McDonald's-Prinzip für Hotels:Überall alles gleich

Lesezeit: 6 min

Das standardisierte Hotelzimmer boomt: Die hundertfache Kopie lässt Luxushotels alt aussehen - zu Hause ist, wenn es überall gleich aussieht und nichts kostet.

Harald Hordych

Michel Rey leitet eines der berühmtesten Hotels der Welt, das "Baur au Lac" in Zürich. Das Hotel ist in der sechsten Generation im Besitz der Familie, die es 1844 gegründet hat. Michel Rey übernahm die Leitung vor 27Jahren - von seinem Vater. Tradition ist ein wichtiges Wort, wenn Michel Rey über das Baur au Lac spricht, genau wie Unverwechselbarkeit.

Luxus für Jedermann
:Offene Hotel-Geheimnisse

Viele Hotels bieten ihren betuchten Gästen allen erdenklichen Luxus - und obendrein noch Extras, die auch für Normalverdiener zugänglich und erschwinglich sind.

Antje Wewer

Die Sanierung und die Neugestaltung der Suiten und Zimmer des Luxushotels verschlangen unlängst 160 Millionen Schweizer Franken. Internationale Designer gestalteten jeden Raum individuell. Vor kurzem war Michel Rey mal wieder selbst Gast in einem Hotel.

Er und seine Frau hatten sich in einem Restaurant außerhalb von Zürich mit Freunden getroffen. Es wurde ein langer Abend, und die kleine Runde war froh, dass sie vom Restaurant zum Hotel nur ein paar hundert Meter laufen musste. Auf die Frage, wie viele Sterne das Hotel hatte, antwortet Michel Rey: nicht viele. Es war ein Ibis. "Wir hatten alles, was wir brauchten. Ein Bett, und es war sauber."

Für diese Nacht hatte sich der Direktor eines der traditionsreichsten Luxushotels der Welt eingereiht in die Millionenschar derer, die schon mal ein Zimmer in einem Ibis-Hotel gebucht haben und deren Anforderungen sich mit dem Satz beschreiben lassen: So viel wie möglich für so wenig wie möglich.

Das ist die Fortsetzung des McDonald's-Prinzips auf dem Gebiet des Hotelwesens. So wie der Hungrige überall auf der Welt weiß, was ihn erwartet, wenn er einen Big Mac bestellt, so weiß der Reisende, egal ob er in Hongkong oder Hamburg die Hoteltür aufstößt, was ihn in einem Hotel der Ibis-Kette erwartet, nämlich die Ibis-Farben, das Ibis-Bett, der Ibis-Schrank, der Ibis-Stuhl und die Ibis-Lichtschalter.

Das überall Gleiche aber ist offenbar der Grund dafür, dass Ketten wie Motel One boomen und auch bei Europas größtem Hotelkonzern Accor die Ketten des Budget- und Economy-Segments in der Krise stabil blieben, während die Hotels im höherpreisigen Bereich überdurchschnittlich litten. Was Touristen lieben, ist dem Geschäftsreisenden nach Beobachtung der Accor-Fachleute wie dem Chef-Designer des Konzerns, Michel Gicquel, ein Gräuel: das Unerwartete.

"Sie wollen wissen, was sie erwartet, egal wohin sie kommen." Der Business-Traveller hasse den Moment, in dem er nach einem anstrengenden Tag in der Fremde im Hotelzimmer zum Forscher werden muss: Wie kriege ich die Dusche in Schwung? Wo ist der Lichtschalter? Und warum geht der Vorhang zu, wenn ich die lärmende Klimaanlage ausmachen will? Nein, rein ins Dunkel und ohne hinzugucken zielsicher auf den Lichtschalter drücken.

Der liebste Hotelier-Spruch erfüllt sich offenbar nicht in einer Suite des Baur au Lac - Home far from Home? Die hundertfache Kopie lässt Design- und Luxushotels alt aussehen: Zu Hause ist, wenn es überall gleich aussieht und nichts kostet.

In Évry bei Paris liegt die Hotelakademie von Accor, ein unscheinbares Gebäude mit Flachdach und kleinen Fenstern, hier werden Mitarbeiter von weltweit 4200 Hotels geschult. Umgeben ist das Bildungszentrum von Hotels, die Etap, Formule 1, Novotel heißen, alles Accor-Ketten. Aber um zu wissen, wie die Zimmer dieser Hotels aussehen, genügt ein Spaziergang über einen Flur, wie es wohl keinen zweiten auf der Welt gibt.

Spukhotels
:Im Bett mit einem Geist

Unheimliche Besuche mitten in der Nacht und auf ewig fleißige Zimmermädchen - in diesen Hotels lernen Gäste das Gruseln.

Daniela Dau und Katja Schnitzler

Hier verbirgt sich hinter jeder Tür eine andere Hotelkategorie. Mit ein paar Schritten ist man vom asketischen Schlafraum der Ein-Stern-Marke Etap in ein mahagonigetäfeltes Fünf-Sterne-Zimmer Marke Sofitel gewandert. Dieser Flur beweist, dass der Preis für Luxus nicht allein von Größe und Material bestimmt wird, sondern auch von der Zeit, die es braucht, um einen Raum sauberzumachen. Und woran Leute denken müssen, die einen Raum kreieren, der von möglichst vielen als Zuhause für eine Nacht akzeptiert wird.

Reise-Knigge Hotel
:Schön, dass Sie da waren!

So kommt man stilvoll bis zum Pool und bewahrt Gelassenheit in wirklich peinlichen Situationen. Was man im Hotel darf und was man besser lässt.

Fanélie Gaffinel ist ein schlanker, lebhafter Mann in den Dreißigern, der sehr schnell spricht. Ebenso schnell weist er auf die Dinge, über die er gerade doziert. Und weil sie in diesem funktionalen Raum so unauffällig sind, dass man sie leicht übersieht, weil da kaum etwas ist, woran der Blick hängenbleibt, wird er zum Zauberer, der mit einem Wink alles materialisieren kann.

Gaffinel ist Design-Manager und für die Entwicklung der Ibis-Zimmer zuständig. Der Raum, in dem wir uns befinden, würde in Salmiya (Kuwait) genauso aussehen wie in St. Petersburg und er ist genau so groß wie jedes der 100.000 Ibis-Zimmer in der ganzen Welt: 16,54 Quadratmeter.

Bis hinauf in den Vier-Sterne-Bereich arbeitet Accor für Geschäftsreisende. Hauptmerkmal: "Für diese Leute kommt erst der Preis, dann der Komfort", erklärt Gaffinel. "Sie wissen genau, was ein Raum kosten darf." Diese Hotels sollen keinen besonderen Stil haben, der unseren Geschmack auf die Probe stellt. Sie sind Fabriken, die Schlaf produzieren. Sie haben das gewisse Nichts. Aber die Aufgabe, die ideale Null zu kreieren, bringt viel Arbeit mit sich.

Was Fanélie Gaffinel nun sagt, wäre für Michel Rey eine Bankrotterklärung, für Gaffinel ist es die Präambel, die über dem Eingang eines jeden Ibis oder Etap oder Novotel stehen könnte: "Wir sind ein Massenprodukt, wir wollen es allen recht machen." Wie das geht? Zum Beispiel mit dem Weglassen von Bildern an den Wänden, denn sie gefährden die Neutralität. Sie stellen eine potentielle Störung des individuellen Geschmacks dar. Außerdem spart es Geld, sie nicht zu kaufen.

Und es beginnt mit dem Definieren des Ibis-Farbtons. Bei Accor spricht man vom "Holzgefühl", das durch warme Farben und Parkett erzeugt werden soll. Es ist zwar nur Laminat, aber dafür wurde umso hartnäckiger an der richtigen Farbe des Kunststoffs gearbeitet. Kleine Farbenlehre des Innenarchitekten: Je dunkler das Holz, desto hochwertiger wirkt der Raum - aber auch umso kleiner und enger. Hell macht groß. Zu hell macht billig.

Alles ist aufeinander abgestimmt. Aber die endgültige Auswahl der Stühle, Lampen, Stoffe orientiert sich bei jedem developement circle (die Lebensdauer eines Ibis-Zimmer beträgt acht Jahre) daran, ob die Produkte in jedes Land der Welt geliefert werden können.

Es verwundert wenig, dass die Einrichtung gemäß dem Prinzip form follows function entworfen wird. Aber es verwundert dann doch, wenn man erfährt, dass neben den Bedürfnissen des Reisenden auch ein reibungsloser Reinigungsprozess das Maß aller Dinge ist.

Skurrile Fundstücke in Hotels
:Goldenes Beisswerk, Augen aus Glas

Schon komisch, auf welche Dinge manche Hotelgäste nach ihrem Besuch verzichten können. Eine britische Hotelkette hat eine Hitliste der Fundstücke zusammengestellt.

Bei Ibis oder Etap wird wie im Putzakkord nach Stoppuhr gearbeitet. In Schulungsvideos lernt das Personal, was zuerst gemacht wird. Ein Bett neu zu beziehen, das darf drei Minuten dauern. Der Schrank hat keine Tür, um die Staubfläche so klein wie möglich zu halten. Er ist zwei Meter hoch. Wäre er höher, müsste die durchschnittlich große Reinigungskraft auf einen Stuhl steigen. Es versteht sich von selbst, dass jede Art von Chrom verboten ist, weil alles, was glänzen soll, aufwendig poliert werden muss.

Zwei Jahre dauert die Planung einer neuen Ibis-Zimmer-Generation. Wenn man sich von Fanélie Gaffinel verabschiedet, weiß man, warum.

Bett, Tisch, Stuhl - preußische Einrichtung nennt der Volksmund die Möblierung einer Gefängniszelle. Dieses Prinzip kann man offenbar auf Hotelzimmer übertragen. In einem der Pariser Vier-Sterne-Hotels der Pullmann-Kette hat Michel Gicquel das Hotelzimmer der Zukunft für Geschäftsreisende entworfen. Und genau dieses Prinzip - ein wenig abgewandelt - zur Grundlage seines Prototyps gemacht: Bett, Dusche, Fernseher.

Ein riesiger Glaskasten mit Regendusche und Natursteinboden bildet das Zentrum des Zimmers. Davor steht ein gewaltiges Bett, von dem man auf einen ins Panoramafenster eingearbeiteten TV-Bildschirm schauen kann. Da bleibt nicht mehr viel Platz. Gerade genug, um sich um Riesenbett, Riesendusche und Minimalschreibtisch herumzuschlängeln. Zimmer 1016 ist kleiner als ein gewöhnlicher Vier-Sterne-Raum, dafür spektakulärer. "Das ist genau, was die Leute brauchen", sagt Gicque. "Und sie müssen die Schalter bedienen können."

Und was sagt Michel Rey zu alledem, wie er da zwischen all den geschliffenen Spiegeln, edlen Hölzern, zwischen Louis-XVI-Sekretären und dunklen Art-déco-Sesseln sitzt? Er lächelt und sagt: "Natürlich sind das die Basics: ein gutes Bett, eine warme Dusche. Aber unsere Gäste kommen nicht nur zum Schlafen hierher."

Auch das Baur au Lac nennt Geschäftsleute als Zielgruppe. Aber ein Wort macht hier den Unterschied zwischen Luxus und Konsum: Privatreisende Geschäftsleute, für die das Suiten-Zuhause in der Fremde mit 2200 Franken zu Buche schlägt. Für jedes Hotel, erklärt Monsieur Rey in seinem französisch akzentuierten Deutsch, gelte eine Regel: Der Gast dürfe sich nie schuldig fühlen, weil er durch nichts weiter als die Nutzung der Infrastruktur Schaden verursache, durch schlecht konstruierte Duschen zum Beispiel, die das Bad unter Wasser setzen.

So gelten für alle Hotels dieser Welt dieselben Grundregeln, und egal ob ein oder sieben Sterne, ein Hotelzimmer ist fast immer ein sauberer, aufgeräumter Ort, sauberer und aufgeräumter, als ein Zuhause je sein kann. Der Gast ist in dieser perfekten Welt wie ein Eindringling. Eigentlich stört er.

Und diesen Zustand kann nur überwinden, wer so lange ein Hotelzimmer mietet wie Vladimir Nabokov oder Howard Hughes. Der Schriftsteller und der Multimillionär machten es zu ihrem Zuhause, weil sie hier lebten, bis zum Tod.

Weitere Reisethemen: Hier kommen Sie zurück zum Ressort.

© SZ vom 12.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Beschwerden von Hotelgästen
:"Schwanger nach Bad im Pool!"

Der Regen zu laut, die Berge zu bergig und dann auch noch schwanger nach einem Schwimmbad-Besuch: Dieses Beschwerden von Hotelgästen sind zwar manchmal abwegig, dafür aber amüsant.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: