Bundesliga:Sogar Tim Wiese spottet über Bremens Keeper

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Felix Wiedwald steht nun wieder im Werder-Tor - aber rettet er seinem Team auch mal Punkte? (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Bremens Defensive ist der Berliner Flughafen unter den Bundesliga-Abwehrreihen - auch vor dem Duell mit den Bayern wirkt sie unfertig.
  • Die Probleme beginnen ganz hinten.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Im Zeitalter von alternativen Fakten kann man es ja mal versuchen. "Als Tim Wiese noch da war, hat Werder auch 65 Gegentore kassiert", sagte also in dieser Woche der Bremer Gerade-mal-wieder-Nummer-eins-Torwart Felix Wiedwald, nur habe das weniger interessiert, weil Werder damals "halt 80 Tore geschossen hat. Wenn Tim drei Mal daneben gegriffen hat, war das nicht so relevant." Wiedwalds Einwurf klingt wie ein Schrei nach Gerechtigkeit, aus gutem Grund: Es geht um die Bundesliga-Karriere des 26-Jährigen.

Recht hat Wiedwald trotzdem nicht. Werder hat in der Ära Wiese nie 65 Gegentore bekommen. Wieses Bilanz zwischen 2006 und 2012: 37, 40, 45, 50, 40, 61, 58. Erst seit sich der Ex-Keeper die Statur eines Türstehers, den Beruf des Wrestlers und als Kolumnist der Bild-Zeitung die Diplomatie einer Dampframme zugelegt hat, schnellt die Zahl der Gegentreffer unter seinen Nachfahren nach oben. Von 2013 bis 2016 lautete die Schadensbilanz: 66, 66, 65, 65. Angesichts von 36 Gegentoren nach Abschluss der Hinrunde und vor dem Spiel gegen Bayern München an diesem Samstag wäre eine ähnliche Größenordnung in dieser Saison schon ein Erfolg.

Torwartproblem? - "Haben wir nicht."

Einen Nachfolger für Wiese haben die Bremer tatsächlich nie gefunden, eine selbstverständliche Nummer eins seitdem nie mehr gehabt. Die diversen Trainer eines nicht enden wollenden Übergangs, in dem sich Werder vom Spitzenklub zum Überlebenskünstler verwandelte, probierten es mit Sebastian Mielitz, Raphael Wolf, Felix Wiedwald, Koen Casteels, Jaroslav Drobny. Sie alle verloren das Vertrauen ihrer Chefs oft so schnell, wie sie es gewonnen hatten.

Es ist daher schon eher eine eigenwillig-trotzige Interpretation von Sportchef Frank Baumann, wenn er das Thema Torwartproblem ungefähr so kommentiert: Welches Torwartproblem? "Haben wir nicht", sagt er. Als sei es ganz normal, dass allein in dieser Saison zum vierten Mal auf dieser Position gewechselt wird oder werden muss. Zuletzt hat sich mal wieder der 37-jährige Routinier Jaroslav Drobny um den Status des Stammtorwarts gebracht, als er im Spiel gegen Dortmund die falsche Entscheidung traf und weit vor dem Tor Marco Reus rüde foulte.

Folge: drei Spiele Sperre und Wiedwalds zweite Rückkehr. Als Nummer eins war er schon in die Saison gestartet, mit einem Pokal-K.-o. gegen Drittligist Paderborn, einem 0:6 in München und einer 1:2-Niederlage gegen Augsburg. Der damalige Trainer Viktor Skripnik nahm ihn daraufhin recht plötzlich aus dem Tor, nachdem er einen solchen Schritt zuvor öffentlich kategorisch ausgeschlossen hatte.

"Ich bin geopfert worden", sagte Wiedwald jüngst dem kicker. Für fünf Spiele kehrte er noch einmal ins Tor zurück, als Konkurrent Drobny eine Handverletzung auskurierte. Dann war Winterpause - und der Tscheche wieder Nummer eins unter Skripniks Nachfolger Alexander Nouri. Der sagt zwar auch, dass er eine solche Situation im Tor "noch nie erlebt" habe, aber was soll's, das Vertrauen in beide sei groß.

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Die flatterhafte Torwart-Suche passiert auf einer der größten Baustellen der Bundesliga. Werders Defensive ist so etwas wie der Berliner Flughafen unter den Bundesliga-Abwehrreihen - sie wird nie fertig. Wiedwald beklagt vorsichtig genau das, wenn er, wie im kicker, sagt: "Dass sich auch jedes Jahr die Abwehr verändert, macht es für uns nicht einfacher."

Gerade das moderne Torwartspiel, in dem der Keeper fast als Mitglied der Abwehrkette agiert, leidet unter den ständigen Wechseln in der defensiven Belegschaft. Werder ist in den vergangenen fünf Jahren nie zwei Spielzeiten hintereinander mit derselben Nummer eins, aber auch nie zwei Spielzeiten hintereinander mit derselben Innenverteidigung angetreten. Unsicher wirkt daher nicht nur der jeweilige Torwart, sondern stets die ganze Abwehr.

Dazu kommt die individuelle Schwäche. Ob Mielitz, Wolf oder Wiedwald, sogar der vorübergehend ausgeliehene Casteels: Stets gehörten Werders Torleute mit einer Quote abgewehrter Schüsse von knapp über oder deutlich unter 60 Prozent zu den drei schwächsten der Liga. Nur Drobny schneidet etwas besser ab, hat dafür aber krasse Schwächen in der Spieleröffnung.

In der Winterpause schien daher mal wieder alles möglich. Eine Verpflichtung des Wolfsburgers Casteels scheiterte angeblich nur an der Ablösesumme. Stattdessen machte sich der dritte Bremer Torwart Michael Zetterer Hoffnungen. Der 21-Jährige, gerade ins U21-Nationalteam aufgerückt, stand im letzten Test vor dem Rückrundenstart statt Wiedwald im Kader, das Rennen um den Platz hinter Drobny sah offen aus. Viel hat nicht gefehlt, und der gebürtige Münchner würde gegen den FC Bayern im Bremer Tor stehen. Wäre er zur Nummer drei degradiert worden, sagt Wiedwald jetzt, das Kapitel Bremen wäre für ihn erledigt gewesen. Nun steht er plötzlich wieder im Tor, und sein auslaufender Vertrag würde sich sogar automatisch verlängern, wenn er es auf weitere zwölf Saisoneinsätze bringt.

Torwart-Kritiker Tim Wiese

Das alles wirkt eher zufällig als von langer Hand geplant - der Torwart als ewige Variable. Der Kritiker Tim Wiese inszeniert sich vor diesem Hintergrund gerne als Letzter seiner Art, als letzter echter Kerl im Tor, während Wiedwald wirke, schrieb der Vorgänger, als würde Oma ihm vor dem Training eine Milchschnitte in die Sporttasche packen.

Mal davon abgesehen, dass den teuersten Torwartfehler der Klubhistorie Tim Wiese begangen hat, als er 2006 aus reinem Übermut in Turin den Ball fallen ließ und so Werder ums Viertelfinale der Champions League brachte: Früher war nicht alles Gold. Auch in den allerbesten Zeiten hatte Werder nie wirklich einzigartige Torleute. Die Bremer stellten zwar mal den Abwehrchef (Mertesacker), das Mittelfeldgenie (Basler, Özil), das Arbeitstier (Frings) oder den Top-Torjäger (Klose) der Nationalelf, nie aber die wahre Nummer eins. Dieter Burdenski schaffte zwischen 1977 und 1984 zwölf DFB-Einsätze, Wiese machte sechs Spiele, Oliver Reck eines. Das war's.

Felix Wiedwald kann also ganz gelassen bleiben, er ist nur Teil einer größeren Geschichte. "Irgendjemand", sagte er in dieser Woche, "wollte, dass ich noch einmal eine Chance bekomme." Und wenn es, wie so oft bei Werder, der Zufall war.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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