Argentiniens Weg ins WM-Finale:Eine Nudel und einer vom Jupiter

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Tatsächlich im Finale: Lionel Messi (rechts), Martin Demichelis (links) mit Torwart Mariano Andujar (Foto: dpa)

Der Fußball der Argentinier ist bei der WM giftig bis unverdaulich. Lionel Messi schmeißt erst erbost die Kapitänsbinde auf den Boden, dann rettet er sein Team in großer Not. Der holprige Weg der Argentinier bis ins Endspiel von Rio.

Von Johannes Knuth

1. Gruppenspiel, Argentinien - Bosnien Herzegowina 2:1

Prädikat des Spiels: Lionel Messi, der wohl beste Fußballer des Planeten, betritt zum ersten Mal den heiligen Rasen des Maracanã-Stadions. Hier würde gleich das erste Spiel der Argentinier bei dieser WM beginnen, hier will sich Messi am 13. Juli im Finale gegen Deutschland zum König der Fußballer krönen.

Performance des Spiels: Lionel Messi schießt das Tor zum 2:1, wer sonst. Größeres Lob gebührt aber Argentiniens Torwart Sergio Romero. Der rettet gegen aufmüpfige Bosnier in großer Not.

Überraschung des Spiels: Trainer Alejandro Sabella schickt seine Mannschaft zunächst in einer enthaltsamen 5-3-2-Formation aufs Feld. Messi ist ertzürnt, in der Halbzeitpause reißt er sich seine Kapitänsbinde vom Arm und schmeißt sie auf den Boden. Nach der Halbzeit spielt Argentinien dann plötzlich offensiver. Unschwer zu erraten, wer bei den Blau-Weißen die Taktik vorgibt.

Was hat gefehlt? Fußball. Zumindest von Seiten der Argentinier.

Was war überflüssig? Die "Man of the Match"-Auszeichnung, gestiftet von einer amerikanischen Brauerei, deren Bier manche eher an den Geschmack von Pferdeurin erinnert. Auszeichnungen, die von derartigen Sponsoren präsentiert werden, braucht niemand. Nicht einmal Lionel Messi.

Satz des Tages: "Wer nicht hüpft, der ist Engländer" (Argentinische Fans, die seit dem Konflikt um die Falklandinseln in herzlicher Abneigung mit den Briten verbunden sind, in der U-Bahn auf dem Weg zum Stadion).

Stimmungsbarometer in der Heimat: Knapp an einer Blamage vorbei. Aber wir haben ja Messi.

Bild des Spiels:

Moment der Befreiung: der viermalige Weltfußballer Lionel Messi trifft zum 2:0 für Argentinien. (Foto: JUAN MABROMATA/AFP)

Prädikat des Spiels: Kann die Mannschaft auch ohne ihren Zauberfuß? Sie kann nicht. Erst ein zauberhafter Fernschuss von Messi in der Nachspielzeit beschert den Argentiniern einen schmeichelhaften 1:0-Erfolg.

Performance: 114 Pässe spielen die Iraner in der gesamten Partie - Minusrekord seit Aufzeichnungen derartiger WM-Statistiken im Jahr 1966.

Überraschung: Die Iraner. Besitzen zwar selten bis nie den Ball, produzieren trotzdem die größten Chancen der Partie.

Was hat gefehlt? Fußball. Zumindest von Seiten der Argentinier.

Was war überflüssig? Der Stinkefinger von Diego Maradona im venezolanischen TV, als Antwort auf die Schmähungen von Argentiniens Fifa-Onkel Julio Grondona ("Als der Seuchenvogel ging, haben wir gegen den Iran gewonnen"). Berechtigt (der Stinkefinger, nicht Grondona), aber zu viel Aufmerksamkeit für diesen Fifa-Schurken.

Satz des Tages: "Zum Glück hat der Zwerg an der Lampe gerieben" (Torwart Sergio Romero).

Stimmungsbarometer: Knapp an einer monumentalen Blamage vorbei. Aber wir haben ja Messi.

Bild des Spiels:

Ohne Messi geht nichts bei Argentinien. (Foto: AFP)

Prädikat des Spiels: Fast ein Heimspiel für die Argentinier. Der Spielort Porto Alegre liegt rund 600 Kilometer vor der argentinischen Grenze. 80.000 blau-weiße Fans strömen am Spieltag in die Stadt, 20.000 singen im Stadion.

Performance: Unglücklicher als Nigerias Vincent Enyeama kann ein Torwart kaum einen Treffer hinnehmen (Tomislav Piplica ausgenommen). Ángel Di María schießt, der Ball prallt an Enyeamas Hinterkopf, dann an den Pfosten, an Enyeamas Rücken, wieder an den Pfosten, vor Messis Füße, ins Tor.

Überraschung: Es gibt auch Torschützen, die nicht Messi heißen. Argentiniens Verteidiger Marcos Rojo wuchtet den Ball schön hässlich mit dem Knie zum 3:2-Endstand ins Tor.

Was hat gefehlt? Eine stabile argentinische Defensive. Aber die Argentinier haben ja Messi.

Was war überflüssig? Messi bis zur 63. Minute spielen zu lassen. Argentinien war vor dem Spiel fürs Achtelfinale qualifiziert. Aber Sabella wagt es nicht, sich gegen seinen wichtigsten Spieler aufzulehnen.

Satz des Tages: "Messi ist vom Jupiter" (Nigerias Trainer Stephen Keshi)

Stimmungsbarometer: Endlich mal keine Fast-Blamage. Und wir haben noch immer Messi.

Bild des Spiels:

Pechvogel des Spiels: Nigerias Torwart Vincent Enyeama (Foto: AP)

Prädikat des Spiels: Die wohl letzte Herausforderung für Ottmar Hitzfeld, den scheidenden Trainer der Schweiz: das Wunderkind aufhalten. Und Hitzfeld triumphiert. Fast.

Performance: Kopfball an den Pfosten, Abpraller ans Knie, der Ball trudelt neben das Tor - so formschön wie der Schweizer Blerim Džemaili hat noch kein Spieler in der 119. Minute den Ausgleich vergeben.

Überraschung: Lionel Messi marschiert nach 118. Minuten auf den Strafraum der Schweizer zu - und schießt nicht. Er erspäht "Fideo", die Nudel, unter diesem Namen firmiert sein Kollege Angel di María. Di María trifft, Argentinien steht im Viertelfinale.

Was hat gefehlt? Der Ausgleich von Blerim Džemaili, ein Elfmeterschießen. Beides hätten die Schweizer verdient gehabt.

Was war überflüssig? Die "Man of the Match"-Auszeichnung, gestiftet von einer amerikanischen Brauerei, deren Bier manche eher an den Geschmack von Pferdeurin erinnert. Hatten wir diesen Unfug schon erwähnt?

Satz des Tages: "In den letzten drei Minuten hat man noch einmal erlebt, was in einem Trainerleben alles möglich ist" (Ottmar Hitzfeld).

Stimmungsbarometer: Eine Schande, diese Leistung. Aber wir haben ja Messi.

Bild des Spiels:

Liebesgruß an irgendwen: Torschütze Angel Di María (Foto: REUTERS)

Prädikat des Spiels: Argentinien gegen Belgien, oder: der erste richtige Stresstest für die Blau-Weißen.

Performance: Trainer Sabella kippt nach einer vertändelten Chance seiner Mannschaft nach hinten wie ein Turmspringer vom Zehn-Meter-Turm, er fängt sich in letzter Sekunde. Sehr zur Freude der Twitter- und Facebook-Gemeinde.

Überraschung: "Wir sind mehr denn je ein Team", sagt Messi nach dem Spiel.

Was hat gefehlt? Die Gegenwehr der Belgier. Verständlich bei diesem Spiel in der Mittagsglut von São Paulo.

Was war überflüssig? Spiele in der Mittagsglut wie jenes in São Paulo. Zum Glück beginnen nach dem Viertelfinale die Halbfinalspiele mit späterer Anstoßzeit.

Satz des Tages: "Messi ist wie Wasser in der Wüste" (Alejandro Sabella).

Stimmungsbarometer: Wir sind endlich da, wo wir hingehören: unter den besten Vier der Welt.

Bild des Spiels:

Kurz vorm Hitzschlag: Wasser für Argentiniens Trainer Sabella (Foto: AFP)

Prädikat des Spiels: Messi gegen Robben, Robben gegen Messi. Alle anderen Spieler kann man getrost vernachlässigen für dieses Halbfinale. Dachten viele.

Performance: Argentiniens Torwart hält zwei niederländische Elfmeter im Elfmeterschießen. Hollands Ersatztorwart und Trashtalker Tim Krul, gegen Costa Rica noch eingewechselt und zum Elfmeter-Helden aufgestiegen, schaut zu und beißt in sein Torwart-Trikot. Messi und Robben nehmen ebenfalls am Spiel teil, mehr oder weniger.

Überraschung: Diesmal keine Einwechslung von Krul, kein goldenes Händchen von Louis van Gaal. Nur Blech.

Was hat gefehlt? Fußball. Von beiden Mannschaften.

Was war überflüssig? Die 120 Minuten vor dem Elfmeterschießen.

Satz des Tages: "Brasilien, sag' mir, wie es sich anfühlt, deinen Papa zu Hause zu haben" (Argentinische Fans vertreiben sich die Wartzeit bis zum Elfmeterschießen, indem sie die Halbfinal-Niederlage ihres Erzfeindes besingen).

Fieberkurve: Nieselregen, ein frostiger Kick. Aber hey, wir werden Weltmeister.

Bild des Spiels:

Argentiniens Torwart Sergio Romero hält zwei holländische Elfmeter. (Foto: dpa)
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