Australian Open:"Die größte Niederlage in diesem Jahrzehnt"

Lesezeit: 4 min

Seltsam ziellos: Novak Djokovic. (Foto: PanoramiC/imago)

Die sensationelle Zweitrunden-Niederlage von Titelverteidiger Novak Djokovic gegen den Usbeken Denis Istomin verspricht nicht bloß diese Australian Open zu ändern - sondern womöglich das ganze Tennis.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

"Bitte setzen Sie sich, so schnell es geht", sagte die Dame von der Turnierorganisation, einmal, zweimal. Schon beim Betreten des Pressekonferenzraumes namens "Theatrette" war somit klar: Da will einer rasch wieder weg, obwohl gerade erst gekommen.

15 Minuten nur war es her, dass sich "die größte Niederlage in diesem Jahrzehnt" ereignet hatte, wie der frühere Weltranglisten-Erste und jetzige TV-Kommentator John McEnroe in einer ersten Einordnung in Melbourne gar meinte, da saß Novak Djokovic dort unten und blickte fahl ins Halbrund hoch, in dem sich die Reporter drängten. 6:7 (8), 7:5, 6:2, 6:7 (5), 4:6, Spielzeit 4:48 Stunden, das Arbeitsprotokoll gab wieder, wie intensiv er sich gewehrt hatte. Und auch, dass er seine Chancen hatte. "An jedem bestimmten Tag kannst du eben verlieren", führte der Verlierer aus.

Australian Open
:Petkovic: "Ich bin froh, verloren zu haben"

Zuerst staucht ihr neuer Trainer sie zusammen, dann versteht Andrea Petkovic ihre Niederlage in der zweiten Runde der Australian Open als "Lerngeschenk".

Und doch war es natürlich komplizierter, alle Zahlen, Fakten, Annahmen hatten doch für ihn gesprochen. "Klar war er der Außenseiter", gab Djokovic zu. Sein Bezwinger hatte nicht sechsmal die Australian Open gewonnen wie Djokovic, der sich melancholisch erinnerte: "Dieser Platz war immer so nett zu mir." Nur diesmal nicht. Der Außenseiter siegte.

Denis Istomin, 30, Usbeke, in Moskau wohnhaft, derzeit 117. der Weltrangliste, reihte sich ein in die Liste derer, denen die Tennis-Sensationen gelungen sind. 2013 zum Beispiel besiegte in Wimbledon ein gewisser Steve Darcis aus Belgien den Spanier Rafael Nadal in der ersten Runde. Beim selben Turnier warf der Ukrainer Sergej Stachowski am Tag danach Roger Federer raus. 2002 unterlag Pete Sampras dem Schweizer George Bastl in Wimbledon - ähnlich wie Boris Becker 1987: Der Deutsche scheiterte spektakulär als Titelverteidiger in Runde zwei am damals nahezu unbekannten Australier Peter Doohan.

Später, als alles vorbei, als die Liste der Sensationen verlängert war, fand Djokovic doch noch zu einer Erklärung: nämlich der, dass Tennis eben so sein könne wie an diesem Donnerstag in Melbourne. Die Qualität in diesem Sport steige von Jahr zu Jahr, alle Profis würden immer professioneller. Er mochte Recht haben, nur sticht der Serbe eben aus dem Feld heraus, ist er bekannt als jener Ausnahme-Akteur, der im Juni 2016 nach seinem Triumph bei den French Open alle vier Grand-Slam-Titel (Paris, Wimbledon, New York, Melbourne) zeitgleich in Besitz hatte. Der zudem in der Weltrangliste kilometerweit vor dem Schotten Andy Murray lag und so bald nicht einzuholen zu sein schien.

Australian Open
:Fünf lebenslange Sperren im Tennis

Wettbetrug? Gibt es im Tennis zuhauf, vor allem in den unterklassigen Touren. Doch inzwischen decken die Fahnder immer mehr Fälle auf - und verhängen harte Strafen.

Von Gerald Kleffmann

Djokovic war zwar Vorjahressieger, der Titelverteidiger, aber die Niederlage hatte sich durch den Saisonverlauf zumindest angedeutet. Seine zweieinhalbjährige Dominanz war ja schon gebrochen, als er im Juli 2016 in Wimbledon gegen einen gewissen Sam Querrey aus den USA verlor. Im Herbst dann, als er ein Erstrunden-Aus bei Olympia gegen den Argentinier Juan Martín Del Potro und die Finalniederlage bei den US Open gegen den Schweizer Stan Wawrinka zu verarbeiten hatte, gestand er, dass ihn die Jagd nach dem Grand-Slam-Titel von Paris - dem letzten, der ihm so lange gefehlt hatte - ausgelaugt habe. Dass er sich neu definieren, einen neuen Sinn seines Sportlerschaffens suchen müsse. Die Öffentlichkeit registrierte immer mehr Geschichten jenseits des Centre Courts: Gerüchte über Eheprobleme wurden laut, zudem die Probleme in seinem Trainerstab diskutiert. Verstärkt suchte er Zuspruch bei einem weiteren, einem dritten Trainer. Marian Vajda und Boris Becker hatten zu akzeptieren, dass der Spanier Pepe Imaz an Einfluss gewann mit von Spiritualität durchsetzten Lehren. Dem Vernehmen nach löste Becker auch wegen dieser Konstellation das Bündnis auf, das lange sehr erfolgreich wa r. An sechs der zwölf Major-Titel von Djokovic hatte Becker mitgewirkt. Im Dezember ging er, mit dezenter Kritik: Djokovic habe in der zweiten Jahreshälfte 2016 zu wenig trainiert.

Umso delikater war jetzt die Situation in Melbourne, denn Becker begleitete das Djokovic-Aus in seinem neuen Job als TV-Kommentator für Eurosport. Er sei dem Serben noch verbunden, gab Becker zu verstehen - dabei klang er jedoch mehr nach unabhängigem Kritiker, der er nun ist, als nach einem in Erinnerungen schwelgenden Mitarbeiter von einst. "Das ist etwas ganz Neues für Djokovic, das hatte er lange nicht", sagte Becker und ergänzte bedeutungsschwer: "Das wird jetzt eine neue Weichenstellung für ihn. Das Turnier hat sich mit dem Djokovic-Aus komplett verändert. Das ist ein Erdrutsch."

Der trotz allem nicht zu erwarten war. Anfang Januar hatte der 29-Jährige wie zum Beweis dafür, dass er zurück ist, in Doha gewonnen, im Finale beherrschte er Andy Murray, den neuen Besten der Branche. "Ich habe eine neue Saison begonnen", sagte er dort zu den Turbulenzen zuvor, "ich habe das alles vergessen, irgendwie." Verändert hat er sich dennoch, auch äußerlich: Weil er so dünn ist, hat sich jüngst sogar Martina Navratilova, Tennis-Größe von einst, besorgt dazu geäußert.

Spielerisch gab es gegen Denis Istomin nur eine Phase, in der Djokovic überlegen zu sein schien. Beim Stand von 4:5, 15:40 aus Sicht des Favoriten war Istomin nur einen Punkt von einer 2:0-Satzführung entfernt - da schlug Djokovic wie zu besten Zeiten einen Aufschlagwinner sowie ein Ass und kontrollierte das Match bis zum Anfang des vierten Satzes. Dann der Wendepunkt. "Ich fühlte, dass das Match drehte", gab Djokovic zu. Fortan lief er hinterher, auch im Tie-Break, in dem Istomin auf 5:1 davonzog. Das entscheidende Break im fünften Satz gelang Istomin zum 3:2 - mit einer Rückhand bretthart die Linie entlang. "Novak hat viel zu defensiv, zu passiv gespielt", monierte Becker, "Istomin war in den Ballwechseln meist der Erste, der Druck gemacht und daher verdient gewonnen hat." Der Sieger dagegen äußerte auch Empathie. "Mir tut Novak leid", sagte Istomin, "ich habe heute so gut gespielt."

Dabei hatte er sich erst über einen Umweg für die Australian Open qualifiziert. Istomin, der 2001 einen derart schlimmen Autounfall hatte, dass er zwei Jahre nicht Tennis spielen konnte, sicherte sich bei einem Qualifikationsturnier in China eine Wildcard des Verbandes Asia-Pacific. Mutter Klaudiya, die ihn coacht, sagte nach dem Sieg zu ihm: "Good job." Die Istomins haben einen trockenen Humor.

Djokovic gefiel damit indes auch. Als er gefragt wurde, was er als Erkenntnis mitnehme, lächelte er und sprach: "Dass ich die Koffer packe und nach Hause gehe."

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: