Tourismus in Kuba:Kein Land für alte Männer

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Alle wollen schnell nach Kuba, solange es noch so ist, wie man es kennt. Die Kubaner dagegen hoffen auf Veränderung.

Beate Köhne

Auf einmal hat es Fidel Castro ganz eilig. Dabei hätte man seinen Ausweis gerne noch länger in Ruhe studiert. Wer konnte schließlich damit rechnen, ihm gleich am ersten Tag der Reise in Havanna zu begegnen?

Touristen hören gern zu, wenn die alten Kubaner ihre Geschichten erzählen. (Foto: Foto: AP)

Der Mann muss geahnt haben, dass sein Name angezweifelt werden würde, alsbald zog er das entsprechende Dokument aus der Hosentasche. Da stand es dann schwarz auf weiß: Fidel Castro. Nur das Geburtsjahr des jungen Fidel war auf die Schnelle nicht auszumachen, der handgeschriebene zweite Nachname nicht zu entziffern.

Das klappt allerdings nur, solange jemand noch nicht vertraut ist mit dem Unterschied zwischen dem einheimischen und dem konvertiblen Peso. Letzterer, an den US-Dollar gebunden, ist 24 Mal mehr wert. Dafür ziert den nationalen Schein, das angebliche Sammlerstück, ein visionär blickender Che Guevara mit wallendem Haar.

Drei Pesos Convertibles, das sind ungefähr drei US-Dollar, ein kleiner lehrreicher Verlust also für den Neuankömmling, für jemanden wie den jungen Fidel aber ein Fünftel eines kubanischen Monatseinkommens.

Schon war der junge Revolutionär wieder im Schatten hinter der marmornen Christusstatue verschwunden - mitsamt dem Drei-Peso-Schein, den er soeben eingetauscht hatte.

Mit der Zeit bekommt man einen Blick für die jungen Männer mit ihren roten Banknoten, auch wenn nicht jeder von ihnen gleich Fidel Castro heißt. In Havanna wie auch in Santiago de Cuba versuchen sie ihr Glück bei neu angekommenen Touristen. "Sammlerstück - möchtest du tauschen?", raunen sie.

Während im Ausland alle von den Veränderungen auf Kuba reden, seit der Comandante Fidel Castro Ende Februar abgedankt hat, ist für die Kubaner nämlich eines gleich geblieben: Um satt zu werden, müssen sie sich etwas einfallen lassen.

Alberto zum Beispiel rückt unauffällig näher auf der steinernen Parkbank der Plaza de las Armas in Havanna. Den ältlichen Mann mit dem gescheitelten Haar umgibt ein Hauch von Verwahrlosung, obwohl seine helle Hose keinen einzigen Fleck aufweist und seine Schuhe tadellos geputzt sind.

Nach ein paar Worten über die Tauben und das Murmelspiel der Jungen im Park erzählt Alberto, wie er nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2001 nach Kuba zurückkehrte. 20 Jahre zuvor seien sie gemeinsam mit einem Floß über die Meerenge nach Florida geflohen. Das war die Zeit, in der aus dem Wasser gefischte Flüchtlinge von der US-amerikanischen Küstenwache noch nicht zurück nach Kuba geschickt wurden.

Lesen Sie weiter, warum Geschichtenerzähler in Kuba Hochkonjunktur haben.

Kuba
:Insel des Verfalls und der Schönheit

Man kann seinen Kuba-Urlaub im Hotel und am dazugehörigen Strand verbringen. Oder man kann ein schönes Land entdecken.

Mit offenen Armen sei Roberto in den USA empfangen worden. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, die längste Zeit als Taxifahrer in New York City. Erst als sein Vater starb, hatte Alberto genug. Er wollte heim - zurück auf die Insel.

Das sind Geschichten, wie sie Touristen gerne hören, auch und gerade von Alberto, der so gut Englisch spricht und mit seinen vielleicht 55 Jahren alles erlebt zu haben scheint, was zu einem guten Drama gehört: Not und Flucht, Tod und Heimweh. Alberto streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

Er könne einem die Insel zeigen, würde einen Wagen organisieren, überall hinfahren, das letzte Paar habe dankbar gesagt, dass ihm die Woche 600 Dollar wert gewesen sei. "Von 20 Dollar im Monat kann man selbst hier nicht leben", erklärt er, "die Leute brauchen mehr Geld und vor allem mehr Freiheit." Das glaubt man ihm dann uneingeschränkt.

Kubafieber weltweit

Wer Touristen anspricht, hat die Chance, innerhalb kurzer Zeit relativ viel Geld zu verdienen, deswegen haben die Geschichtenerzähler Hochkonjunktur. Die Nachricht über den Rücktritt Fidel Castros hat weltweit ein Kuba-Fieber entfacht, wie es die beste Werbekampagne nicht hätte leisten können.

Eine Million Besucher wurden im ersten Quartal 2008 gezählt, so viele kamen noch nie. Alle wollen sich das Leben auf der sozialistischen Insel noch einmal anschauen, ehe es womöglich zu spät ist und Havannas Ruinen renoviert, die Oldtimer verschrottet und die handgemalten sozialistischen Durchhalteparolen von blinkenden Werbetafeln abgelöst sind.

Nach Ostern beginnt normalerweise die Nebensaison: Vereinzelte Regenschauer können die drückende Schwüle nicht vertreiben, die über der Insel lastet. Das sind jene Tage, an denen die Bewegungen langsamer werden und die Zeit zäh zu fließen scheint. Selbst die Hunde von Havanna erheben sich erst in der Dämmerung und versammeln sich dann auf den Plätzen der Altstadt, wo sich die Hitze weniger staut als in den engen Gassen.

In der Art-Déco-Bar im Bacardi-Gebäude steht heute die Klimaanlage still. Aber Noël hat den Schlüssel, um der Glut zu entkommen: Nachdem der altersschwache Fahrstuhl im sechsten Stock ratternd zum Stehen gekommen ist, öffnet er eine weitere Tür.

Gewundene Stiegen führen hinauf bis zu einer Aussichtsplattform im zehnten Stock. Dann liegt sie unter einem, die Stadt im Abendlicht, und vom Meer weht endlich eine leichte Brise herüber.

"Jetzt im Frühsommer, wenn die Hitze und der Regen kommen, fallen besonders viele Gebäude in sich zusammen", sagt Noël. Ob es wirklich ein Haus pro Tag sei, wie immer wieder zu lesen ist? Noël bezweifelt das. Aber er zeigt auf das Nachbarhaus: Das swimmingpoolgroße Loch im Dach habe sich erst diese Woche aufgetan. Plötzlich sei das Treppenhaus weggesackt, seien die Stufen zu müde zum Tragen gewesen. Vielleicht hatte jemand eine Tür zu fest zugeschlagen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Mariela und Enrique das Geld für ihr Dach verdienen.

Mariela und Enrique haben zumindest ein halbes Dach überm Kopf. Noch ist ihr Haus nicht komplett gedeckt, deswegen hat so kurz vor Beginn der Regenzeit für sie ein Wettlauf mit der Zeit begonnen.

Ein Sack Zement kostet sechs Pesos Convertibles. Mit ihrem nationalen Geld können die Kubaner viele Waren nicht kaufen. Zement zum Beispiel, aber auch Seife oder Kugelschreiber, nach denen man auf der Straße oft gefragt wird.

Mariela und Enrique haben ihre Lösung gefunden: Als "Duo Impresión" singen sie von zehn Uhr morgens bis elf Uhr nachts in der Cafetería Isabelica in Santiago de Cuba. Jede an Touristen verkaufte CD rettet einen Teil der Inneneinrichtung vorm drohenden Wasserschaden.

Die Konkurrenz in Santiago ist groß: Seine Gitarre erhoben wie ein Zwölfender das Geweih singt Enrique einen nahenden Guitarrista, der in seinem Revier wildern will, nachdrücklich aus dem Lokal.

Rap und singende Passanten

Freunde werden dagegen gleich eingebunden und lassen sich nicht lange bitten. Alle kennen die Texte. Ori braucht zwar Marielas stimmliche Unterstützung, hat aber trotzdem Spaß.

Ein bildhübscher junger Mann mit Kappe schafft es, das ewige Buena Vista-Lied "Chan Chan" als Rap noch einmal ganz neu erklingen zu lassen. Ein kleiner, hagerer Senior fordert eine Dame zum Tanz. Vor den offenen Fenstern bleiben die Passanten stehen, nicken, klatschen, singen mit.

Am langen Holztisch versucht ein breitschultriger Schwarzer in jeder Gesangspause, ein Gespräch mit zwei Touristen anzufangen, obwohl eigentlich alle nur noch Musik hören wollen. Der Mann hat noch viel vor: Fünf nationale Peso-Scheine legt er unter seine Kaffeetasse. Bei jedem Nachschenken zieht die Kellnerin routiniert einen davon hervor. Als der Stapel verbraucht ist, zieht er gestärkt in die Nacht.

"Kuba ist ein reiches Land", wird Enrique nach Feierabend im nahen Parque Dolores dennoch erzählen, wo sich seine Freunde auf der Parkbank jetzt den Cuba Libre im Plastikbecher selber mischen, "ich lebe hier glücklich." Natürlich, sagt Enrique, auch er würde gerne reisen - aber immer wieder zurückkommen, weil sein Land schließlich so schön sei.

Wissen Kubaner, dass ihr Gegenüber Journalist ist, dann blasen sie ihre Sätze häufig so groß auf, dass kaum noch Inhalt darin zu erkennen ist, ähnlich wie bei den sozialistischen Parolen am Straßenrand.

Ein paar Tage zuvor hatte sich ein älterer Mann in die Aussage gerettet, dass Kuba eben ein Paradoxon sei, schwer zu verstehen für alle, die nicht hier leben. Ein anderer bittet darum, nichts Politisches aus den Gesprächen zu veröffentlichen - als ließe sich in Kuba Politik vom Alltag trennen.

Auf den ersten Blick hat sich also nicht viel verändert in jenen gut 100 Tagen, die Rául Castro jetzt offiziell an der Macht ist. Die Kubaner müssen nach wie vor aufpassen, wem sie was erzählen, dürfen aber seit April in einst Ausländern vorbehaltenen Hotels übernachten oder Mobiltelefone erwerben, was allerdings für die meisten völlig unerschwinglich ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Maler Joel optimistisch ist.

Trotzdem: "Es gibt einen kleinen Funken von Optimismus", sagt die Malerin Ileana Sánchez, "auch wenn ich denke, dass sich noch mehr verändern muss." Der Zugang zum Internet sei dafür nur ein Beispiel. Momentan besuche sie einen ausländischen Freund, wenn sie online gehen wolle. Auch, dass sie jedes Mal aufs Neue eine Erlaubnis für eine Auslandsreise beantragen muss, kann Ileana nicht verstehen. "Wir sind bislang immer wieder zurückgekommen", sagt sie.

Auf ihren Leinwänden vereint Ileana afrokubanische Motive mit Popart, da tanzen schwarze Musiker, gelbdicke Katzen turnen unter Palmen, die ähnlich hoch wuchern wie in Ileanas Garten in Camagüey, wo die Malerin auch ihre Staffelei aufgebaut hat.

Irgendein Vierbeiner streicht einem hier immer um die Füße: Insgesamt fünf Katzen und zwei Hunde beherbergen Ileana und ihr Mann Joel Jover in ihrem altehrwürdigen Haus am Parque Ignacio Agramonte, wo Besucher von morgens früh bis abends spät willkommen sind.

Kubaner haben gelernt zu warten

Auch Joel ist Maler, arbeitete einst als Stipendiat in der DDR gemeinsam mit Neo Rauch und schwor in Leipzig dem Expressionismus ab. Heute ist Joels Stil so sanft und zurückhaltend wie er selbst. Doch Joel nimmt kein Blatt vor den Mund: "Die Leute brauchen einen Wechsel", sagt er entschieden, "und jetzt bewegt sich etwas, auch in der Gesellschaft."

Beim letzten Treffen des kubanischen Künstlerverbands (UNEAC) sei erstaunlich offen geredet worden. "Alle sind williger, ihre Meinung zu sagen, und die Intelligenz des Landes nimmt anders teil als früher", findet Joel. Er höre Zwischentöne, wo es früher nur eines gegeben habe: Freunde oder Feinde.

Schließlich hat Kuba auch neue Freunde gefunden in den langen, entbehrungsreichen Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Kuba und Venezuela - die vereinten Fahnen zieren T-Shirts und Armaturenbretter. Venezuela liefert das billige Öl, und die nagelneuen Yutong-Überlandbusse kommen aus China.

So stimmt es auch nicht ganz, wenn in Viñales ein Taxifahrer stolz behauptet: "Wir haben gelernt, alleine zu leben."

In erster Linie haben die Kubaner gelernt zu warten. Auf all die Grundnahrungsmittel, die momentan noch über die Libreta, das Bezugsheft für Lebensmittel, verteilt werden. Auf Transportmittel, von denen es besonders auf dem Land noch immer viel zu wenige gibt. Auf eine neue Wohnung. Und natürlich auf Veränderungen, mit oder ohne Fidel Castro, der auf der Insel nach wie vor viel präsenter ist als sein Bruder Raúl.

Und schließlich ist ein Zitat des einstigen "Comandante en jefe" jetzt sehr häufig auf Plakaten am Straßenrand zu lesen: "Revolution, das bedeutet, all das zu ändern, was geändert werden muss!"

© SZ vom 12.06.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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