Tourismus und Umwelt:Kreuzfahrt, ja! Umweltschutz? Egal!

Large cruise ships in front San Marco Square

Vorfahrt am Markusplatz: Venedig wird von rund zehn Kreuzfahrtschiffen pro Tag heimgesucht. Schwefelarmer Schiffsdiesel ist im Mittelmeer nicht vorgeschrieben.

(Foto: Andrea Merola/dpa)

Immer mehr Deutsche lieben Reisen auf hoher See. Doch beim Umweltschutz drücken viele Passagiere und Reedereien noch immer ein Auge zu. Hohe Erwartungen ruhen jetzt auf der "Aida Prima".

Von Joachim Becker

Ans Meer, der guten Luft wegen! Das salzige Reizklima gilt als gesund. Kreuzfahrtgäste genießen die frische Brise in norwegischen Fjorden genauso wie die schneeweiße Arktis. Nicht zu vergessen die Hafenstädte, die von immer mehr "Traumschiffen" angelaufen werden. In Warnemünde bei Rostock, New York, Hamburg oder Venedig hat das Wort Reizklima eine zwiespältige Bedeutung: An windarmen Tagen hängen braune Dunstschwaden über der Innenstadt. Im Winter schneit es mitunter schwarze Flocken, die Anwohner haben Angst vor Asthma und Lungenkrebs. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Friends of the Earth (USA) haben schon vor zwei Jahren Feinstaubelastungen in der Nähe von Kreuzfahrtterminals gemessen, die um das 60-Fache über den Durchschnittswerten in der jeweiligen Stadt lagen.

Ozeanriesen unter Volldampf galten lange als Inbegriff des Fortschritts. Mittlerweile sind die massenhaft qualmenden Schlote jedoch zum Problem auf allen Weltmeeren geworden. Auch die schnittigen Kreuzfahrtschiffe blasen hochgiftige Abgase in die Luft - selbst wenn sie nur 0,5 Prozent der globalen Schiffsflotte ausmachen. Auf hoher See wird in den meisten Fällen Schweröl verfeuert, das bis zu 4,5 Prozent Schwefel enthält. Das Bundesumweltamt nennt die Verwertung dieses Raffinerie-Reststoffes, der nur halb so viel kostet wie entschwefelter Marinediesel, "Müllverbrennung auf hoher See". In der Nord- und Ostsee müssen solche Stinker jedoch draußen bleiben. Seit Januar 2015 dürfen dort nur noch Schiffskraftstoffe mit einen Schwefelanteil von 0,1 Prozent eingesetzt werden. Alternativ können auch Entschwefelungsanlagen an Bord eingesetzt werden. "Die Umweltzone auf See zeigt Wirkung", sagt Leif Miller, "durch die Verwendung höherwertiger Kraftstoffe konnte der Ausstoß von Schiffsabgasen um 50 Prozent und mehr gesenkt werden", so der NABU-Bundesgeschäftsführer.

Traumschiff-Boom: Die Zahl der deutschen Kreuzfahrtgäste hat sich in 20 Jahren verzehnfacht

Saubere Luft stoßen Schiffe trotzdem nicht aus. Eine Reinigung von Stickoxid- oder Feinstaub-Emissionen findet nur in Ausnahmefällen statt. Bei Autos und Lkws sind extrem schwefelarmer Sprit, Partikelfilter und Anlagen zur Stickoxid-Nachbehandlung dagegen längst Standard. Ein Passagierdampfer ohne Filter oder Entschwefelungsanlage kann nach NABU-Angaben täglich rund 450 Kilogramm Rußpartikel, 5250 Kilogramm Stickoxide und 7500 Kilogramm Schwefeldioxide ausstoßen. Mit solchen Umweltstinkern dürfen die Reedereien mitten in romantische Hafenstädte am Mittelmeer oder in der Karibik shippern. In der Hauptsaison machen in Venedig rund zehn riesige Kreuzfahrtschiffe Halt - pro Tag. Nach kurzem "Burn-out" an der Fußgängerzone dampfen sie mit qualmenden Schloten wieder ab. Die Luft am Lido kann dann schlechter sein als neben einem Braunkohlekraftwerk.

"Um den Hotelbetrieb mit der Stromversorgung an Bord aufrechtzuerhalten, müssen die Motoren im Dauerbetrieb arbeiten, was riesige Mengen an toxischen Gasen freisetzt", sagte der Verkehrsexperte Axel Friedrich: "Rußpartikel sind laut WHO ebenso krebserregend wie Asbest." Das Problem liegt in der Schadstoffkonzentration durch den zunehmende Schiffsverkehr. Der boomende Markt der Kreuzfahrtschiffe macht den einstmals exklusiven Urlaub auf See für viele Menschen erschwinglich. Umweltschutz ist in vielen schwimmenden Freizeitparks jedoch Nebensache. Allein in den vergangenen zehn Jahren wuchs die weltweite Nachfrage nach Kreuzfahrten um 68 Prozent. Auch für Deutschland wird 2016 mit zwei Millionen Kreuzfahrtgästen ein neuer Rekord erwartet - die Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren verzehnfacht.

Jüngstes Superlativ ist der schwimmende Hotelriese Harmony of the Seas mit 361 Meter Länge. Das neue Dickschiff ist länger als der Eiffelturm hoch ist und bietet Platz für knapp 5500 Passagiere (SZ berichtete). Wenn der Ozeanriese im Mai erstmals in See sticht, werden ein Amphitheater, ein Surf-Simulator und ein Park mit 12 000 echten Bäumen und Pflanzen mit an Bord sein. Der Kraftstoffverbrauch in den neuen Schiffen der Quantum-Klasse sei um 20 Prozent geringer als bei den Vorgänger-Modellen, betont der Schiffseigner Royal Caribbean. Wesentlichen Anteil an dem Effizienzgewinn hat ein Perlenteppich aus mikroskopisch kleinen Luftblasen. Diese "Luftschmierung" reduziert die Reibung des Schiffsrumpfs im Wasser erheblich. Während sich die Sprudeltechnologie zum neuen Umweltstandard entwickelt, bleiben ähnliche Fortschritte in der Abgasreinigung jedoch die Ausnahme.

Zukunft Flüssiggas?

Allein in diesem Jahr stechen in Deutschland sechs neue Hochsee-Kreuzfahrtschiffe in See. Am 7. Mai wird im Rahmen des Hamburger Hafengeburtstags auch die Aida Prima getauft. Das derzeit umweltfreundlichste Kraftwerk auf hoher See soll dank neu entwickelter Filter-Technologien 90 bis 99 Prozent der Emissionen von Rußpartikeln, Stickoxiden sowie Schwefeloxiden reduzieren. "Das umfassende Abgasnachbehandlungssystem auf der Aida Prima ist die kompakteste Anlage dieser Art weltweit. Sie wurde ohne Platzverlust in den bereits vorhandenen Maschinenschacht integriert. Das war technisch äußerst anspruchsvoll und mit umfangreichen Investitionen verbunden", sagt Jens Kohlmann, der als Vice President Innovation & Projects Carnival Maritime die Marken Aida, Costa und Costa Asia verantwortet.

Die Aida Prima ist das grüne Feigenblatt der Branche: "Wer heute noch die Investitionen in Abgastechnik und höherwertigen Kraftstoff scheut, handelt absolut fahrlässig", mahnt Leif Miller vom NABU: Bei der Vorstellung ihres aktuellen Kreuzfahrt-Rankings kritisierte er die fortdauernde Verweigerungshaltung von Marktgrößen wie Royal Caribbean und MSC Cruises. Die letztgenannten Italiener gaben allerdings vor wenigen Wochen bekannt, dass sie ab 2022 vier innovative Schiffe mit Flüssiggasantrieb (LNG) in Dienst stellen wollen. Aida Cruises hat bereits für 2019 und 2020 zwei Schiffe mit dem verflüssigten, tiefkalten Gas als Hauptkraftstoff bestellt. Die neuen Flaggschiffe sollen mehr als 5000 Passagiere beherbergen und rund 500 Millionen Euro kosten. Die Aida-Schwestergesellschaft Costa Crociere will zwei LNG-Kreuzfahrtschiffe für jeweils 6600 Gäste in Betrieb nehmen.

Flüssiggas scheint sich nach jahrelangem Für und Wider in der Branche zum Inbegriff für "green cruises", also umweltfreundliche Seereisen zu entwickeln. Werden die Dual-Fuel-Motoren mit Gas betrieben, arbeiten sie deutlich sauberer als bei der Nutzung von herkömmlichem Marinediesel mit 0,1 Prozent Schwefelgehalt. Es entstehen weder Schwefeloxide noch Rußpartikel, die Stickoxid-Emissionen sinken um bis zu 80 Prozent und die CO₂-Emissionen werden um 20 Prozent reduziert. Soweit die Theorie. Noch fehlen Erfahrungen aus der Praxis und vor allem fehlt die Infrastruktur für eine weltweite LNG-Versorgung in den Häfen. Die Aida Prima kann als erstes Kreuzfahrtschiff zumindest beim Hotelbetrieb im Hafen mit LNG betrieben werden. Das Gas wird per Tank-Laster am Kai angeliefert und dann über Schläuche in den Bauch des Schiffes für 3300 Passagiere gepumpt. Es geht bisher also kein Platz an Bord durch zusätzliche Treibstofftanks verloren.

Bei den genannten neuen Schiffen soll LNG künftig auch auf hoher See eingesetzt werden. Weil aus Sicherheitsgründen auch die gängigen Schiffstreibstoffe mitgeführt werden, sind für die Flüssiggastanks größere Umplanungen an Bord nötig. Die nächste Generation von Aida-Schiffen ab 2019/2020 benötigt für die LNG-Bunker eine Fläche von rund 3350 Kubikmeter. "Das entspricht einem Verlust von zirka 100 Kabinen im Crewbereich", erklärt Jens Kohlmann. Bei einem geplanten Einsatzzeitraum von 30 Jahren kostet die relativ saubere Abluft auf Dauer also richtig viel Platz - und Geld.

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