Bundestrainer Joachim Löw:Weil er's kann

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Auch am Tag der Bestellung seines Aufgebots hat es Löw wieder geschafft, auf unspektakuläre Weise seine eigene Kunstfigur zu sein. (Foto: dpa)

Ohne wirklichen Anlass verlängert Joachim Löw seinen Vertrag um zwei weitere Jahre. Er weiß: Als Bundestrainer hat er einen der drei besten Jobs der Welt - und macht sich seine eigenen Regeln.

Kommentar von Christof Kneer

Es steht zu vermuten, dass auch Joachim Löw Hunger und Durst hat, dass er schlafen muss, dass er Stoffwechsel hat. Womöglich wird Löw sogar älter, wobei das natürlich nur eine Spekulation ist. Immerhin hört man, dass selbst Löw ein Visum benötigt, um zur WM nach Russland fliegen zu dürfen, was scho' au beruhigend ist, wie er selber wohl sagen würde. Denn das bedeutet ja, dass der Bundestrainer ein ganz normaler Bürger und Mensch ist, für den die ganz normalen Regeln gelten. Das hatte man zuletzt fast vergessen, und auch am Tag der Bestellung seines Aufgebots hat es Löw wieder geschafft, auf unspektakuläre Weise seine eigene Kunstfigur zu sein. Löw hat sich verselbständigt. Er war immer da und wird immer da sein, und er macht sich seine Wirklichkeit selbst.

Das kann wohl nur Jogi Löw: ohne erkennbare Gründe einen Vertrag verlängern, der ohnehin noch zwei Jahre gelaufen wäre. In einem Verband werden solche Verlängerungen gerne inszeniert und instrumentalisiert, sie sollen dann Bekenntnisse sein, Stimmungen erzeugen oder Druck rausnehmen, und wenn man die eine oder andere Stunde überlegt, fallen einem vielleicht auch in dieser Hinsicht ein paar Argumente für Löws Verlängerung ein. Der DFB hat große Projekte vor sich, er muss seine exklusive und exklusiv teure Akademie vor den Leuten vertreten, er will 2024 eine EM ausrichten und für Öffentlichkeit und Sponsoren glaubwürdig sein, und da kommt ihm nichts gelegener als dieser seit vielen Jahren 45-jährige Bundestrainer, der Seriosität und Berechenbarkeit ausstrahlt.

Warum Löw seinen Vertrag aber in Wahrheit verlängert hat? Weil er's kann.

Jogi Löw hat sich emanzipiert, und zwar von allem. Er weiß, dass er einen der drei besten Jobs der Welt hat (wobei man die anderen beiden erst mal sehen möchte), er verlängert seine Verträge nach dem Warum-eigentlich-nicht-Prinzip - und so, wie er inzwischen seine eigenen Regeln macht, so macht er auch seine eigenen Aufgebote. Sie folgen jener Logik, die sich Löw über die Jahre angeeignet hat, denn auch das ist ja das Coole an seinem Job: dass es sich um den bestbezahlten Ausbildungsjob der Welt handelt.

Es ist der sechste Kader, den Löw alleinverantwortlich nominiert hat, und er hat in ihn all die Erkenntnisse einfließen lassen, die er beim Kaderbau bisher gesammelt hat. Was die Treue zu Spielern ohne Fitness oder Form anbelangt, hat er schon sehr gute (Schweinsteiger/Khedira 2014) und weniger gute Erfahrungen gemacht (Podolski/Schweinsteiger 2016), und so orientiert sich Löw bei der Abmischung von Härte und Milde nur noch an seinen eigenen Maßstäben. Nun hat er also entschieden, dass es sich lohnt, auf Manuel Neuer und Jérôme Boateng zu warten, Mario Götze hat er seine Solidarität dagegen verweigert - zu Recht, weil er gelernt hat, dass ein Kader nicht zu viele Spieler verträgt, deren Vergangenheit ruhmreicher ist als ihre Gegenwart.

Ja, Löw kann wieder Weltmeister werden mit diesem Team, aber er wird sich in seiner exklusiven Privatmeinung schon auch bestätigt sehen: dass der Reichtum im Kader nicht so groß ist wie alle behaupten. Die Stabilität seines Teams hängt weiterhin stark von Fitness und Form der Etablierten ab, aber Löw hat jetzt ja dokumentiert, dass er auch über 2018 hinausdenken will. In vier Jahren wird er also einen Kader für die WM in Katar benennen, bevor er dann bis 2026 verlängert.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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