Bundesliga:HSV geht mit Calli auf Kreuzfahrt

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Der alte Trainer, umgeben von drei teuren Neuen: Bruno Labbadia zwischen den Hamburger Sommer-Zugängen Douglas Santos, Filip Kostic und Alen Halilovic (von links). (Foto: Witters)

Beim Hamburger SV geht es nicht nur die Zukunft von Trainer Labbadia. Kumpel und Berater mischen mit, und keiner will schuld an der Misere sein.

Von Philipp Selldorf

In der vorigen Woche am Sonntag bekam Reiner Calmund einen mittleren Wutanfall. Er saß zu Hause in Saarlouis und genoss das Fachmagazin "Doppelpass" im Sender Sport 1, als ein Fachmann in der Runde darauf hinwies, dass man sich halt die Finger schmutzig mache, wenn man dem Teufel die Hand reiche. Daraufhin rief Calmund beim Sender an und protestierte live in die Sendung hinein. Zwei Minuten und elf Sekunden dauerte seine Ansprache - netto, denn Calmund verzichtete zugunsten seiner Botschaft aufs Luftholen. Die Botschaft lautete: Der Hamburger SV sei Klaus-Michael Kühne zu Dank und nochmals zu Dank verpflichtet und solle verdammt noch mal dafür sorgen, dass sein ehrbarer Geldgeber nicht ständig in der Öffentlichkeit ins Zwielicht gesetzt werde.

Calmund, 67, und Kühne, 79, sind sich vor zwei Jahren in einer Zahnradbahn nähergekommen. Am Rande einer Kreuzfahrt hatten sie in Bergen in Norwegen Station gemacht, und dabei ergriff Kühne die Gelegenheit, Calmund um einen Ratschlag zu bitten. Es ging darum, dass er das Namensrecht am Hamburger Stadion erwerben wollte, er suchte nach dem passenden Titel. Calmund empfahl ihm, wenn er denn nicht Werbung für seine Spedition machen wollte, das Stadion Uwe-Seeler-Arena zu taufen, aber Kühne entschied dann, den alten Namen Volksparkstadion wiederzubeleben, in Erinnerung an seine Mutter, mit der er früher zum Fußball gegangen war. Auch gut, meinte Calmund.

So hat es begonnen, das Verhältnis von Calmund und Kühne, das jetzt in seinen Weiterungen Gegenstand von Gerüchten, Mutmaßungen und Interpretationen ist, weil die Lage beim Hamburger SV gerade wieder ziemlich vertrackt ist. Es geht um die mehr als 30 Millionen Euro, die Kühne seinem Lieblingsklub im Sommer für Spielerkäufe zur Verfügung gestellt hat, worüber sich jenseits von St. Pauli ganz Hamburg zunächst mal nur gefreut hat. Und es geht um das Misstrauen, das sich umfassend ausbreitet, weil der HSV trotz der teuren neuen Spieler keinen Erfolg hat. Die öffentliche Problemforschung konzentriert sich ja längst nicht mehr nur auf den glücklosen Trainer Bruno Labbadia mit seinem Karma, das im Misserfolg schwarz und schwärzer wird, und mit seinem ständigen Lamento über den "brutalen Weg", auf dem er zu wandeln hat.

Was Calmund animierte

In Frage gestellt wird auch die Konstruktion, die den Klub mit dem Geldgeber Kühne und dessen vermeintlichen Hintermännern verbindet: namentlich der alte Fußballweise Calmund sowie der Kölner Spielerberater Volker Struth, Chef der Agentur SportsTotal, die Nationalspieler wie Toni Kroos, Marco Reus und Benedikt Höwedes sowie einige Dutzend weitere Profis betreut. Bei vielen HSV-Sympathisanten ist der Eindruck entstanden, dass sich im Büro von Kühne eine zweite Klub-Geschäftsstelle etabliert hätte, in der eine Art Schattenregime herrscht. Neulich beim Heimspiel gegen Leipzig organisierten Fans eine große Kurven-Choreografie, in der sie das Geld des Mäzens als Danaer-Geschenk darstellten ("nicht alles was glänzt, ist Gold"). Der Verein hatte dem Antrag auf die Inszenierung stattgegeben. Was eine von vielen Zwangslagen illustriert, in denen der HSV steckt: Er will Kühnes Millionen haben - aber er will es sich auch nicht mit seinen Fans verscherzen.

Auch deshalb sah sich Calmund zur Live-Beschwerde im Fernsehen animiert. Kühne werde vom HSV nicht ausreichend gegen ungerechte Angriffe geschützt, findet er. Der andere Grund für seinen Anruf ist, dass er nicht länger als "Berater" des Milliardärs dargestellt werden möchte. "Ich stehe weder auf der Lohnliste von Kühne noch vom Hamburger SV noch von Volker Struth. Ich mache da nix, ich entscheide nix", ruft Calmund in den Telefonhörer. Auch der Spielermanager Struth, 50, sieht sich zur Klarstellung genötigt, nachdem ihm in Zeitungstexten nachgesagt wurde, er schicke Mitarbeiter zum Trainingsplatz, um Labbadia zu kontrollieren; und er forciere die Entlassung des Trainers, weil er diesen nicht leiden könne: "Die Entscheidungen trifft der HSV allein und unabhängig", erklärte er Bild, "ich würde mir niemals anmaßen, über Verantwortliche im Klub zu urteilen." Es klingt, als ob er den Tag bereue, da ihn sein alter Kumpel Calmund mit Kühne zusammengebracht hat. Die Hilfestellung wirkt sich fast rufschädigend aus.

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Die HSV-Bosse handeln sich vom Hoffenheimer Coach Julian Nagelsmann eine Absage ein. Sogar bei Michael Reschke, dem Technischen Direktor beim FC Bayern, sollen sie angefragt haben.

Den Kontakt nach Köln initiierte Calmund, als er im vorigen Jahr auf die nächste Kreuzfahrt ging. Diesmal schipperte er durch den Indischen Ozean, und wieder war das Ehepaar Kühne an Bord. "Ich will ein bisschen mehr machen bei meinem Verein", sagte der HSV-Freund, und Calmund erwiderte: "Dann brauchen Sie die Beratung von Profis." Er empfahl Struth ("mein Freund und guter Kumpel") - auch weil er sich entsann, dass dieser ja auch mit dem HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer gut bekannt ist. Mit Struths Hilfe wurde Beiersdorfer 2012 Sportchef bei Zenit St. Petersburg. Zuvor hatte ihm Struth ein Entrée beim 1. FC Köln verschafft, woraus aber nichts wurde.

Es ist normal, dass im Fußball jeder jeden kennt. Calmund erinnert sich, dass er einmal einem anderen Milliardär und Gönner, dem Hoffenheimer Patron Dietmar Hopp, geraten hat, ein bisschen Abstand zum Spielerberater Roger Wittmann zu halten. Hopp habe ihm erwidert, dass Wittmann sein Freund sei. Und inzwischen geben ja sogar Wittmanns Gegner zu, dass die TSG Hoffenheim von der vielfach beargwöhnten Freundschaft ziemlich profitiert hat, weil Wittmann zum Beispiel einen Spieler wie Firmino angebracht hat, der dann für ein Vielfaches nach Liverpool verkauft wurde.

Die Interessengeflechte im Fußball sind oft nicht durchschaubar. Was allen nutzt, gilt als legitim, obwohl es nach außen fragwürdig erscheint. Dass der 20-jährige Luca Waldschmidt im Sommer für 1,2 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt zum HSV wechselte, mag komisch aussehen, denn Waldschmidt ist Klient in Struths Agentur. Andererseits ist er ein anerkanntes Talent und konnte aus fünf anderen Angeboten wählen.

Die Qualität soll gesteigert werden - aber wie?

Im April kamen Struth und Calmund an Kühnes Seite mit Vertretern des HSV zusammen, außer Beiersdorfer auch mit Aufsichtsratschef Karl Gernandt, der wiederum ein enger Vertrauter von Kühne und Mitarbeiter in dessen Holding ist (so viel zu den Beziehungsgeflechten im Fußball). Aus diesem Treffen entwickelte sich die sogenannte "Rahmenvereinbarung zur Qualitätssteigerung", in der beschrieben wird, dass Kühne die Mittel bereitstellt, mit denen der HSV auf dem Transfermarkt einkauft. Struth agierte als Fachberater, Calmund zog sich zurück. Seitdem habe er Kühne nicht mehr gesehen, versichert er. "Wenn Herr Kühne den Spieler nicht will, kommt ein anderer", gab Beiersdorfer zum Prozedere bekannt. Seinerseits hatte sich Kühne belehren lassen müssen, dass die einmalige Gabe von 30 Millionen Euro nicht ausreichen würde, um den HSV nach oben zu befördern. Er protestierte zwar ("Ich bin nicht Abramowitsch"), sagte aber ein Engagement über mehrere Jahre zu.

Differenzen ergaben sich, als es darum ging, das schöne Geld zu verteilen. Den französischen Nationalspieler Moussa Sissoko, den der HSV vor der EM für 14 Millionen Euro von Newcastle United hätte übernehmen können, wollte Labbadia nicht. Er wollte Filip Kostic vom VfB Stuttgart, der auch ein sehr guter Spieler ist, aber noch mehr kostete und nicht das Loch stopft, das im Hamburger Mittelfeld beklagt wird. Dass Sissoko nach der EM für 35 Millionen in England weiterverkauft wurde (an Tottenham), lässt die Sache noch weniger gut aussehen. Aber Beiersdorfer wäre schlecht beraten, wenn er Labbadia die Schuld geben würde, denn nicht der Trainer entscheidet in letzter Instanz über die Verwendung von Kühnes Geld, auch nicht Calmund oder Struth. Sondern der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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