Deutsche beim Neujahrsspringen:Meter um Meter herangepirscht

Lesezeit: 3 min

Severin Freund: Schon besser als in Oberstdorf (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Mit dem Podest haben die Deutschen auch beim Neujahrsspringen nichts zu tun - aber Severin Freund und Richard Freitag zeigen einen kleinen Aufwärtstrend.
  • Norweger Jacobsen überrascht mit seinem Sieg nach einigen Rückschlägen.
  • Auch Marinus Kraus präsentiert sich stark.

Von Volker Kreisl, Garmisch-Partenkirchen

Es war, als hätte sich ein Vorhang geöffnet, als hätte jemand ein paar zusätzliche Bühnenstrahler angeknipst. Über Nacht waren die Wolken über Garmisch-Partenkirchen verschwunden, nach Tagen des Dauerschneefalls erschien die Sonne über den Bergen, und sie beleuchtete jeden Winkel der Bühne auf der Olympiaschanze.

Dort oben, kurz vor dem Neujahrsspringen, der zweiten Station der Vierschanzentournee, standen die deutschen Skispringer voller Energie für ihre neue Aufgabe. Nachdem die Mission Gesamtsieg bereits in Oberstdorf schiefgelaufen war, sollte nun Wiedergutmachung erfolgen, oder, wie Bundestrainer Werner Schuster sagte: der Beweis, "dass wir da oben hingehören".

Das war der große Vorsatz, die Umsetzung funktionierte dann nur partiell. Richard Freitag und Severin Freund steigerten sich in Garmisch-Partenkirchen Meter um Meter, am Ende belegten sie die Plätze neun und zehn. "Mit unseren beiden Topleuten ist es ein bisschen verhext. Sie kämpfen, sie gehen aufs Ganze, aber es reicht nicht. Das war kein berauschendes Ergebnis, wenn man die nackten Zahlen sieht", sagte Bundestrainer Werner Schuster drei Tage nach dem Debakel in Oberstdorf, wo keiner seiner Springer in die Top Ten geflogen war. Der Rückstand im Gesamtklassement - nun mehr als 45 Punkte - schmilzt nicht, sondern wächst an, aber auch die erhofften kleinen Fortschritte stellen sich eher zäh ein: "Es war wieder nicht das wahnsinnige Ergebnis", sagte Severin Freund, "und wieder nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Aber es geht jeden Tag ein bisschen besser." Was ein Befreiungsschlag für die enttäuschte Seele ist, das hatten die Springer auf dem ersten, zweiten und vierten Platz demonstriert. Gewonnen hat in Garmisch Anders Jacobsen, der Tourneesieger von 2007 und gelernte Klempner aus Norwegen. Er zeigte in allen Sprüngen Bestleistung, nachdem er nach seiner Knieoperation zunächst nicht in Form gekommen war. Auf Platz zwei kam Simon Ammann aus der Schweiz, der nach seinem Sturz von Oberstdorf den ersehnten Tourneesieg wie die Deutschen vergessen musste, aber mit Sprüngen auf 138 und 133 Metern seine alte Sicherheit wiederfand.

Und Gregor Schlierenzauer aus Österreich, dem nächsten früh Abgehängten unter den Favoriten, entfuhr nach seinem 139,5-Meter-Satz eine Kurbelhand als Jubelgeste. Als oberstes Trio im Gesamtklassement haben sich die Österreicher Stefan Kraft und Michael Hayböck sowie der dazwischen auf Platz zwei liegende Peter Prevc aus Slowenien festgesetzt. Jacobsen als Vierter müsste in Innsbruck und Bischofshofen seinen erstaunlichen Aufschwung weiter fortsetzen, um den Dreien noch nahe zu kommen.

Für Schusters Athleten war es also wie erwartet keine furiose Aufholjagd im Ranking, sondern ein kleiner Schritt in Richtung jener guten Form aus der gefühlt weit zurückliegenden Zeit vor Weihnachten, ehe diese Tournee begann. Freund und Freitag gelangen nun bessere Absprünge und größere Weiten, auch wenn sie in der Luft wieder kleine Fehler machten.

Begonnen hatte die langwierige Stabilisierung des deutschen Teams offenbar sofort nach dem großen Rückschlag - nämlich im dichten Schneetreiben auf der Fahrt von Oberstdorf nach Garmisch in der Nacht zum Dienstag. "Diese Fahrt hat lange genug gedauert im Schneegestöber, da hatte man Zeit, die Gedanken sacken zu lassen", erzählt Schuster. Als die bösen Gedanken verflogen waren, ging es darum, den eigenen Rhythmus nicht mehr durch neue Störungen beeinflussen zu lassen.

Zum Beispiel auch nicht durch den Anblick der Überreste eines Sattelschleppers unten am Stadion. In dessen Hinteraufbau befand sich ein großes Loch, weil in der folgenden Schneenacht eine Lok hindurchgerast war. Der Lkw war auf dem Bahnübergang direkt neben dem Stadion im Schnee hängen geblieben, der Lokführer konnte nicht mehr bremsen. Ernsthaft verletzt wurde niemand, allerdings war der Großteil der Kameras und der Sendetechnik Schrott, der sich im Lkw befunden hatte. Doch immerhin - neues Material wurde rechtzeitig beschafft, und der zwischenzeitlich im Schnee versunkene Skispringer-Lift funktionierte auch wieder rechtzeitig.

Severin Freund trainierte solide, es wäre aber auch eine Überraschung, flöge er ausgerechnet in Garmisch-Partenkirchen allen davon. Denn auch wenn er sich sukzessive steigerte, immer bessere Trainingssprünge zustande brachte, so bleibt die Olympiaschanze doch eher eine Fremde für den Skiflugweltmeister aus Rastbüchl.

Vision von der obersten Liga

Er hatte sich im vergangenen Sommer bei einigen Sondereinheiten noch einmal versucht, auf die Eigenheiten dieser Schanze einzustellen, über deren Vorbau mit seinem kurzen Radius aggressiver hinüberzuspringen, um nicht wie in den vergangenen Jahren, zu früh herabzufallen. "Es bringt nix, wenn man nur vorne rausstolpert und Skifliegen will", sagte er, "genauso wenig, wie wenn man zu lange am Absprungtisch stehen bleibt, dann holt es einen auch schneller runter."

Es hat ihn diesmal nicht zu schnell heruntergeholt, auch nicht Richard Freitag und Marinus Kraus, den Oberaudorfer, der sich nach dem Beinahe-Absturz im Wind von Oberstdorf gesteigert hatte, 13. wurde und ebenso überzeugte wie der 22 Jahre alte Stephan Leyhe, der auf Platz 16 kam. Die Springer von Werner Schuster haben sich gesteigert, doch wollen sie zurück in die oberste Liga, dann darf es sie nicht nur etwas später - sondern erst ganz am Ende des Fluges herunterholen.

Für die nächste Station in Innsbruck wird sich die Mannschaft verändern. Team-Olympiasieger Andreas Wank soll nach schwachen Auftritten im Continental-Cup weiterspringen, auf den formschwachen Markus Eisenbichler will Schuster aber noch setzen. Nachwuchsspringer Daniel Wenig, der die besseren Sprünge gezeigt hatte, wird Wank ersetzen. Schuster sagte: "Wanks Olympia-Bonus ist aufgebraucht. Er kommt nicht vom Fleck. Man hat nicht das Gefühl, dass er noch eine Rakete zünden kann." Endlich die nächste Raketenstufe zu zünden, das wünschen sich derzeit alle im deutschen Skisprungteam.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: