Biathlon-Sorgenkind Michael Greis:Der Joker will angreifen

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Fuß verletzt, Kraft weg, WM-Norm verpasst: Eigentlich müsste Dreifach-Olympiasieger Michael Greis die Biathlon-WM vom Fernseher aus verfolgen. Die Bundestrainer haben den 35-Jährigen trotzdem nominiert. Greis selbst spricht mit bemerkenswerter Offenheit über seine Leidenszeit.

Carsten Eberts, Ruhpolding

Eigentlich sollte Michael Greis gar nicht hier sein. Er hustet ein wenig, er schwitzt in der dicken Winterjacke, die er den Sponsoren zuliebe tragen muss. Nach wenigen Minuten sind seine Wangen gerötet. Der Mann wirkt dennoch gelöst - viel gelöster, als in den ganzen Wochen zuvor.

"Mein Körper hat mir Grenzen gesetzt": Biathlet Michael Greis. (Foto: dpa)

Ruhpolding, Pressekonferenz, am Tag vor der WM-Eröffnungsfeier: Greis, 35 Jahre alt, sitzt auf dem Podium. Er ist tatsächlich dabei. Mittendrin. Lange sah es so aus, als würde die Heim-WM ohne den deutschen Dreifach-Olympiasieger stattfinden. Ausgerechnet in Ruhpolding, wo er seit vielen Jahren wohnt und trainiert. Als Greis am vergangenen Wochenende von seiner Nominierung erfahren hat, sei ihm ein Stein von Herzen geplumpst. Wie groß dieser Stein war? "Sehr groß", sagt Greis und lächelt.

Das schlimmste halbe Jahr seiner Sportlerlaufbahn liegt hinter ihm. Nach seiner späten Nominierung erzählt er: Darüber, wie er nur noch hinterherlief. Wie er keine Kraft in den Beinen spürte. Und wie er mit sich haderte, darüber nur noch kraftloser wurde. "Das war definitiv die schwerste Zeit meiner Karriere", sagt Greis heute: "Ich war mit meinem Latein am Ende. Der Spaß war komplett weg. Ich war nur noch frustriert."

Die Leidenszeit begann im vergangenen Sommer. Beim Fußballspielen zog er sich eine Syndesmose-Ruptur mit knöchernem Ausriss zu, fiel sechs Wochen aus, kämpfte sich mühsam zurück. Nach dem Saisonstart schmerzte erst der Fuß wieder, dann kamen Infekte dazu, die Kraft schwand. "Ich war so träge. So kaputt. Es war wie eine Folter", sagt Greis über jene Tage, an denen er wie gewohnt trainierte. Doch das Training machte ihn nicht besser, sondern nur noch matter. Da hatte Greis die WM bereits abgeschrieben. Er fragte sich: "Warum tue ich mir das an?"

Das größte Problem für Greis: Er wusste nicht, woran es lag, niemand wusste es. Greis, der immer ein explosiver Läufer war, verlor in der Loipe plötzlich Minuten auf die Konkurrenz. Bei seinem einzigen Weltcupstart seit Dezember landete er in Antholz abgeschlagen auf Platz 32." Ich bin zu langsam, ich bin zu langsam", sagte sich Greis immer wieder. Und grübelte: Was könnte es sein? Pfeiffersches Drüsenfieber? Der Beginn eines Burn-outs? Irgendwas mit dem Immunsystem? Greis glaubt: "Mein Körper hat mir Grenzen gesetzt, die ich gar nicht sehen konnte."

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Greis nahm sich erneut raus, versuchte sich zu kurieren, an andere Dinge zu denken als Biathlon und die Heim-WM. Erst Mitte Februar beim DSV-Trainingslager in Ridnaun stieg er wieder ein. Greis trainierte hart, holte sich einen Schnupfen, hatte irrsinnigen Muskelkater. Doch die Kraft kehrte langsam zurück, das spürte er. Greis fühlte sich wieder leistungsfähig.

Auch wenn womöglich Michael Rösch den Platz von Greis bekommen hätte, wäre Rösch nicht ebenfalls krank geworden: Als Ballast im Team sieht sich Greis nicht. Er habe von den Bundestrainern "kein Gnadenbrot" bekommen, sagt Greis. Das hätte er nicht akzeptiert. "Michi würde nicht mit zur WM fahren, wenn er sich nicht in der Lage fühlen würde, gute Leistungen zu zeigen", sagt auch sein Heim-Trainer Fritz Fischer. Auch Bundestrainer Uwe Müßiggang attestierte ihm ein gelungenes Trainigslager. Greis fühlt sich tatsächlich besser.

Am Samstag beim Sprint-Rennen wird er starten dürfen. Die deutschen Männer haben hier fünf statt vier Startplätze, weil Peiffer in dieser Disziplin 2011 Weltmeister wurde. Diesen Platz wird Greis erhalten. Er glaubt: "Wenn ich gutes Material habe, kann ich der Joker sein." Nicht mehr Medaillenfavorit, das scheint Vergangenheit zu sein.

Für die Staffel könnte er noch wertvoll werden. Greis mag derzeit keine fulminanten Laufleistungen abrufen, doch nach wie vor ist er ein sehr sicherer Schütze. Ein Schnellfeuerer, den seine fulminanten Schießeinlagen schon häufig gerettet haben. In der Staffel ist dies so wichtig wie in kaum einem anderen Wettbewerb.

Bevor er geht, lacht Greis noch mal, entledigt sich endlich der dicken Jacke und schwirrt aus dem Raum. Kurz zuvor hatte er noch seine Handlungsoptionen für die WM skizziert: "Angreifen, Schaulaufen oder ganz sein lassen. Diese drei Varianten gibt es." Greis hat sich für die erste entschieden.

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