DFB-Team in der EM-Qualifikation:Wenn der Kaiser den Motzki rügt

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Mats Hummels (l.) musste sich vom Kollegen Jérôme Boateng wegen eines "Anfängerfehlers" tadeln lassen. (Foto: Mats Hummels/AP)

Mats Hummels und Jérôme Boateng bleiben ein Paar, trotz allem. Thomas Müller trifft fast immer. Und Toni Kroos taugt nicht als Balldieb.

Von Maik Rosner, Leipzig/München

Sie brauchen tatsächlich dieses mutmaßlich letzte Spiel, am Sonntag in Leipzig. Zwar reicht der deutschen Nationalmannschaft ein Punkt gegen Georgien, doch für einen Weltmeister ist es eine erstaunlich knifflige EM-Qualifikation, die schleppend begann, mit Turbulenzen in der Defensive weiterging, danach souverän gemeistert zu werden schien und nun ein unerwartetes Endspiel gegen Georgien bereithält. Zeit für eine Bilanz, Mann(schaftsteil) für Mann(schaftsteil).

Tor: Mit Neuer nach Tibet 2034

Die Position des Torwarts bereitet Joachim Löw traditionell wenig Kopfzerbrechen, zumindest, was die Nummer eins angeht. Der Bundestrainer steht allerdings vor dem kuriosen Dilemma, dass er im Torwartland Deutschland ständig ungefähr fünf bis neun Torhüter nominieren und auch recht gefahrlos einsetzen könnte, sich aber nur für eine einzige Nummer eins entscheiden kann. Er hat diese in Manuel Neuer bis ungefähr zur WM 2034 in Tibet gefunden. Der Bayern-Torwart hält, wie beim 3:2-Sieg in Schottland, zwar nicht immer ganz so gut, wie er kann, aber meistens besser als alle anderen.

Neben Marc-André ter Stegen war in Irland erstmals Bernd Leno dabei, obwohl er sich am Tag nach seiner Nominierung gleich einmal ein Eigentor bei Bayer Leverkusen eingehandelt hatte. Er wird ähnlich wie ter Stegen sehr geduldig sein müssen. Und hat zuletzt an Roman Weidenfeller gesehen, wohin das führen kann. Die neue Dortmunder Nummer zwei durfte als Lohn für seinen vorbildlich ruhigen WM-Reservistendienst beim 7:0 in Gibraltar für Neuer ran - und zeichnete sich bei seinem erstaunlich arbeitsamen Abschied aus der Nationalelf mit mehreren Paraden gegen die Amateure vom Affenfelsen aus. Er durfte zwar mit sich nach seinem fünften und voraussichtlich letzten Einsatz zufrieden sein, aber weniger mit seinen Vorderleuten.

Abwehr: Antilope unter Artenschutz

Die Abwehr hat nicht nur dafür gesorgt, dass Weidenfeller gegen Gibraltar mehr zu tun hatte als erwartet, sondern auch Neuer im Hinspiel. Ließ sie damals beim 4:0 in Nürnberg ja unter anderem zu, dass Liam Walker sich von halblinks aus großer Distanz versuchen durfte und Neuer sich sehr strecken musste. Löw setzte in den beiden Spielen gegen Gibraltar auf eine Dreierkette, vertraute sonst aber einem Viererverbund. Was auch das Quartett nicht davon abhielt, immer mal wieder einige Turbulenzen zuzulassen. Vor allem zu Beginn der Qualifikation, als dem mühevollen 2:1 gegen Schottland eine 0:2-Niederlage in Polen und ein 1:1 gegen Irland in der Arena auf Schalke folgten.

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Die Abwehr ließ sich zudem zuletzt in Irland beim Gegentor von einem schlichten weiten Ball über 70 Meter übertölpeln, weshalb Abwehrchef Jérôme Boateng indirekt "Motzki" Mats Hummels wegen eines "Anfängerfehlers" tadelte. Dabei hatte "Kaiser" Boateng Hummels ja direkt davor bei Bayerns 5:1 gegen Dortmund zwei Mal gezeigt, was weite Bälle bewirken können. Dennoch dürfte das Duo Kaiser und Motzki gesetzt bleiben, weil Deutschland gerade kein ausgeprägtes Innenverteidigerland ist. Ein Außenverteidigerland schon gar nicht, wenngleich Löw zumindest auf der linken Seite Jonas Hector derzeit als ziemlich konkurrenzlos betrachtet. Der Kölner habe seit seinem Debüt im November gegen Gibraltar als Einwechselspieler für Erik Durm "einen großen Sprung gemacht", lobt der Bundestrainer. Hector steht damit gewissermaßen als Antilope des Kaders trotz einzelner Nachlässigkeiten unter Artenschutz.

Auf der rechten Seite fahndet Löw noch nach einer konstanten Besetzung. Experimentierte dort mit Antonio Rüdiger, Shkodran Mustafi, Sebastian Rudy, Emre Can und Matthias Ginter. Betrachtet dies aber "nicht als Problem, sondern als Chance" und richtet sich darauf ein, dass die Suche nach einem Nachfolger für den zurückgetretenen Kapitän vorerst andauern wird. "Wir können nicht erwarten, dass wir einen Weltklassespieler wie Philipp Lahm sofort eins zu eins ersetzen können", sagt Löw.

Mittelfeld: Balljäger und Balldiebe

Das Mittelfeld ist jener Mannschaftsteil, in dem der Bundestrainer jeden Weltklassespieler sofort eins zu eins ersetzen kann. Er verfügt hier ja über eine sagenhafte Auswahl an Feinfüßen, weshalb es auch gar nicht weiter auffällt, dass der neue Kapitän Bastian Schweinsteiger nur vier Qualifikationsspiele bestreiten konnte und die weitere Stammkraft Sami Khedira gar nur eines von Beginn an. Löw kann im defensiven Mittelfeld auch Christoph Kramer, Ilkay Gündogan, Toni Kroos oder Lars Bender recht gefahrlos vertrauen, wobei vor allem Kroos in der Defensivzentrale als Ballverteiler besser funktioniert denn als Balldieb. Er hat dies mit den offensiven Kollegen gemein, von denen sich Löw allerdings zuweilen "mehr Konsequenz" wünscht, vor allem im Abschluss.

Davon durfte sich zuletzt vor allem Mesut Özil angesprochen fühlen. Der Arsenal-Profi war allerdings nicht der Einzige, der beim 0:1 gegen Irland zuweilen schluderte, nicht allein bei den Chancen, sondern auch im Passspiel. Er steht damit für den größten Makel der gesamten Qualifikation. Nämlich für jenen, dass die Hochbegabten ihre besonderen Fähigkeiten manchmal zu verspielt und zu wenig zielgerichtet einsetzen. Das war nicht nur bei den beiden Niederlagen in Polen und in Irland zu beobachten, sondern auch beim 1:1 gegen die Iren, beim 2:0 in Georgien oder beim 3:2 in Schottland. Spiele also, die Löws Elf eigentlich gefahrlos deutlich höher hätte gewinnen können.

Angriff? Seit Kloses Abschied abgeschafft

Der Angriff gilt seit Miroslav Kloses Abschied aus der Nationalmannschaft eigentlich als abgeschafft, weil Deutschland kein klassisches Mittelstürmerland mehr ist. Wohl auch deshalb hat Löw Mario Gomez Hoffnung auf eine Rückkehr gemacht. Man würde sich zuweilen ja schon wünschen, dass vor lauter feinen Pässen auch noch jemand dabei ist, der sich für feine Pässe nur dann interessiert, wenn er sie schnörkellos ins Tor lenken kann. Gomez hat allerdings das Problem, dass er zuweilen schnörkellos daneben schießt. Löw ist deshalb sehr froh, in Thomas Müller einen Spieler gefunden zu haben, der zwar nicht als klassischer Angreifer durchgeht, sich aber wie einer verhalten kann. Müller hat im Laufe der Qualifikation ja Louis van Gaals altes Gesetz erweitert: spielt nun nicht nur immer, sondern trifft auch immer.

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Jedenfalls fast. Er erzielte bereits acht Tore in seinen acht Einsätzen und ist damit der gefährlichste Mittelfeldspieler, der einen Angreifer mimt. Hat in Mario Götze zudem einen Nebenmann, der anders als beim FC Bayern die uneingeschränkte Wertschätzung des Trainers genießt und diese auch mit immerhin drei Toren gerechtfertigt hat. "Er entspricht unserer Philosophie sehr gut. Er kann das, was wir wollen, sehr gut umsetzen", lobt Löw. Götze wird gegen Georgien aber wegen einer Adduktorenverletzung ausfallen und hoffen, dass neben Müller andere verkappte Angreifer wie Marco Reus, André Schürrle, Karim Bellarabi, Kevin Volland oder Max Kruse für Tore sorgen. Damit Deutschland nicht zum Debattenland wird.

© SZ vom 11.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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