dies kaum zu erklären - es ist das Problem einer ganzen Generation.

Thomas Kistner

In den USA purzelt gerade Lance Armstrong, der größte Radsport-Held aller Zeiten, vom Sockel. Zugleich offenbart das Enthüllungsbuch des wegen Dopings seiner Olympia-Goldmedaille entledigten Tyler Hamilton in schockierender Detailfülle, wie der Sportbetrug ablief in den Pelotons der vergangenen 20 Jahre. Belgiens Weltmeister von 1996, Johan Museeuw, fordert alle ehemaligen Kollegen und Kontrahenten zur Dopingbeichte auf, und sogar in Deutschland bekannte unlängst Jan Ullrich, was seit Jahren selbst der naivste seiner Fans geahnt haben mochte: Ohne Doping lief nichts im Rad-Spitzensport.

Dopingsünder? Egal. Die Spanier jubeln mit Alberto Contador. (Foto: REUTERS)

Umso erhellender ist die Reaktion in Spanien auf Alberto Contadors jüngsten Etappensieg. Der nationale Radheld vollbrachte nach verbüßter Dopingsperre jetzt bei der Rundfahrt Vuelta eine veritable "Heldentat", um das Sportblatt Marca zu zitieren. El Mundo fieberträumt von der "Rückkehr des besten Radsports", auch das Sportblatt As stolpert durch den Supermarkt der Superlative: Den Champion zeichne aus, "niemals, niemals aufzugeben, dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen und das Schicksal zu besiegen".

Das ist vorzüglich formuliert, zumal der gesunde Menschenverstand im spanischen Spitzensport ja seit jeher einen schweren Stand hat. Schließlich ist er eine Art natürlicher Feind jenes nationalen Körperwunders, das sich dort unter dem Jubelbegriff generacíon de oro (Generation Gold) versammelt und sehr erstaunliche Leistungen in Kernsportbereichen vom Fußball über Leichtathletik bis zum Radsport hervorgebracht hat.

Dass in die Ära dieses aus dem Nichts erblühten Sportwunders auch die Blütezeit einer nationalen Dopingmedizin mit globaler Wirkkraft fällt, für die der Name Fuentes steht, ist gewiss Zufall - das sollte den gesunden Menschenverstand nicht allzu sehr strapazieren. So wenig wie der Umstand, dass sich unter Hunderten bei Fuentes sichergestellten Blutbeuteln auch solche mit der Beschriftung "A.C." fanden. Ob dies für Alberto Contador stand? Es lässt sich nicht mehr nachhalten, weil just diese Beutel flott von der Asservatenliste verschwanden.

Überhaupt, seit Jahren verweigert Spanien die Herausgabe brisanter Ermittlungspapiere zur Tätigkeit von Fuentes & Co. bei Rad-, Fußball- und anderen Profis an die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Warum? Das lässt sich denken. Außerhalb Spaniens, dort, wo der gesunde Menschenverstand noch in Kraft ist.

© SZ vom 07.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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