Fußball in Ägypten:Vergeltung nach den Todesurteilen

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Fordern Vergeltung: Ultra-Fangruppen im ägypitischen Fußball. (Foto: dpa)

Im Februar starben bei Krawallen in der ägyptischen Fußball-Liga 74 Fans. Seitdem ruhte der Ligabetrieb, 21 Todesurteile wurden gefällt. Erst an diesem Wochenende soll wieder gespielt werden. Ob diesmal alles friedlich bleibt, ist ungewiss. Denn die Ultra-Gruppierungen fordern Vergeltung.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Al-Ahly verliert ungern. 36 Mal hieß der ägyptische Meister Ahly, der Erzfeind Zamalek holte den Titel nur elf Mal, andere Mannschaften liefen und laufen unter der Kategorie "ferner spielten". Die 1948 ausgerufene ägyptische Liga (die "Etisalat-Premier-League" wird vom Mobilfunkanbieter Etisalat aus den Emiraten gesponsert) zeichnet sich von außen betrachtet also durch eine gewisse Berechenbarkeit aus, was die Begeisterung der Fans nicht schmälert: Fußballfanatische Ägypter - bekennende Nicht-Fans gibt es erstaunlich wenige - stellen sich der Dauerniederlage ihrer eigenen Teams wie einer chronischen Krankheit als lebenslange Herausforderung. Wenn es sein muss, auch in der zweiten Liga.

Auch der Meister der Saison 2010/11 hieß Ahly, und es wäre in der darauffolgenden Saison wohl weitergegangen mit der Dominanz, wäre die Fußballszene am Nil nicht in sich zusammen gebrochen. So wie das ganze Land: Seit der Anti-Mubarak-Revolution machen die "Ultras", die beinharten Ahly-Fans, vor allem dann Schlagzeilen, wenn sie Steine und Molotow-Cocktails werfend gegen die Polizei anstürmen. Die Saison wird immer wieder ausgesetzt. Sie soll nun am Samstag wieder aufgenommen werden. Ob sie angesichts der anhaltenden Unruhen überhaupt zu Ende gespielt werden kann, ist offen.

Einer der "Ultras" unter den Ahly-Fans ist ein 20-Jähriger, den sie wegen seiner akademischen Meriten den "verrückten Professor" nennen; er studiert im zweiten Semester Jura. Der verrückte Professor sieht dem Wochenende gelassen entgegen. "Wir haben Regeln: Wir sind eine Familie, folgen Ahly, wo immer sie spielen. Wir sind immer für Ahly, aber nicht als Klub und auch nicht für einzelne Spieler." Wie das zu verstehen sei, kann er nicht erklären. Wichtiger als Sport findet er ohnehin, dass "es Vergeltung gibt für unsere Märtyrer". Der Professor und die "Ultras" spielen als Avantgarde und Sturmspitze unter den Demonstranten gegen den neuen Präsidenten Mohamed Mursi und seine Polizei.

Die Anhänger des vor gut 100 Jahren gegründeten Klubs, der sechsmal die afrikanische Champions League gewonnen hat, waren schon immer aufsässig. Der Verein wurde einst als Symbol gegen die britische Fremdherrschaft ins Leben gerufen. Die Briten sind weg, Ahly bleibt: Auch die "Ultras" von heute stellen sich aus Prinzip gegen die Staatsmacht, egal wer sie gerade ausübt und unabhängig davon, dass der Name des Klubs so etwas bedeutet wie "die Nationalen".

Unter Mubarak prügelten sich die Fans - häufig stammen sie aus Kairos Armenvierteln, aber es finden sich auch genug Mittelstandskinder darunter - seit 2007 von Spiel zu Spiel mit den Hooligans gegnerischer Mannschaften und den Uniformierten. Seit 2011 ist der Tahrir-Platz ihre Tribüne. Der junge Ultra aus Kairo sagt dennoch: "Wir sind nicht politisch. Aber als die Revolution begann, waren wir die Einzigen, die der Polizei standhielten. Jetzt werden wir gerufen, wenn es eng wird."

Im Februar 2012 wurde das Unpolitische dann offensichtlich politisch: Beim Spiel gegen Al-Masry aus Port Said verlor der Meister, bei den anschließenden Krawallen zwischen den Fans starben 74 Ahly-Anhänger. Es war ein regelrechtes Massaker. Die Masry-Anhänger waren mit Messern, Dachlatten und Keulen auf ihre Gegner losgegangen, hatten die aus Kairo angereisten Ahlawis von den Tribünen in die Tiefe gestoßen, totgeschlagen, niedergetrampelt. Die Polizei, angetreten in für ein ägyptisches Spiel ungewöhnlich kleiner Zahl, hatte tatenlos zugesehen und die Stadiontore und Notausgänge gesperrt. Unter den Toten waren neben einer jungen Schwangeren auch zwei Profi-Fußballer.

Seitdem fordern die Ultras Vergeltung. Die 21 Todesurteile im Prozess haben sie als "Justizfarce gegen Unschuldige" zurückgewiesen, weil sie nur gegen Zivilisten gefällt wurden. Bei den Straßenschlachten rufen sie laut nach "Gerechtigkeit für unsere Märtyrer", gefordert werden Todesurteile auch für die verantwortlichen Polizeioffiziere aus Port Said. Unterstützt werden die "Ultras" im Tränengasnebel gelegentlich von den "White Knights" - die weißen Ritter brüllen und schlägern in den Stadien für den Ahly-Erzfeind Zamalek, dem meist glücklosen Verein der Bessergestellten, Intellektuellen und Bonvivants.

Die beiden Teams aus der Hauptstadt gehören der Liga seit der ersten Spielsaison 1948 ohne Unterbrechung an. Andere Klubs, die im Namen anderer Städte oder der Polizei, des Militärs oder der Textilindustrie spielen, sind später dazu gestoßen. Neben Zamalek ist es Al-Masry aus Port Said, dem der Hass der "Ultras" gilt, und das nicht erst seit dem Stadion-Massaker von 2012 - die Feindschaft der beiden Vereine ist so alt wie das erste Spiel, in dem sie gegeneinander antraten. Noch hoffnungsloser ist es allerdings um das Verhältnis der Ultras zur Polizei bestellt: Ihr Slogan lautet: ACAB - "All cops are bastards", alle Polizisten sind Scheißkerle.

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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