Bolt vs Gatlin über 100 Meter:Licht gegen Dunkelheit

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Alles cool, nur ein bisschen mehr "stuff": Usain Bolt in Peking. (Foto: AFP)
  • Wer ist der schnellste Mann der Welt? Das Duell von Usain Bolt gegen Justin Gatlin wird zu einem epischen Kampf stilisiert.
  • An diesem Nachmittag fällt die Entscheidung. Hier geht's zu alles Ergebnissen und zum Liveticker aus Peking.

Von Johannes Knuth, Peking

Usain Bolt ist deutlich reifer geworden, das muss man ihm schon lassen. "Ich bin ein anderer Usain", sagt er, jetzt, da die WM in Peking anbricht. "Du musst im Training viel mehr opfern, wenn du älter bist." Am Freitag wurde er 29. "Es ist zu früh zum Feiern", sagt er. Und auch seine oft zitierte, nun ja, singuläre Ernährung (Chicken Nuggets) hat Bolt gründlich überprüft und durch eine ausgewogene Diät ersetzt. Bolt isst jetzt laut eigener Auskunft: "Rice, beef, chicken and stuff." (Reis, Fleisch, Hühnchen und so Sachen.)

Der neue Usain Bolt ist reifer, älter, wohlernährter, vor allem ist er vor den Halbfinals und dem Finale über 100 Meter am Sonntag im Pekinger Vogelnest erst einmal: Außenseiter.

Bolt ist zurück an den Ort, an dem alles begann

Bolt ist in diesen Tagen an jenen Ort zurückgekehrt, an dem er in die Liga der sogenannten Superstars des PR-Sports aufstieg. 2008, vor den Olympischen Spielen, hatte sich Bolt bereits den Weltrekord geschnappt, auf der größten Bühne des olympischen Sports hatte er allerdings noch nicht gespielt. Er kam über 100 Meter dann nach 9,69 Sekunden ins Ziel, rund 20 Meter vor dem Ziel trommelte er bereits mit den Armen auf seiner Brust, ein Schnürsenkel löste sich, viele verloren die Fassung, andere den Glauben. Seine folgenden Auftritte waren dann teilweise noch schneller, immer umtost, nur sagen wollte er nicht viel, abseits des üblichen Infotainments.

Diesmal ist alles ein wenig anders. Der schnellste Mann der 100-Meter-Welt in diesem Jahr ist der Amerikaner Justin Gatlin (9,74 Sekunden). Bolt meldete sich zuletzt oft verletzt ab, zuletzt lief er 9,87 Sekunden im Regen von London. Am Samstag in Peking gewann Gatlin das Jogging-Duell im Vorlauf schon mal mit 9,83 zu 9,97 Sekunden, sicher ist: Bolt und sieben Komparsen im Endlauf, so wird es diesmal nicht kommen. Das ist die eine Geschichte.

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Das gab es seit 1983 nicht mehr: Mit Julian Reus erreicht wieder ein deutscher Sprinter ein WM-Halbfinale. Usain Bolt muss sich dafür nur mäßig anstrengen - Mo Farah beeindruckt.

Bolt gegen Gatlin soll Gut gegen Böse sein?

Die andere handelt von nicht weniger als der Zukunft der Leichtathletik. Der Sport wird in diesen Tagen überschwemmt von Doping-Anschuldigungen, die Funktionäre agieren hilflos. Sie sind dringend auf gute Nachrichten angewiesen, das lädt dem ohnehin überfrachteten Duell der schnellen Männer noch mehr Bedeutung auf. Bolt gegen Gatlin, das sei Gut gegen Böse, Licht gegen Dunkelheit, das hört und liest man oft in diesen Tagen. Bolt müsse also gewinnen, um die drohende Regentschaft des zweimaligen Dopingtäters Justin Gatlin abzuwehren - diese überhöhte Deutung erzählt einiges über die Verzweiflung, die die Leichtathletik-Gemeinde gepackt hat.

Ob Bolt die Rolle des Saubermanns zusteht .... tja. Er ist mit der Rolle zumindest leicht überfordert. Vor den Vorläufen lädt er zur Pressekonferenz in ein Fünf-Sterne-Hotel, aus den Boxen dudelt Bob Marley, es läuft das Theater der Jamaika-Klischees. Bolt wird nach Chicken Wings gefragt, nach der Länge seines Bartes, er redet über seine Geburtstagstorte. Zu Doping sagt er nur etwas, weil es sich nicht mehr vermeiden lässt. Doping, alle reden nur noch von Doping.

"Ich wusste gar nicht, dass ich einen Blutpass habe"

"Es ist traurig", findet er. Dass Gatlin nach zwei Dopingtaten in den Sport zurückkehren durfte, damit habe er kein Problem. "Es gibt Regeln, die habe ich zu respektieren". Er fügt an: "Die Leute haben mir gesagt, ich laufe für den Sport. Aber ich kann das nicht alleine machen, wir Athleten müssen gemeinsam zeigen, dass unser Sport sauber ist." Als ihn ein Reporter fragt, ob er ein Problem damit habe, seine Blutwerte zu veröffentlichen, wie es andere Athleten zuletzt getan hatten, da sagt Bolt: "Ich wusste gar nicht, dass ich so einen Blutpass habe. Ich weiß nicht viel von diesen Dingen."

Gatlin, da sind sich die meisten einig, ist der Böse in diesem Schauspiel. Zumindest hat er in der aktuellen Saison einige elementare Fragen seines Sports aufgeworfen: Über Dopingvergehen, über Vergebung, ob Dopingmittel womöglich die Zeit einer Sperre überdauern, ob der Sportartikelhersteller Nike einen derart vorbelasteten Athleten mit einem schicken Zwei-Jahres-Vertrag ausstatten darf. Gatlin sagt zu all diesen Dingen: nichts. Nicht mehr. Er beharrt darauf, dass er zweimal unwissentlich dopte, einmal mit einem Medikament gegen seine Aufmerksamkeits-Defizite (2001), einmal, weil ihm sein Masseur heimlich eine Testosteroncreme eingerieben haben soll, angeblich aus Frust.

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Man muss Gatlins Thesen nicht glauben

Letztere These muss man nicht unbedingt glauben, abgesehen davon, dass ein Athlet für die Substanzen in seinem Körper verantwortlich ist. Ein 947 Seiten langes Verhörprotokoll der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada legt nahe, dass sich Gatlins Trainer Trevor Graham die Geschichte mit dem Masseur ausdachte; das Portal Letsrun.com hat entsprechende Auszüge veröffentlicht. Jener Graham betreute elf Athleten, die einst durch Dopingtests rauschten, darunter die US-Sprinter Marion Jones und Tim Montgomery.

Manche sagen, Gatlin, der Favorit, stecke in einem Dilemma: Läuft er langsamer als vor seiner Sperre, sagen die Leute, er habe die Dopingmittel abgesetzt, läuft er schneller (wie jetzt) ist er halt wieder gedopt. Sollte Bolt in Peking gewinnen, dürfte sich freilich ein anderes Bild abzeichnen: Der Saubermann aus Jamaika, umgeben von früheren Tätern wie Gatlin, dessen US-Kollegen Tyson Gay oder Asafa Powell, Jamaika. Die Leichtathletik wird durch das Sprintfinale viel Aufmerksamkeit provozieren, ihre bekannten Probleme wird sie nicht abschütteln.

© SZ vom 23.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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