Denise Herrmann:Starke Lunge, nervöser Finger

Lesezeit: 4 min

Denise Herrmann in Hochfilzen. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • In nur 18 Monaten hat Denise Herrmann erfolgreich von der Langläuferin zur Biathletin umgeschult.
  • Sie ist nun sogar eine Siegläuferin im Biathlon - und hat noch Steigerungspotential.

Von Volker Kreisl, Hochfilzen

Denise Herrmann war sehr lange Langläuferin, da kann man schon mal ein Ziellinien-Problem davontragen. Im Langlauf hängen tendenziell die Sportler aus Schneenationen jene ab, die aus Ländern stammen, deren Wiesen auch im Winter immer häufiger grün schimmern. Im Wettkampf führt das meistens dazu, dass selbst mitteleuropäische Hochkaräter die Ziellinie erst dann sehen, wenn skandinavische Läufer dort schon ihre Spur hinterlassen haben.

Irgendwas hat das in Denise Herrmann ausgelöst, vielleicht kein Trauma, aber doch eine Art offene Rechnung im Hinterkopf. Als Langläuferin war die 28-Jährige auch schon sehr schnell, doch erst in der vergangenen Woche, in Östersund/ Schweden, da passierte es. Herrmann bog um die letzte Kurve, sie schaute sich noch einmal um, sie war tatsächlich auf dem Weg zum Ziel. Und vor ihr erstreckte sich glatter, weißer, gänzlich unbefahrener Schnee, dahinter lag eine frische Ziellinie und drumrum lärmte ein richtig großes Weltcup-Publikum. Endlich kam sie als Erste an, "davon hab' ich immer geträumt", sagt Herrmann. Alles wurde auch so, wie sie es sich ausgemalt hatte, nur: Mittlerweile hat sie auch noch ein Gewehr dabei.

Effizienter und gut organisierter Langlauf-Biathlon-Umstieg

Selten hat es einen derart effizienten, gut organisierten und daher auch rasant verlaufenen Langlauf-Biathlon-Umstieg gegeben. Kati Wilhelm und Evi Sachenbacher zum Beispiel brauchten länger, bis sie in die Weltspitze aufrückten, Herrmann hat vor rund 18 Monaten ihren ersten Schuss gesetzt, und vor einem halben Jahr erst ihren eigenen Gewehrschaft maßangefertigt bekommen.

Denise Herrmann
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Die ehemalige Langläuferin Denise Herrmann feiert im Sprint ihren ersten Weltcup-Sieg. Bei den Männern überzeugt Erik Lesser.

Schon nach einem halben Jahr absolvierte sie die ersten Rennen, gewann zum Auftakt, steckte aber auch bald Niederlagen ein. Logisch, dachte man, sie gehört eben wie alle Biathlon-Lehrlinge noch eine Weile in den zweitklassigen IBU-Cup. Doch dann brach die Saison 2017/2018 an, und Herrmann gewann in Östersund erst einen Sprint (bei dem gestaffelt gestartet wird, also noch kein Ziellinienerlebnis), und dann noch die Verfolgung. Und jetzt ist alles anders.

Biathlon ist der Lieblingswintersport der Deutschen. An Herrmanns Fersen heften sich ab sofort nicht nur die Konkurrentinnen im Rennen und danach das Begleitpersonal für Dopingtests, Medientermine und Zeremonien, sondern auch immer mehr Reporter - für Biathlon-Portale, für Regionalzeitungen aus ihrer Heimat Sachsen, aber auch von Nachrichtenmagazinen. Vom wackeligen Geheimtipp, dessen Aufgehen nicht absehbar war, wurde sie über zwei Nächte zur Siegläuferin. Auch die Tatsache, dass sie nun am Freitag im Sprint von Hochfilzen bei Schneetreiben vier Fehler schoss, dürfte so schnell nichts daran ändern, dass ihr Potenzial das deutsche Frauen-Team für Olympia in die Favoritenrolle bringt.

Denn da ist ja noch Laura Dahlmeier, 24, aktuell fünffache Weltmeisterin, die nach ihrer Erkältung am Freitag mit einem 16. Platz in die Saison einstieg. Die beiden werden sich womöglich ab sofort ein internes, befruchtendes Duell liefern. Herrmann sagt: "Ich bin schon ein bisschen auf 'ne Challenge aus, ich laufe gerne direkt Frau gegen Frau." Davon profitiert mal die eine mehr, mal die andere, einer profitiert aber immer: Der Deutsche Skiverband (DSV), dessen Frauenteam bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi ohne Medaille geblieben war.

Herrmanns plötzliche Attraktivität hat auch mit einem Phänomen zu tun, das einst zum großen Erfolg der Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner beitrug, an dem andere Biathletinnen aber auch gescheitert sind: Die Kombination aus starker Lunge und nervösem Zeigefinger. Nichts bringt mehr Spannung, als eine Läuferin, die am Schießstand fehlbar ist, die aber dann von Zwischenzeit zu Zwischenzeit ihren Rückstand wieder aufholt. Neuner hatte teils sogar Halbe-Runden-Abstände bis zum Ziel weggeputzt, Miriam Gössner dagegen scheiterte irgendwann unter dem Erwartungsdruck am Schießstand, und Herrmann hat fürs Erste gezeigt: Auch mit einem Fehler gewinnt sie, vielleicht sogar mit zweien.

Anders als Evi Sachenbacher vor fünf Jahren hat es Herrmann geschafft, trotz der aufwendigen Fortbildung im Schießen ihre Laufform einigermaßen zu erhalten. Als Langläuferin war sie Sprinterin, hatte im Winter 2013/2014 einige Weltcuppodestplätze erreicht und dabei mehrmals auch einige der führenden Norwegerinnen um Marit Björgen hinter sich gelassen. Die Saison beendete sie damals auf dem neunten Platz in der Gesamtwertung. Doch schon damals spielte sie mit dem Gedanken umzusteigen, konnte sich aber zunächst nicht entscheiden, und entschloss sich dazu erst im Frühjahr 2016, als sie schon 26 Jahre alt war. Falls sie noch fürs Olympiateam in Frage kommen wollte, war das die letzte Gelegenheit.

Schießen hat sie schon immer fasziniert, "ich habe eine Affinität dazu", sagt Herrmann. Allerdings: Will man treffen, muss man sich damit sehr lange beschäftigen - im normalen Training, bei Extra-Einheiten in Laser-Schießanlagen, oder im Hotelzimmer beim Abziehen ohne Patrone. Eine Waffe ist eben kein Skistock. Man muss ständig auf die Technik aufpassen, sonst schießt man noch versehentlich durch eine Holzwand und wird für ein Rennen gesperrt, wie es sogar der Olympiasiegerin Andrea Henkel einmal passiert ist. Überhaupt - alles koste viel Zeit, sagt Herrmann, "bis du am Schießstand alles hergerichtet hast, die ganze Vor- und Nachbereitung". Im übrigen gibt's mehr zu schleppen: "Bepackt bin ich auch wie'n Esel."

Trotzdem kombiniert sie jetzt zwei Extreme: Beruhigung und Verausgabung und Beruhigung und wieder Verausgabung, bis zum letzten Meter.

In ihrer Zeit als Langläuferin hatte Denise Herrmann durchaus mehrmals die Ziellinie als Erste vor der Nase. Nur, Langlaufsprints werden in K.-o.-Runden ausgetragen, und ein gewonnenes Viertel- oder Halbfinale bringt einer ehrgeizigen Läuferin wie Herrmann eben auch kein echtes Ziellinienglück. Dazu hätte es schon ein Sieg im Finish eines Finales gebraucht, zum Beispiel im Februar 2014, als Herrmann so nah dran war wie nie. Im Zielsprint hatte sie alles richtig gemacht, war gleichauf geblieben mit ihrer Gegnerin, aber die hieß eben Marit Björgen, und so gut wie die konnte niemand sprinten.

Herrmann, die sich in ihrem Ehrgeiz so was merkt, wurde wieder nur Zweite, nur eine Sekunde fehlte ihr. Aber wer weiß - manche Niederlagen führen irgendwann doch zu außerordentlichen Leistungen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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