Australian Open:Steffi Graf hilft und Boris Becker staunt

Lesezeit: 3 min

Mit neuer Kraft: Angelique Kerber (Foto: Paul Crock/AFP)
  • Angelique Kerber spielt heute Nacht um den Einzug ins Finale der Australian Open. Es wäre ihr erstes Grand-Slam-Finale.
  • Obwohl die Kielerin schon länger oben in der Weltrangliste steht, wird sie auf der Tour nicht so richtig wahrgenommen.
  • Das liegt auch an ihrer relativen Erfolglosigkeit bei großen Turnieren. Das, so ihr Motto, soll sich nun ändern.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Boris Becker hat gekämpft, und so wie er auf dem Foto in der Herald Sun aussah, hat ihm dieser Abend im Crown-Hotel wirklich Spaß bereitet. Eine Ablenkung war seine Teilnahme an den Aussie Millions Poker Championships in jedem Fall, auch wenn er - wie die Sun formulierte - "hochkant rausflog". Ein bisschen Zocken zum Zeitvertreib: Der Eindruck, Becker sei bei diesen Australian Open unterbeschäftigt, täuscht. Der 48-Jährige geht nach wie vor auf in seiner Rolle als Trainer von Novak Djokovic und überlegt genau, wie er seine Freizeit anlegt. An diesem Mittwochmittag hat Boris Becker sich im Fernsehen ein Tennis-Match angeschaut: das Viertelfinale von Angelique Kerber.

Die 28-Jährige bezwang die zweimalige Melbourne-Siegerin Wiktoria Asarenka aus Weißrussland 6:3, 7:5. Als erste Deutsche seit Anke Huber hat Kerber es damit bei der Veranstaltung unter die letzten Vier geschafft. Ihre nächste Gegnerin im Halb- finale in der Nacht zum Donnerstag: die Engländerin Johanna Konta.

Vier Tage Training bei Steffi Graf

Was Becker von Kerber gegen Asarenka sah, gefiel ihm: "Sie ist eine Kämpfer- natur", lobte der dreimalige Wimbledon-Champion die aktuelle deutsche Nummer eins. Es klang fast so, als wollte Becker sich für die Rolle eines Mentors bewerben. Aber da kommt er zu spät. Die Rolle ist bereits besetzt. Von Steffi Graf.

Die Gewinnerin von 22 Grand-Slam-Trophäen hatte im vergangenen Frühjahr eine Einladung ausgesprochen, der Kerber gerne nachkam. Vier Tage lang trainierte Kerber in Las Vegas bei der inzwischen 46 Jahre alten Graf. Seitdem halten sie lose Kontakt. "Sie war immer mein Idol", schwärmte Kerber in Melbourne, "wenn ein Champion etwas sagt, hört man zu".

Kerber hat in zwölf Jahren neun Millionen Dollar Preisgeld erspielt

Boris Becker und Steffi Graf hinter sich zu wissen - eine größere Wertschätzung kann es für einen deutschen Tennis-Profi fast nicht geben. Andrea Petkovic und Sabine Lisicki mögen mit ihren interessanten, teils polarisierenden Persönlichkeiten bisher mehr Blicke auf sich gezogen haben, in Melbourne beweist Kerber aber gerade, wie außergewöhnlich auch sie ist. Selbst ohne Grand-Slam-Pokal.

Australian Open
:Der Mann, der den Tennisplatz revolutionieren will

Andreas Kemmerer ist der wichtigste Tennisplatzbauer Deutschlands - und sorgt nun dafür, dass der harte Platz Branchengrößen nicht mehr kaputt macht.

Von Gerald Kleffmann

In den vergangenen zwölf Jahren hat sie sich neun Millionen Dollar Preisgeld erspielt. Bei diesen Australian Open kommen nun noch einmal mindestens 481 000 Euro hinzu. Sollte Kerber Johanna Konta besiegen, die es als erste Britin seit Jo Durie 1983 in ein Grand-Slam-Halbfinale geschafft hat, würde daraus eine Million. Was Kerber mit ihrem Preisgeld macht, ist nicht bekannt. Das liegt zum einen daran, dass sie bescheiden auftritt; das luxuriöseste, womit man sie in Verbindung bringen kann, ist das schnelle Auto eines Sponsors, das sie fährt. Zum anderen liegt es auch daran, dass kaum einer fragt.

Kerber hat seit vier Jahren jede Saison in den Top Ten abgeschlossen. Aber selbst im globalen Tennis, wo alles durchleuchtet und vermarktet wird, ist sie eine, die eher mitläuft. Kerber fliegt die meiste Zeit unter dem Radar, obwohl sie immer wieder sportliche Spitzen setzte. 2011 stand sie bei den US Open im Halbfinale, 2012 in Wimbledon. Im vergangenen Jahr gewann sie vier mittelgroße Turniere, bei den vier Grand-Slam-Turnieren aber kam sie nicht ins Achtelfinale.

In der Weltrangliste wird Kerber aktuell auf dem sechsten Platz geführt, doch sie will mehr. "Es endlich bei den großen Turnieren krachen lassen": Dieses Motto hat sie für diese Saison ausgegeben. Mit ihrem Trainer Torben Beltz, 39, hat sie in der Vorbereitung viel gearbeitet, im Taunus und in Polen, wo sie lebt. Auch mental möchte Kerber stärker werden. "Ich brauche jetzt keine Angst zu haben vor solchen Spielerinnen, die rausgehen und zeigen, sie sind die Besten - dazu gehöre ich auch", lautet ihre Losung. Kerber will sich nicht mehr selbst klein machen. Nur noch die Aufgaben sollen schrumpfen. Mit diesem Trick möchte sie den Druck abbauen, der sie oft hemmte. Vor dem Halbfinale gegen die favorisierte Asarenka sagte Kerber sich deshalb, sie müsse das Match angehen wie das "bei einem kleinen Turnier". Der Trick ging auf.

Kommt nach dem Zitterstart nun das Finale?

"Sie schafft es, bei großem Rückstand die Nerven zu behalten", zeigte sich Becker beeindruckt. "Es spricht für ihren Charakter, dass sie zu Ende spielt und den Satz nicht herschenkt, wie es viele machen." Kerber hat keinen so mächtigen Aufschlag wie Serena Williams, ihre Vorhand ist nicht so furchterregend wie die von Garbiñe Muguruza aus Spanien, an der Kerber im vergangenen Jahr bei zwei Grand-Slam-Turnieren früh scheiterte. Kerbers Qualität? "Ich empfinde es als Leidenschaft, in unmöglichen Situationen nach einem Ball zu rennen. Oder nach einem Rückstand zu kontern", sagt Kerber selbst.

Bei diesen Australian Open spielte sie in der ersten Runde schlecht und musste gegen die Japanerin Misaki Doi einen Matchball abwehren. Woran der Zitterstart lag? Wie so oft sei sie die erste Aufgabe einfach zu nervös angegangen, glaubt Trainer Torben Beltz. Gegen Wiktoria Asarenka holte Kerber im Viertelfinale im zweiten Satz ein 2:5 auf, wehrte fünf Satzbälle ab und hinterließ eine zermürbte Gegnerin, an der sie zuvor in sechs Partien sechsmal gescheitert war. "Was ich hier auf jeden Fall gelernt habe", sagte Angelique Kerber anschließend: "Dass ich mein Selbstbewusstsein zeigen muss und zeigen kann."

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Angelique Kerber
:Zähe Kämpferin

Angelique Kerber kennt die großen Erfolge, doch auch die Last, eine Nummer eins zu sein. 2018 gelingt ihr die Rückkehr auf die große Bühne - und der lang ersehnte Triumph in Wimbledon. Ihre Karriere in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: