DFB-Aufgebot:Löw wechselt in den Kampfmodus

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Joachim Löw hat den Kader für das Länderspiel gegen Chile bekannt gegeben - darunter sind einige Überraschungen. (Archivbild) (Foto: dpa)

Bundestrainer Joachim Löw überrascht mit seinem Aufgebot für das Länderspiel gegen Chile - und lässt ein paar strategische Weichenstellungen erahnen: Seinen Samtfüßen stellt er Rackerer an die Seite. Wenige Monate vor der Fußball-WM kombiniert er Schonung und Warnung.

Von Christof Kneer

Natürlich hätte Joachim Löw das so machen können, wie das Publikum es dank sorgfältig gepflegter Vorurteile von ihm erwartet hätte: Er hätte sich in Freiburg ins Café setzen und zwei bis vier Espressi bestellen können, und zwischendurch hätte er per Kurzanruf die DFB-Pressestelle anweisen können, mal eben auf den üblichen Knopf zu drücken.

Mithilfe dieses Knopfes wäre das Aufgebot der Nationalmannschaft ins Land hinaus gesendet worden, mit all den Künstlernamen, die Löw so schätzt, mit Özil, mit Götze, mit Reus, und natürlich ohne die Kämpfernamen, die Löw weniger schätzt, ohne Kießling, ohne Großkreutz, ohne Lasogga. Man hätte ihm das vielleicht sogar so durchgehen lassen, gut drei Monate vor der WM. Da gilt es, die Reihen zu schließen, sich allmählich in den Tunnel hineinzudenken, an dessen Ende Brasilien liegt. Sicherheit! Vertrauen! Keine Unruhe! Keine Experimente!

Das Aufgebot fürs Testspiel gegen Chile am Mittwoch in Stuttgart wurde zwar tatsächlich per Presseaussendung übermittelt, aber es war definitiv der andere Knopf, den Löw seine Mitarbeiter an diesem Freitag drücken ließ. Zwar verzichtete der Bundestrainer dann doch auf die Einberufung von Stefan Kießling, Michael Ballack und Torsten Frings, aber der Dortmunder Kevin Großkreutz fand sich ebenso im Aufgebot wie HSV-Stürmer Pierre-Michel Lasogga.

Löw hat die Reihen nicht nur nicht geschlossen; er hat sie so weit und so radikal geöffnet, wie das weder von Großkreutz, 25, noch von Lasogga, 22, erwartet worden war - und erst recht nicht von André Hahn, 23, Matthias Ginter, 20, und Shkodran Mustafi, 21, die Löw ebenfalls einbestellte.

Die Nominierung der beiden Innenverteidiger Ginter und Mustafi ist dabei weniger überraschend, als sie klingt: Beide sind Löw und seinem Juniorenteam-Scout Hansi Flick aus der U21 bekannt, ihre Namen sind im kleinen Kreis stets als tauglich veranschlagt worden; aber fürs größere Publikum dürfte vor allem Mustafi ein Rätsel sein. Mit 17 verließ der junge Mann den HSV in Richtung Everton, inzwischen hat er es zum Stammspieler in der Abwehrkette des italienischen Erstligisten Sampdoria Genua gebracht.

"Mit Blick auf die WM dürfen und werden wir keine Kompromisse eingehen, wir müssen nun alles dem Erfolg unterordnen" - mit diesen Worten flankierte Löw sein erstaunliches Personaltableau, in dem nicht nur die aktuell verletzten Thomas Müller, Sami Khedira, Ilkay Gündogan und Sven Bender fehlen, sondern auch die aktuell oder zumindest kürzlich noch angeschlagenen Mario Gomez, Marco Reus, Mats Hummels, Benedikt Höwedes und Julian Draxler. Die aktuelle Situation mit vielen verletzten, kraft- oder formlosen Nationalspielern mache ihn "nachdenklich", hatte Löw vor einigen Tagen gesagt - sein Aufgebot ist eine machtvolle Demonstration dieses Denkprozesses geworden.

Löw ist da ein beachtliches Kunststück gelungen: Er hat es geschafft, Schonung und Warnung zu kombinieren. Künstler wie Reus, der dank allzu lässiger Chancenverwertung im latenten Daddelverdacht steht, dürfen ihre Nichtnominierung gleichermaßen als freundliche Geste wie auch als kleinen Hinweis verstehen.

Löw ist vom Espressomodus in den Kampfmodus gewechselt. Sein Vokabular ist zurzeit frei von Gegenpressing oder flachen Bällen, stattdessen spricht er von "Lösungen für den Ernstfall", "klaren Erwartungen" und Spielern, die schon im Trainingslager in Südtirol "komplett fit und hoch belastbar" sein müssten.

Das klingt eher nach Kaserne als nach Kaffeehaus, was den Eindruck bestätigt, den Insider zuletzt gewonnen hatten: dass Löw alles ausreizt, dass er alles auf Brasilien setzt, dass er so arbeitet, als sei das sein letztes Turnier - was ja auch, trotz Vertrages bis 2016, weiterhin als wahrscheinlich gilt. Dieser Kader sieht nach Zielgeradencoaching aus.

Noch immer hängt Löw das verunglückte EM-Halbfinale gegen Italien nach, aber mit diesem Testkader spielt Löw nun eine Art Gegenpressing: Dieser Kader signalisiert aufs Knackigste, dass der Bundestrainer fest entschlossen ist, keine Option mehr zu verschenken (außer Kießling, Ballack und Frings). Löw hat vor allem die Männerquote im Team erhöht: Seinen Samtfüßen hat er den Rackerer Großkreutz, die Wuchtbrumme Lasogga und den rasenden Hahn an die Seite gestellt.

Hinter all dem Temperament lassen sich aber auch strategische Weichenstellungen erahnen: So dürfte Großkreutz' Rückkehr darauf hindeuten, dass Philipp Lahm künftig auch bei Löw im Mittelfeld Verwendung findet; vermutlich an der Seite von Bastian Schweinsteiger, dessen Rückkehr Löw mit hymnischen Worten begleitet ("Bastian ist ein absoluter Weltklassespieler, der in Brasilien den Unterschied ausmachen kann"). Großkreutz gilt als aufrechter Stellvertreter für die Rechtsverteidiger-Planstelle, die Lahm räumen würde.

Ob Mustafi, Ginter, Lasogga und Hahn wiederkommen dürfen, könnte auch von Lahm, Schweinsteiger und Großkreutz abhängen. Falls Bayern und Dortmund das DFB-Pokalfinale und/oder das Champions-League-Finale erreichen, braucht Löw jeden tauglichen Spieler, um seine Zimmer im WM-Trainingslager in Südtirol vollzubekommen.

© SZ vom 01.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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