Bundesliga:Ehrlichkeit schützt Fritz und Junuzovic vor Sperren

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Fünfmal Gelb bedeutet in der Bundesliga: einmal zuschauen! (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Der DFB urteilt im Prozess um provozierte gelbe Karten milde. Der Richter sagt aber: Wenn das alle so gegen Bayern machen, herrscht kein fairer Wettbewerb mehr.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Bevor die Verhandlung im Sitzungssaal an der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise ihren förmlichen Verlauf nahm, machte der Vorsitzende Richter geschichtskundige Anmerkungen. Hans Lorenz stellte fest, es sei "ein ungewöhnliches Verfahren" - ein Verfahren, das in der Historie des DFB-Sportgerichts bisher allenfalls einmal vorgekommen sei: 1991 saß der Kölner Profi Frank Ordenewitz auf der Sünderbank, weil er sich eine rote Karte erschlichen (beziehungsweise erfoult) hatte, um eine Gelbsperre für das Pokalfinale zu vermeiden. Diesen mit seinem Trainer Erich Rutemöller abgemachten Plan ("Mach et, Otze!") durchkreuzte seinerzeit die DFB-Justiz mit fragwürdigen juristischen Winkelzügen, die dazu führten, dass Ordenewitz im Endspiel doch nicht mitmachen durfte.

Jetzt, 25 Jahre später, wandte sich Lorenz an die beiden Angeklagten und stellte ihnen die Preisfrage: "Wer hat damals das Pokalfinale gewonnen?" Clemens Fritz, 35, und Zlatko Junuzovic, 28, blickten ihn irritiert an wie Schüler, die der Lehrer erwischt hat. Die Antwort blieben sie schuldig. Dabei lag sie doch so nahe - der Pokalsieger 1991 hieß Werder Bremen, es waren also die Vorfahren der Werder-Profis Fritz und Junuzovic, die von Ordenewitz' Bestrafung profitierten.

Fritz und Junuzovic dürfen den Saal als freie Männer verlassen

In dem vorwiegend heiteren Ton, in dem Lorenz den Prozess eröffnet hatte, brachte er ihn kaum eine Stunde später auch zu Ende. Aufgeräumter Stimmung verabschiedete man sich in ein schönes Wochenende; Anton Nachreiner, der Vertreter der Anklage, wünschte den Bremern viel Glück im Abstiegskampf, diese dankten artig. Fritz und Junuzovic, denen vorgeworfen worden war, durch das Provozieren von gelben Karten vorsätzlich die Sperre für das am Samstag stattfindende Spiel beim FC Bayern herbeigeführt zu haben, durften den Saal sozusagen als freie Männer verlassen.

Lorenz folgte dem Antrag der Anklage und sprach gegen die beiden wegen unsportlichen Verhaltens eine Geldbuße von je 20 000 Euro aus, ein möglicher Einspruch kam den Bremern nicht in den Sinn. König Salomon hätte vermutlich nicht anders entschieden, darin waren sich ja alle Beteiligten einig. Auch dem Gerechtigkeitsempfinden im Fußballvolk dürfte gedient sein.

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Nur öffentlich zugeben darf der Bremer es offenbar nicht. Der DFB ermittelt und beweist damit, wie verlogen die Fußballbranche ist.

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"Wenn das alle Mannschaften so machen ..."

Aber die Sache hätte auch anders ausgehen können. Eine zusätzliche Spielstrafe hatte Lorenz vor dem Verfahren für den wahrscheinlichen Urteilsspruch gehalten, erst die Geständnisse der beiden Bremer bewegten ihn zu dem milden Beschluss. Denn aus Sicht der DFB-Vertreter ist es keine Bagatelle, dass Bundesligaprofis mittlerweile gewohnheitsmäßig Gelbsperren veranlassen, um ihre Strafe während der - vermeintlich aussichtslosen - Partie gegen die Bayern abzusitzen und danach ohne Vorstrafenkonto wieder einzusteigen.

Dieses Vorgehen sei nicht nur ein Verstoß gegen das Fair Play, sondern berühre den Kern des Ganzen, stellte Lorenz klar: "Wenn es alle Mannschaften so machen, dann führt das automatisch dazu, dass Bayern München regelmäßig gegen schwächere Mannschaften spielt. Das kann nicht im Sinne eines fairen Wettbewerbs sein. Wir sind auch dazu da, einen fairen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und solchen Entwicklungen keinen Vorschub zu leisten."

Die Strafe solle abschreckende Wirkung haben, sagte der Sportrichter. Die 20 000 Euro Buße, Kleingeld für Profis, hat er damit nicht gemeint - es ging um die Drohkulisse, die er dahinter errichtete: "Hätten die beiden Spieler heute kein Geständnis abgelegt, hätten sie garantiert neben einer Geldstrafe eine Sperre erhalten. Durch ihr Geständnis sind sie gerade mal noch von der Klinge gesprungen." Ein Geständnis hatte Junuzovic - und mit ihm Fritz - vor Gericht gebracht, ein Geständnis bewahrte die beiden aber auch vor größeren Unannehmlichkeiten. "Einerseits war das Geständnis verfahrenseinleitend, andererseits strafmildernd, so ist es auch vor ordentlichen Strafgerichten", stellte Lorenz klar und löste damit die Rechtsdebatte auf, die während der vergangenen Tage das Fußballpublikum beschäftigt hatte.

Dass Junuzovic zugegeben hatte, die gelbe Karte gegen Hannover durch Zeitspiel provoziert zu haben ("Besser, ich mache es so, als jemanden absichtlich zu verletzen") ließ seine Fürsprecher auf Freispruch plädieren. Weil ja ansonsten die Ehrlichkeit bestraft würde, und weil zuletzt ja fünf Darmstädter durch stures Schweigen der Strafverfolgung entkommen waren - ebenfalls plötzlich grassierendes Gelbfieber hatte dem Quintett des Aufsteigers eine Sperre fürs Spiel gegen den FC Bayern beschert. Moralphilosophie war aber nicht das Thema vor Gericht. Auch gegen Darmstadt hatte der DFB ermittelt, jedoch ohne Anhaltspunkte für eine Anklage. Eine gewisse Glaubwürdigkeit entnahm die Justiz der Tabelle: "In der Bundesliga ist Darmstadt Erster - was gelbe Karten angeht", so Lorenz.

"Gegen Bayern, Dortmund oder Wolfsburg - es ist schön dabei zu sein."

Auch beim SV Werder hatte man zu Beginn der Woche versucht, das Verständnis der DFB-Instanzen zu wecken. Junuzovic erklärte dem Vereinsfernsehen, ihm hätten die richtigen Worte gefehlt, sein Geständnis ("Es war abgesprochen") sei ein Missverständnis gewesen. Schlauerweise sind die Bremer, gut beraten vom ständigen Fußballanwalt Christoph Schickhardt, von dieser Propagandalinie wieder abgewichen. Stattdessen trugen Fritz und Junuzovic in persönlichen Erklärungen quasi einstimmig vor, sie hätten die Sperren "in Kauf genommen". Er habe sich "nicht großartig geärgert", dass ihm durch die gelbe Karte ein letztes Match gegen Bayern versagt bleibe, sagte Fritz, der im Sommer die Karriere beendet.

Lorenz fragte: "Mit anderen Worten: Sie haben die gelbe Karte abgeholt?" "Tja", antwortete Fritz. Junuzovic gab an, er sei aus verschiedenen Gründen "emotional geflasht" gewesen, weshalb er in den Interviews nach dem Spiel "komplett sinnfrei dahergeredet" habe. Auch er räumte ein, dass ihm das Spiel in München nicht fehlen wird. "Gegen Bayern, Dortmund oder Wolfsburg - es ist schön dabei zu sein", sagte er. Doch wichtig sind für ihn und Werder die Spiele, wo es etwas zu gewinnen gibt. Auch dies war ein Geständnis, nicht zum Vorteil der Bundesliga.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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