Borussia Dortmund in der Champions League:Der Doktor stellt die Mannschaft auf

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Vollgasfußball mit Abstrichen: Nuri Sahin (re.) und Sebastian Kehl (Foto: REUTERS)

Dauerverletzte, Formschwäche, Häme aus München. Borussia Dortmund stößt an seine Grenzen. Vor dem Champions-League-Rückspiel gegen Zenit St. Petersburg glauben sie beim BVB, dass in der Königsklasse womöglich früh Schluss sein könnte.

Von Freddie Röckenhaus

Als Jürgen Klopp sich jüngst mit der vielleicht spitzfindigen, vielleicht auch nur dahergesagten These von Matthias Sammer konfrontiert sah, ob denn "überall so akribisch gearbeitet" werde wie beim ruhmreichen FC Bayern, merkte man ihm an, dass die Provokation einen Nerv getroffen hatte. Klopp nahm ebenfalls Fahrt auf und konterte: "Ich finde es ganz wichtig im Leben, dass man das Glück, das man hat, auch erkennt. Ich an Matthias Sammers Stelle würde jeden Morgen, bevor ich das Bayern-Trainingsgelände betrete, Gott danken, dass irgendjemand auf die Idee gekommen ist, mich dazuzunehmen."

Nun, vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Zenit St. Petersburg an diesem Mittwoch, muss Klopp seine Aufstellung erneut gemeinsam mit Klubarzt Markus Braun machen. Das Verletzungs-Problem zieht sich durch die Saison - dafür will man sich beim BVB nicht auch noch von Sportvorstand Sammer aus München verhöhnen lassen.

Vor dem Spiel gegen die Gazprom-gespeisten Russen, bei denen der BVB das Hinspiel mit 4:2 gewann, fehlen die Langzeitverletzten Neven Subotic, Jakub Blaszczykowski, Sven Bender und Ilkay Gündogan. Marco Reus ist nach seinen Muskelproblemen zwar beschwerdefrei, wird aber noch nicht dabei sein. Robert Lewandowski kam vom jüngsten Ausflug zur polnischen Nationalelf mit der Diagnose einer "Kreuzband-Dehnung" zurück, Lukasz Piszczek, der die komplette Hinrunde passen musste, kämpft um seine Form, ebenso wie Mats Hummels oder Marcel Schmelzer, die in der Saison lange Verletzungspausen einlegen mussten.

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Der übrige Kader spielte mehr oder minder durch und stopfte die Lücken. Selbst bei Kevin Großkreutz, dem die Qualitäten eines Duracell-Hasen nachsagt werden, scheinen die Batteriereserven zur Neige zu gehen. Den Fußball-Fachbegriff der "Rotation" hat Klopp aus seinem Wortschatz gestrichen.

Vor Saisonstart hatte BVB-Vorstandschef Hans-Joachim Watzke noch in gespieltem Understatement den Zielkorridor ausgegeben: "25 Punkte Rückstand auf die Bayern wird es nicht mehr geben." Damals hatte der BVB gerade das Supercup-Finale gegen die Münchner mit 4:2 gewonnen, und alle Welt rief einen Zweikampf der Champions-League-Finalisten vom Mai 2013 aus. Knapp drei Viertel der Saison sind nun gespielt, Rückstand des BVB auf die Bayern: 23 Punkte. Tendenz steigend.

"Da die Bayern beschlossen haben, gar nicht mehr zu verlieren", sagt Klopp nun, "verändern sich die Saisonchancen aller anderen Klubs. Auch unsere." Doch Watzke versichert, trotz jüngster Rückschläge: "Unser Kader ist genauso breit aufgestellt, wie es unsere Finanzen eben zulassen." Das geht den meisten Klubs so. Nur wird von denen nicht erwartet, dass sie den Titelkampf etwas spannender machen sollen.

Bis zum 11. Spieltag gelang dies sogar - da lag die Borussia zeitweise gar knapp vorne. Dann brachen Klopp noch mehr Spieler weg - und alles ging dahin. Als er neulich auf einer Gala den Weltstar Zlatan Ibrahimovic aus Paris traf, der Klopp scherzhaft fragte, warum er ihn nicht endlich zum BVB hole, antwortete der: "Weil ich dann erst meine ganze Mannschaft verkaufen müsste, um dich zu holen."

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"Das ist ein völlig ungleiches Rennen, mit dieser Finanzwucht können wir nicht mithalten", sagt Watzke. Die Bayern geben, so schätzt Watzke auf Basis der offiziellen Münchner Geschäftsberichte, inzwischen fast das Dreifache für Gehälter aus, für Trainer Pep Guardiola bis hin zum letzten Edel-Reservisten. Als zu Saisonbeginn Jan Kirchhoff aus Mainz nach München wechselte, murrte Klopp: "So einem jungen Spieler geben sie halt ein paar Millionen Gehalt - und dafür setzt er sich halt ohne Klagen auf die Bank oder die Tribüne." Um Kirchhoff hatte sich der BVB auch bemüht, inzwischen ist er zu Schalke 04 ausgeliehen.

Die Finanzausstattung der Bayern erlaubt Gehälter, die bei den Spitzenkräften mehr als doppelt so hoch sind wie in Dortmund. Wenn Mario Götze in Dortmund fünf Millionen verdienen konnte, dann - so die Schätzung von Experten - liegt er nun in München bei elf Millionen Euro im Jahr. Kein Wunder, dass man sich bei jeder neuen Aufstellung des FC Bayern derzeit fragt: Wer fehlt denn jetzt? Ein Prominenter ersetzt den anderen Prominenten.

In Dortmund hingegen darf sich der Fan mit Talenten wie Eric Durm, Marvin Ducksch oder Marian Sarr vertraut machen, wenn sonst keiner mehr gesund ist. Dabei gehört der BVB mit seinen gewaltigen Sponsoren- und Ticketumsätzen schon selbst zu den zehn reichsten Klubs in Europa.

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Von Freddie Röckenhaus

Und so müssen sie in Dortmund irgendwie ihre Kräfte einteilen, was bei der laufintensiven, modernen Spielweise, ohne die kein Topklub mehr auskommt, offenbar nur auf eine Weise lösbar ist: Ab und zu in der Bundesliga eine Niederlage hinnehmen, um wenigstens im DFB-Pokal und in Europa mit halbwegs voller Kraft Klopps "Vollgasfußball" vorführen zu können.

Angesichts der Verletzten und der Dauerbelastung der gesund Gebliebenen glauben sie in Dortmund, dass es in der Champions League dieses Mal womöglich nur fürs Viertelfinale reichen könnte. Im Viertelfinale werden derzeit all die Klubs erwartet, die über ebenso viel Geld und Sponsoren verfügen wie der Dominator aus München. "Dort wieder hinzukommen", sagt Watzke, "ist für uns ein großartiger Erfolg."

Vielleicht gelingt es Watzke und Sportdirektor Michael Zorc, aus dem Verletzungspech wenigstens einen positiven Effekt herauszuholen. Ilkay Gündogan, seit über einem Jahr an der Wirbelsäule verletzt, soll seinen Vertrag (bisher bis 2015) verlängern. Für andere an dem Nationalspieler interessierte Klubs ist Gündogans mysteriöse Verletzung ein kaufmännischer Risikofaktor. Kann sein, dass man ihn deshalb noch einmal halten kann, im Gegensatz zu Götze (bei Bayern), Lewandowski (zu Bayern) oder Kagawa (bei Manchester United). Ändern wird sich daran erst dann etwas, wenn auch in Dortmund zwei, drei Investoren einsteigen würden, wie es BVB-Boss Watzke offenbar derzeit anstrebt. Bis dahin stellen Klopp und sein Doktor die Mannschaft auf.

© SZ vom 19.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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