1. FC Köln in der Bundesliga:Mehr Krach als beim Urknall

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Beim wilden 1:0 gegen Hertha BSC Berlin fliegt Kölns Lukas Podolski vom Platz, nach der Partie läuft Trainer Ståle Solbakken brüllend und fäusteschwingend über das Spielfeld - später trennt sich der Verein von Sportdirektor Volker Finke. Das ist selbst für den 1. FC Köln ein ungewöhnlicher Spieltag.

Philipp Selldorf, Köln

Werner Wolf hatte Wichtiges zu verkünden am Sonntagmorgen um elf im Geißbockheim, neben ihm saß der Pressesprecher des 1. FC Köln und neben diesem der seit Samstagabend ehemalige Sportchef des Klubs. Volker Finke, 63, blickte ernst und unbewegt in einen Saal voller Kameras und aufmerksamer Leute. Aber zuerst mal musste Wolf, Geschäftsführer einer Brauereigruppe aus der Eifel und seit Herbst kommissarischer Präsident des FC, über das Spiel vom Vortag reden. "Sensationelles Spiel, da war alles drin von Herzinfarkt bis Freudentränen", schwärmte Wolf, und mit solchen Erörterungen verging noch eine ganze Weile, bis er zu dem Punkt gelangte, der Finke betraf. Mit der gleichen heiteren rheinischen Nonchalance, mit der er eben über den 1:0-Sieg gegen Hertha BSC gesprochen hatte, gab Wolf bekannt, der Verein habe entschieden, "dass es am besten ist, sich zu trennen" vom Sportdirektor. "Einvernehmlich", wie er betonte, "der Herr Finke sitzt ja neben mir und grollt nicht in irgendeiner Ecke". Es hätte einen nicht gewundert, wenn zur Feier des Tages ein paar Kränze Kölsch gereicht worden wären.

Nein, Kölns Lukas Podolski will seinem Trainer Ståle Solbakken nicht an den Kragen - er zeigt ihm nur anschaulich die Szene, die zum Feldverweis Podolskis geführt hat. (Foto: dpa)

Finke erweckte nicht den Anschein, das Einvernehmliche an der Trennung in Frage stellen zu wollen. Er bedankte sich dezidiert für die Zusammenarbeit ("ich meine das sehr, sehr ernst") und führte zum abschließenden Beweis seiner Loyalität eine kleine Pantomime auf. "Ich will sein wie die drei Affen, indem ich nichts höre, nichts sehe, nichts sage" erklärte er und hielt sich die Hände vor die Ohren, die Augen und den Mund. Ein insgesamt skurriles Ende seines 13 Monate währenden Engagements, in dem ihm die Kölner Öffentlichkeit die Sympathien eher vorenthalten hatte. Volker Finke ist darüber nicht sentimental geworden: "Dass ich manchmal der bad boy war, damit konnte ich leben."

Ob Finke gewusst hat, was passieren würde, als er am Samstag nach dem Spiel die Kölner Kabine aufsuchte? Ruhig und entspannt bahnte er sich den Weg und wirkte dadurch ziemlich distanziert im Kölner Trubel. Der FC hatte eben eine Partie gewonnen, die tatsächlich allerhöchste Infarkt-Gefahr hervorgerufen hatte. Der unglückliche Schiedsrichter Winkmann hatte drei rote Karten verteilt, die aus einem guten und spannenden Bundesliga-Spiel ein gewaltiges Drama machten. Es gab einen Pfostenschuss für Hertha in drittletzter und eine Riesenchance für den Berliner Ben-Hatira in vorletzter Minute. Und auf den Rängen tobte ein Publikum, das mehr Krach machte als der Urknall vor 14 Milliarden Jahren. Beim Kölner Trainer Ståle Solbakken löste der Schlusspfiff einen selbstvergessenen Impuls aus, der ihn brüllend auf den Rasen laufen und Fäuste schwingend vor das Volk treten ließ.

Finke hingegen befand sachlich: "Es war ein ordentliches Spiel von uns." Vielleicht ahnte er da, dass der Klub seine zuletzt arg in die Öffentlichkeit drängenden Differenzen mit Solbakken nicht länger aushalten wollte, und dass er mit dem befreienden Sieg gegen den Abstiegskonkurrenten Hertha den passenden Zeitpunkt gekommen sah. Es hatte ja genügend vergebliche Vermittlungsversuche gegeben. Abends um neun erhielt Finke Gewissheit. "So ist die Zusammenarbeit nicht mehr sinnvoll", sagte Wolf. Der Klub brauche "Klarheit", und die schien nicht zuletzt das Fußballspiel am Nachmittag gegeben zu haben. Diverse FC-Profis bescheinigten sich selbst - nicht zu Unrecht - die beste Saisonleistung. Das 1:0 von Christian Clemens (36.) wurde nach der glatten roten Karte gegen Mate Jajalo (66., Foul) und dem doppelten Feldverweis gegen Podolski (Rot) und Herthas Kobiaschwili (Gelb-Rot/76.) von neun Kölnern gegen zehn Berliner verteidigt. "Die Zuschauer wurden richtig belohnt für ihr Eintrittsgeld", freute sich Sascha Riether. Die Klubchefs mögen das als Votum betrachtet haben.

Solbakken gab zu Finkes Demission nach dem Training am Sonntag ein ehrliches Statement ab: "Ich will nicht lügen und sagen: Wir sind die besten Freunde!" Finke hatte Solbakken im Mai vorigen Jahres verpflichtet und ihn mit einer Ablösezahlung an den norwegischen Verband freigekauft. Er glaubte, er habe einen modernen Trainer gewonnen, der Kontinuität in den FC bringe. Aber bald taten sich Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Personal auf. Finkes Plädoyer für Spieler aus dem eigenen Nachwuchs fand beim Trainer keinen Anklang. Im Winter musste Finke den Stürmer Freis an den Konkurrenten Freiburg verschenken, weil Solbakken ihn partout nicht haben wollte. Als Freis vorigen Samstag ein wichtiges Tor für den SC schoss, konnte Finke die Bemerkung nicht unterdrücken, er habe "die Faust in der Tasche geballt". Auch das unkonventionelle Abwehrsystem von Solbakken blieb ein Streitpunkt, Finke hielt sich aber in dieser Diskussion zurück, er wähnte die Spieler auf seiner Seite.

Solbakken aber hat Lukas Podolski hinter sich. Der Nationalspieler stellte zur Trennung von Finke, den er verdächtigte, die kölsche Seele des Klubs zu verraten, lakonisch fest, er sei "nicht überrascht". Allzu lang wird sich der Trainer aber nicht mehr erfreuen können an Podolskis Unterstützung. In diversen Statements deutete der 25-Jährige am Samstag an, dass sein Abschied aus Köln und sein Umzug zum FC Arsenal nur noch die Frage der Einigung zwischen den Klubs sei. Und wie viele der verbliebenen neun Punktspiele Podolski mitmachen darf, darüber befindet nach seiner roten Karte das DFB-Sportgericht. Der vom Schiedsrichter erhobene Vorwurf, Podolski habe Gegenspieler Kobiaschwili gewürgt, wurde zwar durch Fernsehbilder widerlegt. Aber die DFB-Justiz übt in solchen Fällen ungern Nachsicht.

© SZ vom 12.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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