Bastian Schweinsteiger:Der Bergführer geht

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Der Apinist am Gipfel: Bastian Schweinsteiger mit dem WM-Pokal in Rio. (Foto: Clive Rose/Getty)

Der Name "Schweinsteiger" war ein Jahrzehnt lang ein Synonym für den deutschen Fußball. Er startete als blondierter Bubi und verabschiedet sich als eine Respektsperson.

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Und hier die Aufstellung: Im Tor Kahn, in der Abwehr Hinkel, Nowotny, Wörns und Lahm, im Mittelfeld Hamann, Ballack, Schneider und Frings, im Sturm Klose und Bobic. Auf der Ersatzbank: Baumann, Ernst und Brdaric. Und natürlich Bastian Schweinsteiger.

In diesen Tagen wird ein lustiges Jubiläum begangen, das Wembley-Tor wird, obwohl es das Tor nie gegeben hat, 50 Jahre alt. Es wäre allerdings ein Missverständnis zu glauben, dass die oben genannte Aufstellung dieses Tor erlitten hätte. Diese Aufstellung kommt einem zwar auch ganz schön schwarz-weiß vor, aber es existieren belastbare Dokumente, die beweisen, dass Oliver Kahn zum Beispiel erst 1969 geboren wurde - eine Erkenntnis, die einen Einsatz im WM-Finale 1966 vermutlich ausschließt. Die oben genannte Elf spielte zu einer Zeit, in der das Farbfernsehen nachweislich bereits erfunden war, mit obiger Aufstellung verlor Deutschland im Juni 2004 gegen Ungarn. Es war der letzte Test vor einer Europameisterschaft, in der die Gegner keine Wembleytore brauchten, um Deutschland zu besiegen. Die Deutschen waren damals einfach grottenschlecht.

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In dieser Zeit, die einem weit, weit entfernt vorkommt, entstand der Fußballer Bastian Schweinsteiger.

Schweinsteiger ist immer noch erst 31, auch wenn er einem zuletzt so vorkam, als sei er vierunddreißigeinhalb. In jedem Fall hat er nun ein Alter erreicht, in dem man zurücktreten kann, ohne zu jung oder zu alt dafür zu sein. Am Freitag hat der gute, alte Schweinsteiger mithilfe der neuesten sozialen Medien mitgeteilt, was Experten nicht mehr überrascht hat: dass er seine Karriere in der Nationalelf nach 120 Länderspielen beenden werde. Er habe Joachim Löw gebeten, ihn "nicht mehr zu berücksichtigen", erklärte Schweinsteiger in einer 23-zeiligen Abschiedsmitteilung. Es sei "richtig und vernünftig", jetzt Schluss zu machen, mit dem WM-Titel 2014 sei "historisch und auch emotional etwas gelungen, was sich in meiner Karriere nicht mehr wiederholen lässt". Gerne hätte er 2016 auch noch den EM-Titel geholt, jenen Titel, "den wir seit 1996 nicht mehr nach Deutschland holen konnten. Es sollte nicht sein, und ich muss es akzeptieren".

Und auch das muss Schweinsteiger akzeptieren: dass die letzte Aktion im Nationaltrikot, an die man sich erinnern wird, ein grottenüberflüssiges Handspiel im EM-Halbfinale gegen Frankreich war.

Es dürfte Schweinsteiger trösten, dass niemand diese Szene stellvertretend nehmen wird für eine Karriere, die ihrerseits stellvertretend war. International war der Name "Schweinsteiger" ein Jahrzehnt lang ein Synonym für den deutschen Fußball, obwohl den Namen außerhalb Deutschlands niemand aussprechen konnte. Aber es wussten immer alle, wer gemeint war, wenn hochachtungsvoll von Schweinzigger oder E-swajne-staiger geraunt wurde.

Einer Ära einen Namen zu geben: Es gibt Schlechteres, was sich über eine Karriere sagen lässt.

Bastian Schweinsteigers Verdienst ist es, dass er den deutschen Fußball von der Talstation "Wörns" im Jahre 2004 zum Gipfelkreuz des Achttausenders "Maracanã" im Jahr 2014 hinaufgeführt hat. Im WM-Finale von Rio hat Schweinsteiger jene Geschichte geschrieben, die seine Karriere überdauern wird, das Bild dieses blutenden, nur notdürftig reparierten Schmerzensmannes gehört zur Ikonografie des deutschen Fußballs wie Helmut Rahns Hintergrundschuss 1954 oder Gerd Müllers Drehschuss 1974, wie Lothar Matthäus' Sololauf 1990 gegen Jugoslawien, wie Frank Rijkaards Speichelmuster in den Locken von Rudi Völler oder wie Philipp Lahms Urknalltor im Eröffnungsspiel der Heim-WM 2006. Schweinsteiger und Lahm sind schon deshalb historische Figuren, weil sie an und in der Zeitenwende Fußball spielen - debütiert haben sie noch in der mitunter grimmigen, streng hierarchischen Kahn-und-Ballack-Sportart, und sie haben die Sportart dann in jene neue Periode hinüberbegleitet, in der ein Ball sich plötzlich freute, wenn er für ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft eingeteilt wurde.

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Anders als der fast schon schwindelerregend perfekte Philipp Lahm, dessen Spiel bis zum heutigen Tag eine schweißfreie Selbstverständlichkeit ausstrahlt, hat Schweinsteiger sich sehr entwickeln müssen. Man hat das ja fast vergessen: dass dieser graue Star einmal Deutschlands oberste Fußballblondine war, ein Fingernägelfärber, der eine junge Dame einmal vorübergehend in seine Verwandtschaft einsortierte, um ihr als "Cousine" den Pool im Kabinentrakt des FC Bayern zu zeigen. Ein kleiner Hallodri war dieser Schweini. Aber anders als zum Poldi, zu dem heute immer noch jeder Poldi sagt, hat schon bald keiner mehr Schweini zum Basti gesagt.

Das ist das Bemerkenswerteste an Schweinsteigers Karriere: dieser allmähliche Wechsel ins Charakterfach, dieser Reifungsprozess vor den Augen der Republik, diese Wandlung vom bayerischen Schlawiner zur überregionalen Respektsperson, die den Hochglanzbetrieb trotzdem noch mit genügend frischer Folklore grundiert.

Auf diese Weise ist Schweinsteiger zu einer Marke geworden, die besser funktioniert, als das eine Marketing-Agentur je hätte erfinden können: ein wadlstrammer Bajuware aus Oberaudorf namens Schweinsteiger, ein Alpenmensch, der fast so gut Ski fährt wie der mit ihm natürlich bestens befreundete Neureuther Felix.

Mit jedem Fußballtag, den Schweinsteiger älter geworden ist, mit jedem Meter, den er mehr gelaufen ist, hat man ihm seine Biografie immer mehr angesehen: Wer Schweinsteiger heute am Ende eines Spiels ins Gesicht sieht, der sieht einen kantigen, wind- und wettergegerbten Bergführer, der jede Wetteränderung schon Stunden vorher riechen kann. Das war auch der Grund, warum der Bundestrainer Löw sich ausdrücklich den Luxus leisten wollte, den alten Alpinisten trotz zuletzt mangelnder Tourenpraxis mit auf die EM-Expedition zu nehmen. Er wollte Schweinsteigers Ausstrahlung und Erfahrung, und er wollte seinen Bergführerblick fürs Spiel.

Es ist vermutlich bloß Geschmackssache, ob man Schweinsteigers DFB-Rücktritt gerade noch rechtzeitig findet, oder ob man das merkwürdige Handspiel aus dem Halbfinale gegen Frankreich schon als Zeichen der Überforderung deutet und den Rücktritt also für über-überfällig hält. Ein Teil von Schweinsteiger ist immer noch das, was er immer war, ein versierter Passspieler, robust, unerschütterlich, mit beeindruckendem Zug zum Tor; ein anderer Teil tut sich aber ein bisschen schwer mit dem Rhythmus jener neuen Generation, die inzwischen schneller auf den Gipfeln ankommt als er und auf neuen, hippen Routen durch die Berge kraxelt.

Schweinsteiger hat gemerkt, dass 2018 nicht mehr funktionieren wird, was 2014 noch funktioniert hat und schon 2016 nur noch mit Mühe: dass er ohne große Spielpraxis und Form in ein Turnier geht und im Laufe der Veranstaltung Spielpraxis und Form wiederfindet. Schweinsteiger hat diesen Kampf oft genug gekämpft, er kann jetzt mal die anderen machen lassen.

Schweinsteiger ahnt, dass er all seine Kräfte brauchen wird, um zumindest noch ein anspruchsvoller Vereinsspieler zu bleiben. Bedenklich undementiert bleiben ja die jüngsten Gerüchte aus England, wonach José Mourinho, der neue Trainer von Manchester United, auf Schweinsteigers Dienste keinen Wert mehr lege. Schon wird getuschelt, Schweinsteiger würde bei anderen Klubs angeboten, das wäre kein sehr würdiges Finale für einen Spieler, der in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft inzwischen etwa denselben Stellenwert einnimmt wie der Trainer jener ungarischen Mannschaft, gegen die Schweinsteiger im Juni 2004 debütierte.

Trainer der Ungarn war damals Lothar Matthäus.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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