Bastian Schweinsteiger im Interview:"Ich bin noch nicht fertig"

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Nationalspieler Bastian Schweinsteiger über die WM, die Ballack-Debatte, seinen Aufstieg zur Leitfigur und die Zukunft des FC Bayern.

Andreas Burkert und Moritz Kielbassa

Das Interview erscheint hier in einer gekürzten Version. Die vollständige Fassung ist im Sportteil der Süddeutschen Zeitung vom 26. August nachzulesen.

Er hat eine herausragende Saison hinter sich. Doch mit dem verlorenen Champions-League-Finale hadert Bastian Schweinsteiger noch immer: "Diese Nadel steckt noch tief in mir drinnen." (Foto: dpa)

Süddeutsche Zeitung: Herr Schweinsteiger, die Bundesliga hat wieder begonnen, dabei liegt die WM erst ein paar Wochen zurück. Wofür haben Sie die Zeit im Urlaub genutzt?

Bastian Schweinsteiger: Ich habe nicht geheiratet (lacht)...

SZ: ...wie Kollege Philipp Lahm. Der sagte, sein Urlaub habe ansonsten nur aus Schlafen und Essen bestanden.

Schweinsteiger: Bei mir war es ähnlich, du versuchst dich zu erholen, klar. Ich denke nicht am Strand zwölf Stunden über Fußball nach. Andererseits hast du im Urlaub auch mal Ruhe, um dich zu fragen: Was sind die Ziele für die neue Saison? Was kann man besser machen?

SZ: Der Münchner WM-Schützenkönig Thomas Müller verordnete sich im Urlaub strikten Ballentzug, Sie dagegen wurden schon kurz nach der WM beim Kick im Englischen Garten gesichtet.

Schweinsteiger: Mit Freunden ganz locker kicken, zum Spaß, das geht immer. Oder man spielt Golf oder Tennis. Ganz ohne Bälle und Sport ist mein Urlaub nicht. Und im Englischen Garten spielen meine Freunde oft bei schönem Wetter, wir haben dort einen guten Rasen. Ich weiß, dass mich die Leute dort vielleicht erkennen. Aber ich bin keiner, der sich vor so was scheut.

SZ: Auf den Fotos aus dem Englischen Garten trugen Sie ein Trikot von Frank Lampard - den Sie im WM-Achtelfinale gegen England (4:1) düpiert hatten.

Schweinsteiger: Das war Zufall. Bei der Trikotverteilung bekam ich eben das Shirt von Lampard.

SZ: Woran lag es, dass die deutsche Elf verdient gegen die Spanier verlor?

Schweinsteiger: Entscheidend war nicht so sehr der Ballbesitz. Aber jeder Spanier weiß genau, was der andere tut und wie er sich zu verhalten hat, besonders gegen den Ball. Da waren sie eine Klasse besser als Argentinien und England. Und Spieler wie Xavi und Iniesta denken und handeln enorm schnell. Körperlich waren wir sogar besser, aber uns fehlten noch sechs, sieben Tage Vorbereitung, um genau einzustudieren: Wie kann man auch so einem Gegner wehtun?

SZ: Hätte gegen Spanien die Routine von Michael Ballack geholfen?

FC Bayern: Einzelkritik
:Müde Superhelden

Bastian Schweinsteiger spielt wie Spiderman, Thomas Müller empfiehlt sich für den Nobelpreis, und Mario Gomez agiert, als habe er bei der WM etliche 90-Minuten-Einsätze gehabt. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Fröttmaning

Schweinsteiger: Darüber im Nachhinein zu diskutieren, das passt nicht. Nein, das wäre auch unfair gegenüber Sami Khedira, der ja für Ballack spielte. Ich denke, alle Spieler aus der Mannschaft sehen das so.

Der Trainer und sein Star: Unter Louis van Gaal reifte Bastian Schweinsteiger zu einem der weltbesten Mittelfeldspieler. (Foto: Alexandra Beier/Getty Images)

SZ: Ist das typisch deutsch: Nach Siegen über neue Hierarchien und die Kraft der Jugend zu jubeln - und bei Niederlagen sofort wieder nach einem erfahrenen Häuptling zu rufen?

Schweinsteiger: Vielleicht, ja. Mein Stil ist das aber nicht. Genauso hätte man hinterher debattieren können, ob wir mit Torsten Frings oder Kevin Kuranyi gegen die Spanier gewonnen hätten. Die Spieler, die da sind, sind da.Und die, die nicht da sind, sind nicht da. Punkt.

SZ: Warum ist dann jetzt die Kapitänsfrage beim DFB - Lahm oder Ballack - ein solch staatstragendes Thema?

Schweinsteiger: Für die Öffentlichkeit und für die Medien ist das wichtig. Für uns Spieler nicht. Joachim Löw weiß bestimmt schon, wen er als Kapitän nimmt. Und er ist unser Vorgesetzter, er entscheidet das.

SZ: Bisher aber nicht.

Schweinsteiger: Muss er ja auch jetzt noch nicht. Genauso könnte man doch fordern, dass der Bundestrainer jetzt schon die Startelf für die Spiele im September bekanntgibt.

SZ: Als Philipp Lahm bei der Weltmeisterschaft in Südafrika seine Spielführer-Ambitionen auch für die Zukunft verkündet hatte, sagten Sie: "Für mich bleibt Ballack der Kapitän, zwei Kapitäne sind einer zu viel." Was spräche denn heute aus Ihrer Sicht für Ballacks Verbleib im Kapitänsamt?

Schweinsteiger: Er hat viel für die Nationalelf geleistet, und wäre er nicht verletzt gewesen, gäbe es diese Debatte doch gar nicht.

SZ: Hat Lahm denn seinen Vorstoß während der Weltmeisterschaft im Namen der Mannschaft unternommen, die mit der neuen, flachen Hierarchie ja gut zurechtkam?

Schweinsteiger: Nein, ich wusste vorher auch nicht, dass Philipp das sagt.

SZ: Sportlich stünde auch Ihnen sicher das Amt zu. Sie haben bei der Weltmeisterschaft auf dem Niveau der Spanier gespielt, auf einer Stufe mit Xavi und Andres Iniesta.

Schweinsteiger: Das kann und will ich nicht beurteilen.

SZ: Man hat doch ein Gefühl dafür.

Schweinsteiger: Schon, aber man wird nie von mir hören, dass ich behaupte: Ich bin Weltklasse. So bin ich nicht erzogen. Ich spiele seit einem Jahr auf dieser Position, auf höchstem Niveau. Ich bin auf einem guten Weg, aber ich bin hier sicher noch nicht fertig in meiner Entwicklung.

SZ: Die vergangene Saison hat dem gesamten FC Bayern anscheinend ein völlig neues Selbstverständnis beschert.

Schweinsteiger: Klar, ein Jahr davor hat man schon gedacht: Ist das hier noch das Richtige? Jetzt haben wir einen Spielstil, der natürlich auch riskant ist - aber wir haben viele neue Fans gewonnen, die sagen: Super Fußball, das macht Spaß. Und ich sage auch: Inter Mailand wäre beim Champions-League-Finale in Madrid zu schlagen gewesen, leider haben wir da nicht zu 100 Prozent zu unserem Spiel gefunden. Das war der entscheidende Faktor, nicht so sehr Inters Stärke. Auch wenn sie taktisch sehr gut waren.

SZ: Trainer van Gaal sagt dagegen abschätzig, Inter habe nur verteidigt.

Schweinsteiger: Sie haben nacheinander den FC Chelsea, den FC Barcelona und uns geschlagen, das zeigt schon Qualität. Aber mir geht es ähnlich wie dem Trainer. Ich mag es, ein Spiel zu dominieren, wie wir es beim FC Bayern versuchen. So wie Inter zu spielen, das ist auch nicht meine Philosophie.

SZ: Sie galten lange als selbstzufriedenes, ewiges Talent, Uli Hoeneß kritisierte Sie immer wieder scharf. Gab es irgendwann einen Moment, an dem Sie selbst dachten, dass Sie München verlassen müssten, um als Fußballer zu reifen?

Schweinsteiger: Nein, nie. Ich habe mich für den steinigeren Weg entschieden und war immer überzeugt, dass ich das hier schaffen kann. Ich wusste auch immer, dass die zentrale Position im Mittelfeld meine beste ist. Mit diesem Gefühl war es für mich nicht immer leicht, viele Jahre lang außen zu spielen. Natürlich gab es schwierige Situationen, aber ich habe mich nie unterkriegen lassen.

SZ: Zuletzt wirkte es so, als wollten Sie sich bewusst verändern: "Schweini" sollte es nicht mehr geben, sondern: Bastian - Bastian Schweinsteiger.

Schweinsteiger: Mir hat Schweini eh nie gefallen. Ich höre und lese meinen vollen Namen nun mal am liebsten, wie das wohl bei jedem der Fall ist. Das hat ein bisserl mit Respekt zu tun. Und das ist sicher nicht zu viel verlangt.

SZ: Ihren Aufstieg hat auch der Trainer zu verantworten mit der erwähnten Versetzung auf die zentrale Position. Sie sind ihm vermutlich sehr dankbar.

Schweinsteiger: Sicher. Erst wollte er ja ein anderes System spielen. Als es am Anfang nicht lief, haben Trainer und Mannschaft gemeinsam entschieden, das zu ändern. Viele Spieler wollten, dass ich in der Mitte spiele, und Louis van Gaal ist dann auch jemand, der zuhört - wenn du gute Argumente hast. Aber komme ihm bloß nicht mit schlechten!

SZ: Vor genau einem Jahr waren die Kritik an van Gaal und die Skepsis ihm und seinen Methoden gegenüber groß.

Schweinsteiger: Ja, aber wenn ein neuer Trainer kommt, der so viel verlangt wie er, ist es normal, dass es dauert. Es ist schon enorm, wenn wir im Training spielen, er dann plötzlich laut pfeift und du denkst: Was ist denn jetzt? Und dann schreit er: "Ich will diesen Pass nicht so, der muss in den Lauf kommen, so, auf diesen Fuß!" Das ist Perfektionismus. Er tut dem FC Bayern gut mit seinen Ecken und Kanten. Und: Jetzt haben wir einen Plan.

SZ: Am frühen Donnerstagabend ist Auslosung, wie sehen Sie diesmal die Chancen in der Champions League?

Schweinsteiger: Letztes Jahr hatten wir es vielleicht nicht verdient, das Finale zu gewinnen. In der Vorrunde hatten wir ja zweimal verloren, wir wären draußen gewesen ohne Schützenhilfe von Bordeaux. Und ich will diesen Titel nur gewinnen, wenn ich weiß: Keiner hat mich geschlagen, wir waren die Besten. Heute sind wir weiter als vor einem Jahr. Ich denke, dass wir aktuell stärker sind als zum Beispiel Real. Es wird diese Saison allerdings schwieriger, weil sich die Gegner auf unseren Stil einstellen und unser Spiel kaputt machen wollen. Und es ist auch eine Gefahr, dass viele denken: Der Erfolg wiederholt sich eh wieder - als gehe es diesmal nur darum, ob wir die Champions League gewinnen.

SZ: Ist der FC Bayern denn so weit und so gut, dass er wirklich keine Neuverpflichtungen mehr benötigt?

Schweinsteiger: Klar rüsten die anderen Teams in Europa auf. Aber unsere Mischung im Kader passt. Ich finde es gut, wenn unser Sportdirektor Christian Nerlinger sagt: Wir müssen nicht um jeden Preis Spieler holen, wenn in der eigenen Jugend Talente da sind, die auch Qualität haben. Natürlich müssen die reifen, aber ich finde den Weg gut, den Bayern jetzt geht, wie mit Holger Badstuber und Thomas Müller. Als ich damals hochkam zu den Profis, war aus dem eigenen Laden nur Owen Hargreaves da - der nächste Spieler war schon acht Jahre älter als ich. Man muss ja nur mal überlegen, was für Spieler man hier abgegeben hat: Misimovic, Guerrero, Trochowski! Jetzt kommen dauernd Junge hoch, das ist gut.

© SZ vom 26.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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