Bundesliga:Die Bayern-Aura erzwingt XXL-Zugaben

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David Alaba (l.) und Mats Hummels umarmen Robert Lewandowski, der in der Nachspielzeit den Ausgleich gegen Hertha BSC erzielte. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Wer einen Bonus für die Münchner generell verneint, ignoriert die Wirkung der bayerischen Autorität auf die Psyche. Gerade unter Carlo Ancelotti ist das ein Faktor.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Es gibt allerlei exotische Geschichten, warum ein Spiel nicht nur 90 Minuten dauert. Sondern so lange, bis der Schiedsrichter einschläft, oder bis das gewünschte Ergebnis hergestellt werden konnte. Doch auch jenseits solcher Abenteuerspielplätze sind diese 95:59 Minuten von Berlin weit davon entfernt, ins Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. In Englands Premier League mühten sich im Jahr 2012 Manchester City und Swansea über 102 Minuten und 42 Sekunden.

Auch hierzulande sind Marathonläufe am Ball aktenkundig. Als Rekord wird - ohne jede Gewähr - ein Duell der Bezirksliga geführt: Dostlukspor Bottrop gegen Blau-Weiß Wesel; in der ersten Halbzeit gab es 15 Minuten obendrauf, in der zweiten 13. Interessant ist die Rechtfertigung des Schiedsrichters: Die Zuschauer hätten für 90 Minuten bezahlt, also sollten sie 90 Minuten haben.

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Ähnlich hätte vermutlich Schiedsrichter Patrick Ittrich argumentiert, hätte er in Berlin nicht geschwiegen. Aber womöglich lässt ihn der DFB ja bald mal öffentlich reden als Beitrag zu einer notwendigen Debatte: Wie lange kickt die Bundesliga? Ist dort doch viel früher Toresschluss als etwa in der Premier League. Das würde auch ein Cleverle wie Hertha-Trainer Pal Dardai davon befreien, nach Abpfiff rhetorische Schleifen zu drehen. In erster Erregung monierte er einen "Bayern-Bonus" und verwies darauf, dass dies ja kein Pokalspiel samt Verlängerung gewesen sei: "Wir spielen keine 120 Minuten." Später kapitulierte auch Dardai vor der Regel: "Ende ist erst, wenn der Schiedsrichter drei Mal pfeift."

Wer einen Bayern-Bonus generell verneint, verkennt die Wirkung von Autoritäten

Dazu sollte auch der Letzte begreifen, dass es ja erwünscht ist, wenn ein Schiedsrichter einiges addiert, was im Spiel zusammenkommt. Wenn er etwa bei zeitverzögernden Auswechslungen in der Nachspielzeit noch mal ein paar Sekunden obendrauf packt. Eine Erhebung besagt, dass Lewandowskis Tor zum 1:1 brutto zwar in Minute 96 fiel, nimmt man nur die reine Nettospielzeit, so waren erst 63 verstrichen. In den übrigen 33 Minuten wurde Zeit vergeudet, ruhte der Ball. Und natürlich verweisen jetzt einige aufs Gewohnheitsrecht - wonach bezweifelt werden müsse, dass Hertha-Duelle gegen Darmstadt oder Ingolstadt bei ähnlicher Dramaturgie auch auf XXL-Format gedehnt worden wären.

Wer dabei einen Bayern-Bonus generell verneint, ignoriert die Wirkung von Autoritäten auf die Psyche - auch der eines Schiedsgerichts. Der ignoriert, dass die Aura, die aus großen Niederlagen und großen Siegen wächst, ein Wettkampf-Faktor sein kann. Gerade heute, da bei den Immer-weiter-immer-weiter-Bayern und ihrem neuen Trainer Ancelotti so einiges zusammenkommt. Beispiel Bayern: In der Nachspielzeit (93. Minute) verloren die Münchner 1999 ihr legendäres Finale gegen Manchester United. Beispiel Ancelotti: In der Nachspielzeit (93.) köpfelte Sergio Ramos den Ausgleich, der Real Madrid die Verlängerung und Ancelotti 2014 seinen dritten Champions-League-Titel ermöglichte.

Bei dieser Historie können sie in der Hauptstadt nicht gegenhalten, auch wenn sich mancher am Samstag an die Vorwendezeit erinnert fühlte. An jene Tage, an denen im Berliner Osten so lange gespielt wurde, bis Stasi-Chef Erich Mielke sein Wunschergebnis hatte. Für seinen Seriensieger, den BFC Dynamo.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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