DFB-Team bei der Frauen-WM:Tränen statt Trostpreis

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DIe Engländerinnen feiern den dritten Platz, Anja Mittag schleicht sich davon. (Foto: dpa)
  • Die deutschen Fußballerinnen verlieren bei der WM das Spiel um Platz drei gegen England mit 0:1 nach Verlängerung.
  • Die Bilanz ist getrübt: Sorgen macht der schleichende Abwärtstrend seit dem Achtelfinale.
  • Bundestrainerin Silvia Neid will trotzdem weitermachen - und richtet sich an ihre Kritiker.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Frauenfußball-WM in Kanada.

Von Frank Hellmann, Edmonton

Simone Laudehr war direkt mit dem Schlusspfiff auf dem Kunstrasen zusammengesackt. Als würde aus einer aufblasbaren Hüpfburg plötzlich die Luft gelassen, hing sie, das selbst ernannte Kampfschwein, träge auf dem Boden. Arme und Beine von sich gestreckt. Dann begann die 94-fache Nationalspielerin, die 2007 im WM-Finale gegen Brasilien ein weltbekanntes Tor fabriziert hatte, hemmungslos zu weinen. Hinter ihr tanzten die Engländerinnen, ein Gegner, den die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bis dato immer bezwungen hatte, und aus den über der Spielfeldmitte angebrachten Lautsprechern des Commonwealth Stadium von Edmonton dröhnte laute Musik.

Laudehr wollte alleine sein in diesem traurigen Moment, in dem ihr gewahr wurde, dass der aktuelle Jahrgang bei dieser Frauen-WM in Kanada nicht mal mehr gut für einen Trostpreis gewesen ist. Auch als Célia Šašić, die ausgewechselte Torjägerin, zu ihr ging und sie aufrichten wollte, blieb die 28-Jährige sitzen. Und als vor ihren Augen Team England das eilig aufgebaute Podium erklomm, um jubelnd die Bronze-Plaketten abzuholen, da rollte sie sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in den Plastikhalmen. Vermutlich hat sie dabei das künstliche Grün besser befeuchtet als die putzigen Tankwagen, die in der Halbzeitpause herumfuhren.

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"Ein bisschen naiv", kommentiert Trainerin Silvia Neid die entscheidende Szene. Deutschland hat beim kleinen Finale der Fußball-WM mehr Chancen als England, doch ein Tor gelingt nicht. In der Verlängerung unterläuft Tabea Kemme dann ein ungeschicktes Foul im Strafraum.

Von Frank Hellmann

Laudehr wirkt verloren wie die ganze Mannschaft

"Ich wäre gerne mit einem Metallteil nach Hause gekommen", sagte die aus Regensburg stammende Allrounderin, die inzwischen in Frankfurt eine Wahlheimat gefunden hat, in der es ihr - und ihrem Hund - richtig gut gefällt. Die mal beim FC Bayern spielende Laudehr war voller Tatendrang in dieses Turnier gegangen; sie alleine hatte im Achtelfinale an einem schwülen Sommertag in Ottawa mit Schweden Katz und Maus gespielt.

Und jetzt gegen England? Wirkte sie die 120 Minuten am rechten Flügel so verloren wie die ganze Mannschaft. Immer bemüht, stets erfolglos. "Das Spiel ist doch schnell erzählt: Wir haben gekämpft, gefightet, alles gegeben. Aber wir haben keine Tore gemacht und dann kann man kein Spiel gewinnen", sagte Silvia Neid auf der Pressekonferenz. Freimütig gestand die Bundestrainerin ein, dass der von Tabea Kemme verursachte Elfmeter, den Sara Williams in der Verlängerung zum entscheidenden 0:1 nutzte (108.), absolut berechtigt gewesen sei. "Das war sehr naiv. England hat letztlich verdient gewonnen."

Die Bilanz ist nun mehr als getrübt. Weniger der vierte Rang bei dieser WM, sondern der schleichende Abwärtstrend seit dem Achtelfinale macht Sorgen. Über weite Strecken überfordert gegen Frankreich, letztlich verdient bezwungen von den USA, nun vergeblich angerannt gegen England. In drei Partien gelang aus dem Spiel heraus kein Tor. "Letztlich müssen wir festhalten: Je besser der Gegner, desto schwerer haben wir uns getan", räumte Silvia Neid ein. Den Offensivaktionen fehlte es erneut an Esprit, Überraschungsmomenten und Präzision.

Die Technikerin Dzsenifer Marozsán, die für diese Tugenden stehen könnte, verletzte sich früh und verspielte irgendwie im Turnierverlauf das Vertrauen der Trainerin - die 23-Jährige gilt als sensibel. Für sie war bald aus taktischen Erwägungen kein Platz mehr in der Startelf, zumal Deutschland mit seinem kraftvollen Stil die ersten vier Spiele locker durchkam. Aber gegen die hochklassigen Teams tauchten überall auf dem Spielfeld imaginäre Stoppschilder auf.

"Ab dem Achtelfinale haben wir nix mehr gewonnen", räumte Silvia Neid und teilte nun in Edmonton die von führenden Trainern der Frauen-Bundesliga geäußerte Sorge, dass der Anschluss an die Weltspitze verloren geht. "Ja, die Sorge habe ich auch, und deshalb müssen wir über den Tellerrand hinausschauen." Die 51-Jährige appellierte daran, dass jeder im deutschen Frauenfußball seinen Teil dazu beitrage, gegen diesen Trend zu steuern.

Lohnendes Ziel Olympia

Damit rollte sie den Ball direkt zu ihren Kritikern, ganz speziell Colin Bell vom Champions-League-Sieger 1. FFC Frankfurt. "Umso mehr habe ich mich über seine Kritik gewundert, wo wir doch alle in einem Boot sitzen." Sie werde jetzt mit einer Trainercrew, die diese siebte Frauen-WM beobachtet habe, die Trends und Tendenzen bei den Spitzennationen ausloten, "und dann gibt es irgendwann eine Trainertagung, und dann wäre schön, dass wir alle daran arbeiten, dass sich die Spielerinnen weiterentwickeln."

Durch die erreichte Olympia-Qualifikation gibt es auch nach der nächsten Saison noch ein lohnendes Ziel, auch wenn das eingedenk der Begleitumstände olympischer Fußball-Turniere vielleicht weniger verlockend ist als es immer klingt.

Aber Silvia Neid, von DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock bereits gestützt, wird weitermachen. Sie findet, sie habe doch das Beste aus der Situation gemacht. "Wir hatten zehn Tage Vorbereitung - das war's. Und das war keine Vorbereitung, sondern eine Regeneration, weil die Spielerinnen in einem katastrophalen Zustand zu uns gekommen sind. Dafür können wir noch froh sein, so weit gekommen zu sein!" Sätze, über die die nächsten Tage im deutschen Frauenfußball noch diskutiert werden dürfte.

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