Deutsche WM-Duelle gegen Argentinien:Als Maradona Matthäus entwischte

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Mann mit Pokal: Diego Armando Maradona nach dem Endspiel 1986 (Foto: AP)

Trinkverbote, Spickzettel und übles Schuhwerk: Zum dritten Mal stehen sich Deutschland und Argentinien in einem WM-Endspiel gegenüber, historisch waren alle bisherigen WM-Duelle der beiden Länder. Ein Überblick.

Von Andreas Babst und Matthias Schmid

In Rio de Janeiro kommt es am Sonntag zu einer Premiere im Weltfußball. Zum ersten Mal in der Historie begegnen sich zwei Mannschaften zum dritten Mal im WM-Endspiel. Die Bilanz zwischen Deutschland und Argentinien im finalen Spiel ist ausgeglichen, in Mexiko 1986 siegten die Südamerikaner, vier Jahre später in Italien die Mannschaft von Franz Beckenbauer. In der Vergangenheit boten die beiden Teams skurrile und spannende Anekdoten. Welche Geschichte an diesem Sonntag das Endspiel prägen wird, weiß nur der Fußballgott, hier noch einmal alle bisherigen im Überblick.

WM-Vorrunde in Schweden, 8. Juni 1958, 3:1: Der deutsche Bundestrainer Sepp Herberger galt als herausragender Fußballlehrer. Doch auch er soll sich hin und wieder geirrt haben. Zum Beispiel als er seine Spieler anwies, vor dem ersten WM-Spiel gegen den Turnierfavoriten Argentinien so wenig wie möglich zu trinken, um die Sommerhitze in Malmö besser aushalten zu können. Ob es dann am Durst lag, dass die deutsche Elf gegen die Argentinier extrem zu Werke ging? Jedenfalls hatten die Deutschen nach diesem Spiel den Ruf als Treter des Turniers weg. "Sie haben mit ihrer gewalttätigen Spielweise unser Spiel zerstört", beklagte sich der argentinische Nationaltrainer Guillermo Stábile hinterher.

Bei aller Treterei vergaßen die Deutschen aber das Toreschießen nicht: Helmut Rahn traf, wie schon im Finale vor vier Jahren, zweimal, eines erzielte er wunderbar mit dem Außenrist. Und der junge Uwe Seeler ackerte und sprintete im Sturm, als spüre er die Sonne nicht - mit dem 2:1 belohnte er sich selbst. Am Ende siegten die Deutschen 3:1, ihnen machte die Hitze offenbar weniger zu schaffen als den Südamerikanern. Trotz Trinkverbots vom Chef.

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WM-Vorrunde in England, 16. Juli 1966, 0:0: Das Vorrundenspiel gegen Argentinien in der Gruppe 2 blieb den deutschen Spielern noch lange in Erinnerung. Und das lag weniger am Spiel selbst, die trostlose Partie endete 0:0, als vielmehr an den Verletzungen, die die deutschen Kicker um Uwe Seeler und Franz Beckenbauer danach auskurieren mussten. Albert Brüll klagte über eine Oberschenkelzerrung samt Risswunde, auch Helmut Haller, Horst-Dieter Höttges, Wolfgang Weber und Karl-Heinz Schnellinger humpelten. Bei der deutschen Kaffeerunde am Tag danach verstärkte sich der Eindruck, dass die Argentinier ihre Schuhe als Waffen präpariert hatten. Jedenfalls mutmaßten die Spieler, dass die zahlreichen Schrammen an ihren Beinen von Nägeln herrührten, die aus abgewetzten argentinischen Stollen lugten.

Allzu laut wollten sie ihre Vermutung dann doch nicht äußern, weil auch Wolfgang Overath bei einem üblen Revanchefoul Glück hatte, dass ihn Schiedsrichter Konstantin Zecevic nicht genauso vom Platz stellte wie zuvor José Albrecht. "Die Deutschen sind alles großartige Schauspieler", sagte Argentiniens Nationaltrainer Juan Carlo Lorenzo nach der Partie noch. Es war ein Satz, den Helmut Schöns Mannschaft bis zu ihrer umstrittenen Finalniederlage gegen England nicht mehr loswerden sollte.

WM-Endspiel in Mexiko, 29. Juni 1986, 2:3: Eigentlich sollte man als Sportler dem Bundeskanzler nicht unnötig zuwiderreden. Doch am 29. Juni 1986 war Karl-Heinz Rummenigge jegliche Diplomatie fremd. "Bei aller Wertschätzung für ihn", sagte der Stürmer über das persönliche Lob von Helmut Kohl, "das hat uns auch nichts genützt". 2:3 unterlagen die Deutschen in einem hochdramatischen Endspiel Argentinien. Die Partie war eigentlich nach gut einer Stunde schon entschieden, als Jorge Valdano zum 2:0 traf. Doch irgendwie fand die Elf von Franz Beckenbauer in die Partie zurück. Rummenigge und schließlich Rudi Völler bescherten acht Minuten vor dem Ende den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich gegen eine Mannschaft, die in Diego Armando Maradona den besten Spieler des Planeten in ihren Reihen hatten.

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Doch dieser "war heute nicht entscheidend gewesen", bekannte Beckenbauer danach. Lothar Matthäus hatte den Argentinier auf Schritt und Tritt verfolgt, er war sein zweiter Schatten an diesem sonnigen Nachmittag. Nach dem Ausgleich stürmte die deutsche Elf weiter. Mit Hurra ins Verderben. Es war wirklich ein bizarrer Einfall des Fußballgotts, dass ausgerechnet diese Deutschen nun an ihrer Euphorie scheiterten, die doch die ganze WM über hindurch als seelenlose Treter wahrgenommen worden waren, nur auf Verteidigung bedacht. Jorge Burruchaga erzielte nur drei Minuten nach Völlers Tor den Siegtreffer für Argentinien - nach einem feinen Zuspiel von Maradona. "Nach dem 2:2 haben wir gemeint, jetzt holen wir den Pott in der regulären Spielzeit", sagte Matthäus. Doch am Ende reckte sein Gegenspieler den WM-Pokal als Erster in den Himmel von Mexiko-Stadt.

WM-Endspiel in Italien, 8. Juli 1990, 1:0: Es war sein Turnier, Lothar Matthäus hat die WM 1990 mit seiner Dynamik, mit seiner Präsenz so geprägt wie vier Jahre zuvor Diego Armando Maradona. Und so wäre Matthäus der logische Held gewesen. Niemand anders. Doch Matthäus schoss nicht. Er überließ stattdessen Andreas Brehme den Elfmeter, der der deutschen Mannschaft fünf Minuten vor dem Ende in Rom den dritten WM-Titel bescheren sollte. Denn ein kleines Detail wollte sich nicht in diese wunderbare Geschichte fügen. Die Stollen waren aus seinem Schuh gebrochen, den er schon vier Jahre getragen hatte. "Ich musste zur Halbzeit den Schuh wechseln", sagte Matthäus hinterher, "und deswegen war ich mir nicht mehr sicher."

Brehme, sein damaliger Klubkollege von Inter Mailand, war sich sicher. Warum, erklärte Brehme später so: "Man muss sagen: Ich will! Ich will, ich will, ich will! Jeder Elfmeter muss drin sein. Muss!" Oft hat Brehme über diesen Moment erzählen müssen. Fünf Schritte Anlauf, mit rechts schiebt er den Ball flach ins linke Eck, unerreichbar für den argentinischen Torhüter Sergio Goycochea. Und der Druck? Ach, der Druck, antwortete Brehme dann. "Ich habe nicht daran gedacht, was dieser Elfmeter für eine Bedeutung hatte. Ich habe gar nichts gedacht." Lothar Matthäus war zwar der auffälligste Spieler in der deutschen Mannschaft, "der perfekteste war aber Andreas Brehme", sagte Teamchef Franz Beckenbauer.

WM-Viertelfinale in Deutschland, 30. Juni 2006, 5:3 nach Elfmeterschießen: Jedes Spiel hat einen Protagonisten, der es prägt. Wenn Argentinien spielt, ist es heute meist Lionel Messi. Der saß aber in diesem Viertelfinale in Berlin 120 Minuten auf der Bank - sein Trainer José Pekerman hatte es verpasst, den damals 19-Jährigen einzuwechseln. So wurde ein anderer Spieler die prägende Figur an diesem Nachmittag: Torwart Jens Lehman, oder besser noch: Jens Lehmans Spickzettel. Als es nach der Verlängerung immer noch 1:1 stand und das Elfmeterschießen anstand, machte sich der Deutsche auf den Weg zum Tor, in den Händen hielt er ein Stück Papier.

Darauf hatte sein Torwart-Trainer Andreas Köpke die Schussgewohnheiten der Südamerikaner notiert. Nach eingehendem Studium verstaute Lehmann das Zettelchen in seinen Stutzen. Doch nach zwei Stunden Spielzeit schien seine Konzentration schon ein wenig nachzulassen; noch zweimal kramte er den Spickzettel hervor und las ihn demonstrativ auf der Torlinie - vor den Augen der argentinischen Schützen. Der Trick funktionierte. Beide Male hielt Lehmann den Elfmeter. Deutschland zog ins Halbfinale ein.

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WM-Viertelfinale in Südafrika, 3. Juli 2010, 4:0: 2010 war in Südafrika alles für die große Revanche zwischen Argentinien und Deutschland angerichtet. Der argentinische Trainer Diego Maradona geizte vor der Partie nicht mit markigen Worten; er appellierte an den Nationalstolz und kündigte an, dass die Deutschen den Argentiniern nur hinterherrennen würden. Das Häufchen Elend, das nach dem Spiel in der Pressekonferenz saß, hatte dann wenig mit Großspurigem gemein.

0:4 wurde Maradonas Mannschaft von den Deutschen gedemütigt, Maradona rang nach dem neuerlichen Aus im Viertelfinale nach Worten. Er hätte auch sagen können: "Die Deutschen spielten schlicht grandios." Das Tat er aber natürlich nicht. Dabei war es so gewesen: Die Elf von Joachim Löw ließ den Argentiniern keine Chance und war spielerisch und kämpferisch so überlegen, dass sogar Verteidiger Arne Friedrich sein erstes Länderspieltor feiern durfte. Thomas Müller und zweimal Miroslav Klose erzielten die weiteren Tore in einem Spiel, das Maradona nicht so schnell vergessen wird. Auch weil er taktische Fehler machte. Doch die ließ er unerwähnt.

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