Kuba nach Fidel Castro:Gefangen in der Zeitschleife

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(Foto: Ingrid Brunner)

In Havanna treffen Besucher auf eine merkwürdige Melange aus vorgestern und gestern. Die neue Zeit macht vor Kuba nicht halt, und doch ist von einem Aufbruch noch wenig zu spüren.

Von Ingrid Brunner

Vom Castillo El Morro, erbaut im Jahr 1640, bewachten die Spanier einst die Einfahrt in Havannas Hafen. Die mächtigen gusseisernen Kanonenrohre, mit denen die Kolonialherren andere Mächte und Piraten in die Flucht geschlagen hatten, sind noch in Stellung. Von El Morro blickt man hinüber auf Habana Vieja, die Altstadt: Dort drehen sich neuerdings zwischen maroden Altbauten viele Kräne, und das Kapitol, erbaut nach dem Vorbild des Kapitols in Washington, ist eingerüstet. Die Unesco finanziert die Restaurierung von bedeutenden Prachtbauten in Havannas historischem Zentrum, das seit 1982 Weltkulturerbe ist.

Ein Symbol für die Öffnung Kubas, weg von Plan-, hin zu Marktwirtschaft? Aus der Entfernung betrachtet, scheint dies so zu sein. Auf einer Stadttour hingegen glaubt man sich in einer Zeitschleife wiederzufinden, in der Vergangenheit und Gegenwart parallel zu existieren scheinen: morbide Schönheit allenthalben. Barocke oder neoklassizistische Residenzen bröckeln vor sich hin. Innenhöfe mit vernagelten Fenstern, deren abgeblätterte Balustraden und Säulen noch erahnen lassen, wie angenehm es sich dort einst im Schatten verweilen ließ. Seit Castros Revolution im Jahr 1959 wohnen dort gewöhnliche Kubaner, die kaum oder keine Miete zahlen. Saniert oder instand gehalten wurde nichts. Wie auch, wo das Geld für die Bewohner zuweilen kaum zum Überleben reichte? In den bunten Hausfassaden steckt der Schimmel, darüber kleben Plakate von untoten, ewig jungen Revolutionären und deren Parolen. Nach Fidel Castros Tod sind neue dazugekommen: "Yo Soy Fidel."

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Fotos: Ingrid Brunner

Auf den Marmorplatten des herrlichen Kolumbus-Friedhofs schlafen nachts Wohnungslose

Fidel treu ist auch die Stadtführerin Isabel Londefer. Sie ist stolz auf ihre Insel, Havannas schönster Platz ist für sie nach wie vor die Plaza de la Revolución. Der mit seinen 72 000 Quadratmetern größte Platz der Stadt ist vor allem: groß und leer. Aber schön? Das Gelände, umstanden von Ministerien am einen und vom gigantischen, 109 Meter hohen Denkmal des Nationaldichters José Martí auf der anderen Seite, taugt für Kundgebungen und Aufmärsche. Ein Ort der Heldenverehrung.

Echte Schönheit findet man ausgerechnet auf dem Kolumbus-Friedhof. Der Cementerio Cristóbal Colón übertrifft mit seinen gut 56 Hektar die Plaza de la Revolución nicht nur an Größe, sondern gilt mit seinen 53 000 Familiengräbern, Grabkapellen und Mausoleen als einer der schönsten Friedhöfe der Welt. Kunstvolle Stelen, Statuen aus feinstem Carraramarmor, so weit das Auge reicht. Diese Totenstadt sei nicht nur letzte Ruhestätte, erklärt Isabel Londefer: "Nachts schlafen hier Obdachlose auf den kühlen Marmorgrabplatten."

Weiter geht es durch Havanna, über die Calle Reina, die Königinstraße, ein fahrendes Automobilmuseum, scherzt Stadtführerin Isabel: "Hier herrscht die größte Oldtimer-Dichte der Stadt." Vergisst man mal für kurze Zeit, dass all die in mühsamer Heimarbeit am Fahren gehaltenen amerikanischen Straßenkreuzer in Deutschland sofort aus dem Verkehr gezogen würden: Sie sind ein echter Hingucker und führen wohl die Rangliste der beliebtesten Fotomotive in Kuba an. Man sieht, was Eigeninitiative vermag, wenn Menschen etwas besitzen dürfen. Überdies sind sie eine lukrative Einnahmequelle: Für 40 Euro die Stunde können sich Touristen mit solch einem Museumsstück durch die Stadt kutschieren lassen. "Jede Familie hat einen Oldtimer", sagt Isabel. Und jeder Autobesitzer sei hier sein eigener Mechaniker.

Im Zigarrengeschäft erklärt die Fremdenführerin, welcher berühmte Mann welche Zigarren geraucht hat: Al Capone etwa rauchte Partagas, die stärksten Zigarren, während Churchill die leichte Romeo & Julieta bevorzugte. Der Máximo Líder liebte seine Cohibas, fermentiert mit Honig, Rum und Pfefferminz, und Che Guevara paffte Montecristos. Hinter dem Tresen schreit eine Verkäuferin gegen die alte Klimaanlage und die vor der Tür spielende kubanische Band an. Vor dem Tresen drängeln sich Dutzende, mehrheitlich US-amerikanische Touristen und kaufen, als gäbe es schon morgen keine Zigarren mehr.

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Doch nicht einmal die Kubaner müssen diesen Mangel fürchten. Zum Beweis führt Guide Isabel die Besucher in eine Bodega. So heißen die Verteilstationen, die von außen aussehen wie kleine Läden, in denen gegen Bezugsbüchlein subventionierte Lebensmittel wie Reis, Bohnen, Öl und Rum verteilt werden. Auch fünf Zigarren pro Monat stehen jedem Erwachsenen zu. "Gute Qualität, aber ohne Banderole", erklärt sie. Das System besteht seit 1962 bis heute.

In der Altstadt, etwa in der berühmten Calle Obispo, pulsiert das karibische Leben. Kubanische Rhythmen dringen aus den Bars, es wimmelt von Menschen, nicht nur Touristen, auch viele Einheimische. Sie reden oder spielen mit ihren Handys, zumindest in puncto neue Medien hat die neue Zeit nicht vor Kuba haltgemacht. Neueren Datums sind auch die Paladares, privat geführte Restaurants. Das Essen, etwa im Paladar Calesa Real, ist ordentlich - die Preise sind es auch. Touristen zahlen stets in CUC, so heißt der Kubanische konvertible Peso. Ein CUC entspricht in etwa einem Euro, das Euro-Preisniveau hat man gleich mitübernommen. So kostet in der winzigen, stets berstend vollen Bodeguita del Medio, wo schon Hemingway trank, der Mojito fünf CUC. Ein Amerikaner als Kassenmagnet, dem es nun viele seiner Landsleute gleichtun. Neue alte Zeiten.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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