Carlsen bei der Schach-WM:Verrückt nach dem Grimmigen

Chess Grand Slam Masters final in Bilbao

Denkt nach: Magnus Carlsen während einer Schachpartie

(Foto: Luis Tejido/dpa)

Er ist 23, Millionär und der Jüngste, der je die Spitzenposition der Schach-Weltrangliste erreicht hat. Der Norweger Magnus Carlsen verzückt sein Heimatland. Doch eines kann er nicht: Gefühle zeigen.

Von Silke Bigalke

Reykjavík vor mehr als zehn Jahren, ein Schachturnier: Ein Junge, Kapuzenpulli und Khakis, sitzt einsam vor dem Spielbrett. Er wartet, rückt an den weißen Figuren herum. Dann: Auftritt Garry Kasparow. Kameras blitzen. Die Schachlegende schüttelt dem 13-Jährigen nur flüchtig die Hand, verzieht keine Miene. Das Duell beginnt. Schnellschach. Es dauert nicht lange und Kasparow verliert sein Pokerface, schüttelt den Kopf, reibt sich nervös der Nacken. Einmal grübelt er so lange, dass dem Jungen langweilig wird und er zum Nachbartisch schlendert. Seinen nächsten Zug hat er sowieso schon im Kopf.

Am Ende ringt er Kasparow ein Remis ab und feiert seinen Erfolg mit einem Eis bei McDonald's. CBS News zeigt die Bilder Jahre später in einer Dokumentation über ihn. Spätestens seit Reykjavík weiß die Schachwelt, wer Magnus Carlsen ist. Als Kasparow den Jungen kurz darauf in seiner Heimat Norwegen besucht, sind wieder Fernsehkameras dabei. Er möchte Schachweltmeister werden, sagt der junge Carlsen damals, und zwar möglichst vor 2020.

Er hat sein Ziel sieben Jahre vor diesem Zeitpunkt erreicht. Vergangenes Jahr entthronte er Titelträger Viswanathan Anand mit drei Siegen, sieben Unentschieden, keiner Niederlage. 22 Jahre ist Carlsen da alt. Beim Turnier in Sotschi verteidigt er nun seinen Titel. Wieder geht es gegen Anand, wieder fiebert ganz Norwegen mit.

Carlsen tut, was ihm Spaß macht. Und wehe, etwas macht ihm keinen Spaß

Bereits während der letzten WM meldeten einige Spielwarenläden im Land, Schachbretter seien ausverkauft. Als Carlsen siegreich heimkehrte, empfingen ihn die Norweger auf dem Rollfeld in Oslo mit einem Spalier aus Wasserfontänen. Zur Schacholympiade in Tromsø, an der im Sommer 174 Nationen teilnahmen, gab die norwegische Post eine Magnus-Carlsen-Briefmarke heraus.

Nun also Sotschi. Wieder haben sich die Norweger einiges ausgedacht: VG, eine der größten Zeitungen des Landes, strickt einen Norweger-Pulli für Carlsen, bittet die Leser um Muster-Vorschläge. Zum WM-Start ist ein Donald-Duck-Heft mit Carlsen als Comicfigur in Norwegen erschienen - der Weltmeister ist großer Donald-Fan. Nach der WM tritt er im öffentlich-rechtlichen Sender NRK live gegen seine Landsleute im Schach an.

Volksnah, sympathisch, ein Star zum Anfassen? Carlsen tut, was ihm Spaß macht. Und wehe, etwas macht ihm keinen Spaß. Bei Interviews soll das manchmal passieren, Journalisten nehmen ihn dann als lustlos, abweisend, unverschämt wahr. Er schaut aber auch oft so grimmig, mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln, der tiefen Stirn, den buschigen Augenbrauen.

Ohne Gefühlsregung

Eine Begegnung vor nicht allzu langer Zeit in Oslo. Eine befreundete Firma lässt Carlsen ihre Räume für Interviews nutzen, vor allem Vertreter norwegischer Medien sind gekommen. Carlsen läuft unruhig durch die Räume. Er wirkt kleiner und jünger als erwartet, die Frisur ist noch verstrubbelter. Carlsen scheint doch mehr ein Junge als ein Schachweltmeister zu sein. Das Interview beginnt, 30 Minuten. Small Talk zu Beginn? Keine Chance. Das Eingeständnis, dass man selbst nicht viel Ahnung von Schach hat, führt zu keiner sichtbaren Reaktion. Er hört sich die Fragen an, antwortet langsam und zögerlich, als denke er über jede Antwort sehr gut nach. Als sei die Frage eine Aufgabe, für die es nur eine richtige Lösung gibt. Er ist dabei nie unfreundlich. Er ist präzise. Aber ein Dialog entsteht so nicht.

Seine Gegner beschweren sich zuweilen, dass er während des Spiels keine Gefühlsregung zeigt, kalt wirkt. Was sagt er dazu? "Ich weiß nicht, ob sie sich beschweren, oder ob das einfach Feststellungen sind. Außerdem bin ich emotional während der Spiele." Dann kann er das einfach nur gut verbergen? Carlsen: "Einige Spieler werden nervös, wenn sie in Zeitprobleme geraten. Manche zeigen das, manche nicht. Ich komme nie in Zeitprobleme, also ist das für mich kein Thema." Beim Thema Privatleben geht es noch schneller. Auf die Frage nach einer Freundin: kein Kommentar. Wer ist der wichtigste Mensch in seinem Leben? "Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich müsste ich darüber mehr nachdenken. Aber es passt nicht zu mir, über diese Dinge viel zu grübeln. Die meiste Zeit denke ich über mich selbst nach."

Die Fotos zeigen ihn segelnd, wandernd, Fußball, Tennis und Golf spielend

Alles, was er über sich preisgeben möchte, findet man auf seiner Facebook-Seite. Die Fotos zeigen ihn segelnd, wandernd, Fußball, Tennis und Golf spielend. Es ist schwer, sich ihm zu nähern, ihn zu fassen. Ein Wunderkind? Als er fünf Jahre alt war, wollte sein Vater ihm das Spiel beibringen. Der Junge hatte keine Lust. Er lernte lieber alle Länder der Welt samt Hauptstädten und Einwohnerzahl auswendig. Sein Vater dachte damals, das sei normal, gestand er später in einem Fernsehinterview.

Seine Schwester war dann der Grund dafür, dass er sich Schach selbst beibrachte. Es hatte ihn der Ehrgeiz gepackt, er wollte sie schlagen. Eine frustrierende Erfahrung für sie, die bald unterlag und erst einmal aufhörte, Schach zu spielen. Für Magnus dagegen begann ein einziger Siegeszug: Mit neun spielte er sein erstes Turnier, mit zehn gewann er die norwegischen Meisterschaften in seiner Altersklasse, mit 13 wurde er Schach-Großmeister. Mit 19 stand er an der Spitze der Weltrangliste, mit 22 gewann er die Weltmeisterschaft.

"Weltmeister klingt ziemlich gut, viel besser als Nummer eins der Welt", sagt er. "Für mich war der Titel zwar ein schwieriger Schritt, aber auch ein natürlicher." Er sei ja sowieso schon der Beste der Welt gewesen. Nebenher macht Carlsen heute vieles, das nicht zum natürlichen Repertoire eines Schachspielers gehört. Er modelt für die Jeans-Marke G-Star, stand unter anderem schon mit Liv Tyler vor der Kamera. Er spielte Schach gegen die Investorenlegende George Soros und den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Um Bill Gates zu besiegen, brauchte er nur zwölf Sekunden. Er sollte sogar im neuen Starwars-Film mitspielen, was dann aber an praktischen Gründen scheiterte. Egal, er spielt lieber blind gegen zehn Gegner gleichzeitig, natürlich um sie alle zu schlagen.

Das Schlimmste für ihn ist nach wie vor zu verlieren. Wie geht er mit Niederlagen um? "Ich denke nicht, dass zu verlieren etwas Normales für mich sein sollte", sagt er. "Ich sollte keine Zeit damit verbringen, darüber nachzudenken, wie ich mit Niederlagen umgehe." Am Dienstag ist es passiert.

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