Deutsche Nationalmannschaft:Nicht zu sehr auf die Schultern klopfen

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Deutsche Auswahl beim Confed Cup: Zeigt Qualitäten für die Zukunft (Foto: AP)

Zwei Mal im Finale: Es sieht gut aus für den deutschen Fußball, doch der DFB muss eine hohe Frequenz anschlagen, um in der Weltspitze mithalten zu können.

Kommentar von Martin Schneider, Sotschi

Vielleicht muss man in dieser Stunde, in der alles beim deutschen Fußball zu funktionieren scheint, an das 1:8 gegen England erinnern. Es ist gar nicht lange her, da trat die deutsche U17 im Oktober 2016 bei einem Vier-Nationen-Turnier in Kroatien an, offiziell war es ein Freundschaftsspiel. Wenn es aber in einem solchen zur Halbzeit schon 1:6 steht, dann sind das auch bei einem Testkick ein paar Gegentore zu viel. Nach acht Minuten stand es übrigens 0:2. Das erscheint nach einem Confed-Cup-Halbfinale gegen Mexiko, in dem es nach acht Minuten 2:0 für die deutsche Nationalelf stand, ganz weit weg zu sein.

Eine Prognose zum deutschen Fußball als Ganzes liegt nahe an solchen Tagen, wenn die U-21-Nationalmannschaft im EM-Finale gegen Spanien spielt und die Ü-21-Nationalmannschaft sich für das Confed-Cup-Finale gegen Chile qualifiziert hat. Zumal in diesem Kader auch noch acht Spieler dabei sind, die für die U 21 spielberechtigt gewesen wären. In diesen Tagen möchte man etwas von der goldenen Zukunft des DFB schreiben, von der Tiefe des Talentepools, der Qulität der Ausbildung und den alten Beckenbauer-Spruch nach der WM 1990 rauskramen, der die Satzteile "auf Jahre" und "unbesiegbar" enthielt.

Eine realistischere Einschätzung wäre: Der DFB steht gut da. Aber schaut man sich die Konkurrenz an, ist das fast zwingend nötig, um weiter den Anspruch auf einen Weltmeister-Titel zu haben.

Bierhoff: "Wir sind zu systemverhaftet"

Oliver Bierhoff scheint das zu wissen. Vor dem Confed Cup und der U-21-EM gab er dem Hamburger Abendblatt ein Interview, in dem er fast schon alarmistische Töne anschlug. "Es gibt Tendenzen, die einen zum Nachdenken bringen", sagte er dort. Man müsse aufpassen, dass man Entwicklungen nicht verschlafe. Und wurde konkret: "Wir haben sehr viele ähnliche Spielertypen, zu wenig Vielfalt in der Ausgestaltung der Persönlichkeiten. Wir sind zu systemverhaftet und haben dabei individuelle Stärken wie Dribbling, Kopfballspiel oder Abwehrverhalten vernachlässigt. Diese Themen müssen wir aufgreifen und korrigieren."

Und auch, wenn er vor allem im Punkt "Persönlichkeiten" seine Aussage angesichts von Spielern wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka in den Interviews nach den Confed-Cup-Spielen relativiert hat, so fiel doch auf, dass er das Lob für den DFB-Doppelplan zu den beiden Turnieren nicht uneingeschränkt annehmen wollte. Man müsse auch schauen, was bei der U 15 und U 17 passiert, sagte er nach dem Kamerun-Spiel etwa. Und was die Konkurrenz mache.

Die Konkurrenz, das sind neben dem wiedererstarkten Italien die großen europäischen Fußballnationen England, Spanien und Frankreich. Spanien ist im Finale mit den beiden Ausnahmewirblern Saúl Niguez und Marco Acensio der Favorit. Und Frankreich hat es in den vergangenen Jahren geschafft, eine Kaderbreite zu entwickeln, die der des DFB allermindestens ebenbürtig ist. Bei der U-19-Fußball-EM im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg wuselte ein gewisser Kylian Mbappé durch Heidenheim und Aalen. Mittlerweile bietet Real Madrid Fabelsummen für ihn. Als bester Spieler wurde allerdings Jean-Kévin Augustin ausgezeichnet. Er spielt bei Paris Saint-Germain. Und ein Ousmane Dembélé hat so ganz nebenher auch noch keine große Karriere in der A-Nationalmannschaft hingelegt. Bayern München hat gerade über 40 Millionen Euro für einen Corentin Tolisso bezahlt. Die Liste ließe sich fortführen.

Zwei Finals, da mag man nicht meckern

Vor allem gewinnen die Fußball-Nachbarn Titel. Frankreich (2013) und England (2017) wurden U 20-Weltmeister, auf europäischer Ebene sammeln diese Länder in den Jahrgängen U 17, U 19 und U 20 Titel. Seitdem EM-Titel von Schweden mit Manuel Neuer, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes, Sami Khedira und Mesut Özil hat der DFB eine Trophäe geholt - die U-19-EM 2014 mit Julian Brandt und Joshua Kimmich. 2015 und 2016 gewannen übrigens Spanien und Frankreich dieses Turnier. Die Sieger der letzten U-17-EMs? England, Frankreich, Portugal, Spanien.

Der DFB darf sich zurecht auf die Schultern klopfen, wie er diesen Zwischensommer moderiert und geplant hat. Zwei Mannschaften, zwei Finals, einen ganzen Haufen hochtalentierter Spieler. Da mag man nicht meckern. Man sollte aber nicht auf die Idee kommen, dass der deutsche Fußball in diesem Wettrennen der Talente einen Riesenvorsprung hat. Er muss eher dieses mörderische Tempo anschlagen, um vorne überhaupt mitzuhalten.

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