FC Bayern - Mainz:Tuchel gegen van Gaal - Philosophen unter sich

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Das 2:1 der Mainzer in München war auch der Sieg einer Spielidee des Trainers Thomas Tuchel. Sein Gegenpart Louis van Gaal spürt, dass ihm für sein Konzept derzeit die Mannschaft fehlt.

Maik Rosner

Pressekonferenzen sind normalerweise ungefähr so spannend wie das Paarungsverhalten von Karpfen, doch was ist schon normal derzeit in der Bundesliga? Handelsübliche Prognosen gehen zuverlässig daneben, und eine dieser handelsüblichen Prognosen war ja zu Saisonbeginn, dass die Bayern die Bundesliga dominieren werden wie keine Mannschaft zuvor.

Nationalspieler Thomas Müller ist nach der Niederlage gegen die Mainzer geschockt. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Nach der 1:2 (1:1)-Niederlage gegen den mittlerweile gar nicht mehr so überraschenden Tabellenführer Mainz 05 dämmert den Münchnern so langsam, dass es weder etwas mit der Dominanz in der Liga noch mit der fest eingeplanten Meisterschaft werden könnte. Zehn Punkte Rückstand beträgt der Abstand nun schon zu den Mainzern, und die erweckten bei ihrer bemerkenswerten Stippvisite in der Fröttmaninger Arena nicht den Eindruck, dass sie zufällig die Liga aufmischen.

Ihr sechster Sieg im sechsten Spiel war auch der Sieg einer Spielidee, jedenfalls für den Moment. Am kommenden Samstag kann die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel mit dem siebten Sieg in Folge den Ligarekord der Bayern einstellen, die tags darauf beim Tabellenzweiten Borussia Dortmund einen neuen Anlauf nehmen werden, den eigenen Ansprüchen zu genügen. Die langfristige Hoffnung der Münchner ist auch eine dieser Prognosen, die nun gestellt werden: Irgendwann werden die Mainzer im Laufe der Saison einbrechen, ausgelaugt vom kräftzehrenden Pressing-Fußball.

Die mittelfristigen Hoffnungen heißen Arjen Robben und Franck Ribery, die allerdings erst in Monaten (Robben) und Wochen (Ribery) ihre Verletzungen auskuriert haben werden. Die kurzfristige Hoffnung formulierte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge als Forderung: "Ich denke, wir tun gut daran, alle, die über uns stehen, mit Respekt zu behandeln, dazu gehören Dortmund und Mainz. Wir müssen uns an unsere eigene Nase packen und die läuft heute etwas."

Leidenschaft, Laufbereitschaft, Aggressivität - all diese Attribute habe Mainz gezeigt und Bayern vermissen gelassen. "Diese Attribute", sagte Rummenigge erbost, "müssen wir uns dringend wieder aneignen".

Die Pressekonferenz also, und die war schon allein deshalb nicht normal, weil dort zwei Fußballlehrer über ihre Spielideen dozierten, die gewisse Überschneidungen, im Kern aber unterschiedliche Anlagen haben. Zum Vergleich standen: Bayerns Aufbaufußball und der Mainzer Aufbauverhinderungsfußball.

Spannend war nun, dass der stets von sich überzeugte Louis van Gaal dabei zu beobachten war, wie er Thomas Tuchel sehr aufmerksam zuhörte, wie er ihn lange anschaute, wie er, man darf das wohl so sagen: staunte. 37 Jahre ist dieser Tuchel alt, und wie eloquent und anschaulich er da nach diesem Sieg durch die beiden Tore von Sami Allagui in der 15. und Adam Szalai in der 77. Minute über seine Spielidee und die Werte seiner Schule sprach, imponierte dem 59 Jahre alten Niederländer offensichtlich.

Die Bayern hatten übrigens gar kein Tor erzielt, ein Stürmertor erst recht nicht, wie in der gesamten Saison. Sie haben nun nur dank eines unglücklichen Eigentores durch Bo Svensson (45.) nicht allein die schlechteste Torausbeute, sondern mit fünf Treffern gemeinsam mit Köln und Nürnberg.

Tuchel sprach also von "Mut", vom Streben, "das Positionspiel der Bayern zu unterbinden", von "nach vorne verteidigen", "den Gegner sich nicht drehen zu lassen" und etwas kokett von einem "Lucky Punch", den man durch das zweite Tor gesetzt habe, nachdem der Meister zwar zunehmend dominant, aber wieder einmal wenig zwingend aufgetreten war. Und was dieser Erfolg der Spielidee nun für das Selbstverständnis bedeute, wurde Tuchel gefragt. "Wir fühlen uns nicht größer als wir sind. Man hat gespürt, dass die Mannschaft ein gewachsenes Selbstvertrauen und einen Glauben an ihre eigene Leistungfähigkeit hat. Wir hatten kein Ergebnisziel formuliert, sondern wir hatten formuliert, dass wir es schaffen wollen, auf allerhöchstem Niveau unser Ziel zu erkennen zu geben. Dass man erkennt, was dahinter steckt und dass wir versuchen, wir selber zu bleiben und die Besten zu sein, die wir sein können."

Sogenannte Matchpläne stellt Tuchel vor Spielen auf, und er glaubt, dass der Sieg in München "eine weitere Verstärkung" bedeutet. Und zwar: "Auf unserem weiteren Weg, unseren Stil zu spielen, dafür einzustehen und den Mut zu haben, das überall zu spielen."

Van Gaal hat irgendwann gesagt: "Sie können Meister werden." Aber auch er stellte diese Prognose, dass Mainz dieses extrem laufintensive Spiel nicht durchziehen kann, trotz beinahe inflationärer Rotation. Van Gaal, der in seinem Kader gar nicht rotieren lässt, musste sich zwischendurch die Frage gefallen lassen, ob er ratlos sei. Er hat das nicht direkt beantwortet, später gab er dennoch einen Einblick: "Ich kann nicht immer sagen, wir müssen die Chancen verwerten. Dann werde ich verrückt, aber auch die Fans."

Der Niederländer pocht weiter auf seine Spielidee der erdrückenden Kontrolle, doch es war ihm anzumerken, dass er langsam spürt, dass seine Mannschaft diese ohne Ausnahmekönner wie Robben und Ribery nicht mit Leben füllen kann.

Und vor allem: Dass sie erstmals auch gegen einen Gegner, der Forechecking praktiziert, nicht funktioniert hat. "Ich glaube an angreifenden Fußball. Ich glaube an Risiko gehen. Ich glaube an Spieler, die das Risiko gehen wollen. Und das ist eine Wechselwirkung zwischen Trainer und Spielern", sagte van Gaal in einer Mischung aus Trotz und Respekt und gestand dann ein: "Natürlich hat man gesehen, dass wir vielleicht mehr Qualität haben, aber Mainz hat wie eine Mannschaft gespielt, mit einer Handschrift." Jeder Klub werde es schwer haben gegen diesen Spielstil.

In München denken sie nun zwangsläufig in Monaten, in Mainz von Spiel zu Spiel. Noch nicht einmal mit der Herbstmeisterschaft wollten sie sich locken lassen. "Der Herbst hat doch gerade erst angefangen. Es ist sinnlos, weit zu denken und vieles liegen zu lassen", empfahl Allagui. "Wir genießen den Moment. Sicherlich ist in Mainz jetzt Ausnahmezustand, aber dafür machen wir den Krempel ja hier", sagte Manager Christian Heidel flapsig. Er gehe zudem nicht davon aus, dass man absteigen werde. Und auch nicht davon, dass man 34 Spiele gewinnen, sondern auch Niederlagen erleben werde. "Das ist dann kein Einbruch, sondern dann haben wir ein Spiel verloren", erklärte Heidel.

Zuweilen bekamen die Aussagen philosophische Züge, und der Philosoph der Stunde ist sicherlich Thomas Tuchel. "Es gibt kein Erfolgsrezept, sondern den Willen, Mainz 05 bleiben zu wollen. Das gilt für alle Lebenslagen: bei sich selbst zu bleiben", sagte er. Dann biss er in einen Apfel und stieg in den Mannschaftsbus. Sie wollten schnell zurück zum Flughafen und weiter nach Mainz, von wo aus sie erst am Morgen angereist waren.

Eine Mannschaftsfeier war angesetzt. In München ist vorerst nur mit Mannschaftssitzungen zu rechnen.

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