Champions League: Die Taktik:Beherrschen und Verderben

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Van Gaals Kleinkunst gegen Mourinhos Giftcocktails: Das Aufeinandertreffen der befreundeten Taktik-Großmeister ist auch ein Wettstreit ihrer Systeme.

Moritz Kielbassa

Gründlich, strebsam, bescheiden. So, sagt Louis van Gaal, habe er den jungen José Mourinho in Erinnerung, der klein anfing beim FC Barcelona: als Übersetzer und Scout. Als van Gaal 1997 zu den Katalanen kam, beförderte er den Portugiesen zum Assistenzcoach, Mourinho half ihm beim Spanisch-Lernen und analysierte die nächsten Gegner. Heute zählen beide, van Gaal, 58, und Mourinho, 47, zu den wenigen Trainer-Autoritäten Europas, die Mannschaften eine markante Handschrift geben. 13Jahre nach ihrem Kennenlernen streiten die befreundeten Strategen um die Champions-League-Krone, und auch wenn sie sich charakterlich ähneln, wird man eines beim Finale des FC Bayern gegen Inter kaum erkennen: Dass der eine mal der Lehrling des anderen war.

Alphatiere mit unterschiedlichen Philosophien: Louis van Gaal (li.) und José Mourinho, hier während ihrer gemeinsamen Zeit in Barcelona. (Foto: Foto: Reuters)

Die Alpha-Gene selbstbewusster Anführer besitzen beide. Fußball nach Plan und Raumordnung zu lehren, bis ins Detail, auch das verbindet die Besessenen. Doch ihre Baupläne sind verschieden. "José will gewinnen. Ich will gewinnen - und schön spielen. Mein Weg ist schwieriger", findet van Gaal. Dem Ästheten aus Amsterdam verdankt der ehemals pragmatisch siegende FC Bayern seinen neuen attraktiven Stil, ausgerichtet auf Dominanz, hohes Spieltempo und ein Maximum an Ballbesitz - auch mit jungen, einheimischen Profis. Mourinho, dessen Elf mit mehr Erfahrung, aber ohne Italiener antritt, schert sich nicht um Kleinkunstpreise. Seine wichtigsten Zutaten sind physische Wucht und perfektionierte Defensive - während sich van Gaal schon vor 15 Jahren den Kopf zerbrach, wie man auf moderne Abwehrbollwerke offensive Antworten findet.

Obwohl Inter Favorit ist, könnten die Bayern mit ihren Ballkreisläufen das Finale diktieren. Die Mailänder sind eher Spielverderber - aber auf hohem Niveau. Mourinho steht für veredelten Konterfußball. Zwar verteidigen meist zehn Mann hinter dem Ball, und viele Angriffe werden nur zu dritt oder zu viert vorgetragen (der Rest hält die Ordnung). Doch Inter geht technisch gepflegt mit der Kugel um, und aus rasantem Umschalten nach Ballgewinn entstehen sehenswerte Momente, wie etwa die Tore im ersten Halbfinale gegen Barcelona (3:1), gestaltet vor allem von den Offensiv-Größen Eto'o, Milito und Sneijder.

Lúcio befehligt die Inter-Abwehr

Beim Rückspiel (0:1) verschanzte sich Inter hinten. Barças Super-Dribbler Messi sah sich von einem Käfig mehrerer Mailänder umgeben, die Passwege zu ihm schnitt ein kompaktes Mittelfeld ab. Bayerns Besten, Rechtsaußen Arjen Robben, sollen wohl Chivu und Routinier Zanetti, 36, ruhigstellen. Auch Inters Außenangreifer arbeiten emsig nach hinten mit. Verschiedene Systemvarianten und besondere Einfälle sind bei Mourinho jederzeit möglich, er mischt seine Giftcocktails aus taktischen Kniffen, gezielt eingesetzt gegen Stärken des Gegners, und verbalen Sticheleien.

Im Finale könnte die robuste, vom Ex-Münchner Lúcio befehligte Abwehr ähnlich hoch verteidigen wie zeitweise im ersten Spiel gegen Barcelona. Mourinho, der die Bayern im Training imitieren ließ, will so Ballverluste nahe der Mittellinie provozieren, um dann überfallartig das Zentrum zu durchstoßen und die Angreifer in aussichtsreiche Eins-gegen-eins-Duelle gegen Münchens Verteidiger (Demichelis, van Buyten) zu schicken.

Die Bayern wollen auch im Spiel des Jahres ihren erlernten Zickzack-Fußball zeigen: geduldiges Ballhalten mit vielen Seitenwechseln, bis sich die Lücke für einen Diagonalpass öffnet, der den Impuls zur Toraktion gibt. Inter will diese Pässe im Abwehrgitter verschlucken. Und zu frühes, naives Attackieren gegen einen Dribbler wie Robben dürfte man bei Mourinho-Verteidigern selten sehen. Sie weichen zurück, verdichten die Räume.

Mourinho richtet seine Rezepte am Gegner aus. Sein ehemaliger Lehrmeister tut das nicht, van Gaal will sein Spiel durchbringen, jeden Gegner beherrschen. Zwar ließ er Inter durch Spion Egon Coordes beobachten, mit überraschenden Schachzügen rechnet aber niemand. Dass Bayerns Spielweise bekannt ist, schadete zuletzt nicht. Und der Double-Gewinner hat sich neben seinem unbeugsamen Willen inzwischen auch eine kollektive Unberechenbarkeit angeeignet. Die Laufwege des energiegeladenen Torjäger-Trios Olic/ Müller/Robben und ihr unermüdliches Pressing könnten sogar Inters Abwehr zusetzen und in unerwarteten Momenten Gefahr erzeugen - zumal sich der anfangs arg eigensinnige Robben immer besser ins Gruppenkonzept einbringt.

Vor dem Finale erzählte van Gaal noch mal die Genese seiner Erfolgself: dass nur Ribérys Abneigung gegen die ihm anfangs zugedachte Zehner-Rolle den Zukauf Robbens und die heutige Erfolgsformel 4-4-1-1 ermöglicht hatte. Nun ist Müller Dauerrenner und hängende Spitze. Das Spiel wird geprägt von der Flügelzange auf den Halbpositionen (links soll in Madrid der fleißige Altintop den gesperrten Ribéry ersetzen) - und von van Bommel und Schweinsteiger in der Zentrale, die Querpässe nicht mehr als Mittel der drögen Ergebnisverwaltung einsetzen, sondern als beschleunigendes Element.

Und vorne könnte Arjen Robben der siegbringende Solist sein. Auch in Madrid.

© SZ vom 22.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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