Boateng-Rauswurf auf Schalke:Der Prinz geht

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Nie wieder für Schalke? Kevin-Prince Boateng (Foto: Maja Hitij/dpa)
  • Nach dem blutleeren Auftritt in Köln suspendiert der FC Schalke 04 drei Profis.
  • Vor allem an Spitzenverdiener Kevin-Prince Boateng wird ein Exempel statuiert.
  • Im Bundesliga-Endspurt geht es um die Jobs von Trainer Di Matteo und Sportchef Horst Heldt.
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Von Philipp Selldorf, Köln

Nach Schalkes 0:2-Niederlage beim 1. FC Köln herrschte vorübergehend Verwirrung um Trainer Roberto Di Matteo. Entgegen den Gepflogenheiten hatte er den üblichen Fernsehinterview-Parcours ausgelassen und war gesenkten Hauptes geradewegs in die Umkleide marschiert. So vergingen Minuten des Wartens. Während im Kabinengang die Mitarbeiter des Klubs beieinanderstanden und verdächtig betreten dreinschauten, fragten sich vor der Tür die Reporter, ob Di Matteo womöglich gerade den Hinterausgang nehme, um mit Bus oder Bahn, Fahrrad oder Flugzeug zu seiner Familie nach London heimzukehren - und zwar für immer.

Es wäre dem Italiener nicht zu verdenken gewesen, wenn er in einem Akt von Verzweiflung und Ohnmacht das Feld geräumt hätte. An diesem herrlichen Frühlingsabend in Köln-Müngersdorf hatte seine Mannschaft ein Spiel geboten, das nach Ansicht von Beteiligten einen historischen Rang besetzte: Julian Draxler war "ziemlich sicher, dass es eine der schlechtesten Begegnungen war, die wir in den letzten Jahren abgeliefert haben".

Benedikt Höwedes sagte, er mache sich "ja fast lächerlich und unglaubwürdig", wenn er versuchen sollte, für diesen "wieder blutleeren Auftritt" eine Erklärung vorzubringen. Und Manager Horst Heldt konstatierte, dass die Mannschaft am Sonntag zwar "nicht das erste schlechte Spiel" der Saison bestritten, in Köln aber "sicherlich den Höhepunkt" erreicht habe. Also: den Höhepunkt, was Tiefpunkte angeht.

Roberto Di Matteo ist dann doch noch aus der Deckung gekommen und hat pflichtgemäß seine Öffentlichkeitsarbeit erledigt. Zur Erläuterung des außergewöhnlich armseligen Vortrags seines Teams ist ihm allerdings nicht viel eingefallen.

Befragt zur Rolle von Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng, der eine besonders erschütternde Leistung geboten hatte, wiederholte er bloß, was er zuvor schon gesagt hatte: "Es war nicht die Frage eines einzelnen Spielers, es ist die Gesamtheit, die man anschauen muss." Ähnliches erklärte Heldt, doch der Sportchef drohte auch mit rigorosen Konsequenzen. Und er wusste offenbar auch, wen sie treffen sollten.

Am nächsten Tag erschien Boateng nicht mehr zum Training, und um ein Uhr mittags verschickte der Klub eine Mitteilung, in der er die Freistellung des Spielers bekanntgab. "Das Vertrauensverhältnis ist nicht mehr gegeben", erklärte Heldt wenig später dem Sportsender Sky. Außer dem 28-Jährigen hat der Verein auch den Reservestürmer Sidney Sam, der in Köln nicht dem Kader angehört hatte, vom Dienst befreit. Vorwurf: "Er schaut nur auf sich selbst." Ferner wurde Marco Höger, am Sonntag als Rechtsverteidiger aufgeboten, bis zum Wochenende vom Training suspendiert. Der Manager begründete dies mit "Zweifeln an der Loyalität".

Letzteres erstaunte: Höger, 26, hatte bisher ein hohes Ansehen, sein bis 2016 laufender Vertrag sollte auf beiderseitiges Betreiben in Kürze verlängert werden. Aus Högers Umfeld verlautete, dass er am Sonntag als Aushilfsverteidiger zwar unbestreitbar ein mieses Spiel gemacht, es aber mitnichten "irgendwelche disziplinarische Verfehlungen" gegeben habe. Das Problem ist wohl eher: Höger ist mit Boateng befreundet.

Schalke wollte Boateng nach zwei Jahren Zusammenarbeit loswerden, das stand schon vor dem Spiel in Köln fest. Die sportliche Leistung und der hoheitliche Anspruch des vermeintlichen Prinzen stimmten nach Meinung der Verantwortlichen nicht überein. Leistung und Gehalt (angeblich sieben Millionen Euro) schon gar nicht. Eingeweihte sagten ihm außerdem nach, die Stimmung in der Mannschaft zu belasten, und für diesen Vorwurf war der Auftritt in Köln eine Art Beweisführung: Er ging, seiner Anführer-Rolle verhängnisvoll gerecht werdend, mit besonders kruder Leistung voran.

Schon nach wenigen Minuten mussten die 46 500 Augenzeugen den Eindruck haben, dass ihm nicht nach den Mühseligkeiten eines Fußballspiels zumute war. Verwunderlich bloß, dass Di Matteo dem seltsamen und provokanten Schauspiel tatenlos zusah. Der Trainer verzichtete zwar auf den ihm reservierten Sitzplatz und nahm ausdauernd Haltung an der Seitenlinie an - einen Versuch, seine durch und durch träge Mannschaft coachend zu beleben, unternahm er jedoch nicht. Auch Boateng ließ er ungestört gewähren, zur zweiten Halbzeit durfte dieser sogar ins Spiel zurückkehren, während draußen Max Meyer immer noch Aufwärmübungen machen musste.

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In der vorigen Woche hatte Boateng dem Team als Einwechselspieler zum 3:2-Sieg gegen Stuttgart verholfen, das hatte Di Matteo bewogen, ihm wieder eine Chance zu geben, nachdem er ihn zuvor wochenlang in die Reserve versetzt hatte. Formell habe sich Boateng "nichts zuschulden kommen lassen", hieß es bei Schalke bisher. Nun pfeift man auf die Formalitäten und geht die Trennung offensiv an, obwohl das teuer werden kann. Bis 2016 gilt der Vertrag, die Entschädigung beim Vereinswechsel - ein Job in den USA ist im Gespräch - wird unter diesen Umständen bescheiden bleiben, zehn Millionen Euro Ablöse hatte Schalke an den AC Mailand für Boateng bezahlt.

Sam, im vorigen Sommer aus Leverkusen eingereist, aber bei den Schalkern nie zur Geltung gekommen, ist noch bis 2018 gebunden. Auch er durfte sich über einen großzügig dotierten Vertrag freuen, auch deshalb ließ Bayer den Nationalspieler widerstandslos ziehen.

Die Debatten in Gelsenkirchen haben somit vermutlich erst begonnen, und es dürfte, wie es in diesem Klub Tradition hat, heftig werden. Der Trainer Di Matteo wird von Heldt - und auch von wichtigen Spielern wie Höwedes und Draxler - energisch gestützt. Andererseits weiß Heldt, dass seine eigene Popularität zurzeit auch nicht die beste ist. In den beiden verbliebenen Liga-Spielen geht es wohl nicht nur um Schalkes Zugang zur Europa League.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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