Reisebücher:Kuba, die romantische Ruine

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Das alte Kuba wird gern verklärt - daran hatten lange auch Bildbände ihren Anteil. Inzwischen sehen Fotografen das Land differenzierter.

Von Stefan Fischer

Über eines kann der aktuelle Tourismusboom nicht hinwegtäuschen: Kuba macht nach wie vor mehr Geld mit den Leuten, die außer Landes gehen, als mit jenen, die die Karibikinsel besuchen. Allein 50 000 kubanische Ärzte praktizieren derzeit im Ausland, vor allem in Venezuela und neuerdings häufig auch in Brasilien. Der Dienstleistungsexport bringt mehr Devisen ein als der Tourismus - der Kuba allerdings im ersten Halbjahr 2016 immerhin auch Erträge in Höhe von einer Milliarde Euro beschert hat. Das sind 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Damit ist man bereits beim Kern der Sache. Abgesehen von Myanmar weckt derzeit kein Land so viel neu entfachte Entdeckerlust bei Reisenden wie Kuba - genauer: wie das eigentlich schon der Vergangenheit angehörende, aber vermeintlich doch noch greifbare Kuba der Fidel-Castro-Jahrzehnte. Die Kubaner hingegen haben so wenig Lust auf dieses Kuba wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Jens Glüsing etwa schildert in dem Buch "Kuba", das er gemeinsam mit dem Fotografen Michael Pasdzior im Corso-Verlag veröffentlicht hat, dass es in Brasilien inzwischen eine Fluchthilfe-Organisation gibt, die kubanischen Medizinern auf Auslandsmission hilft, in Brasilien unterzutauchen, um nicht zurück in ihre Heimat zu müssen.

Naturgemäß schlägt sich die Beliebtheit Kubas bei den Touristen auch auf dem Reisebuchmarkt nieder. Spannend zu sehen ist, welches Bild in den verschiedenen Bänden von dem sozialistischen Refugium in der Karibik gezeichnet wird. Denn eines ist klar: Die Verklärung Kubas ist immens. Und es ist nicht auszuschließen, dass die Einheimischen aus just den Gründen wegwollen, aus denen die Fremden sich angezogen fühlen.

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(Foto: Katharina Alt, "Boxing Cuba")

Kuba öffnet sich bedächtig - die Angst der Herrschenden, vom Kapitalismus überrollt zu werden, ist groß. Das Land wird sich jedoch wandeln müssen, wenn es eine aussichtsreiche Zukunft haben will.

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(Foto: Andreas Kaiser, "Havana")

Wie viel die Kubaner von ihrem bisherigen Gesellschaftsmodell bewahren können und wollen, weiß niemand.

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(Foto: Werner Pawlok, "Cuba expired", Frederking & Thaler Verlag)

Urlauber sind vorerst verschossen in den morbiden Charme - den Bewohnern wären trockene Wände und ein Leben in sicheren Häusern statt in baufälligen Ruinen wahrscheinlich lieber.

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(Foto: Werner Pawlok, "Cuba expired", Frederking & Thaler Verlag)

Zum pittoresken Bild passen die Oldtimer. Neuwagen waren schließlich nicht zu haben, daher wurde repariert und geflickt, solange das Auto fahrbar war.

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(Foto: Bernhard Hartmann, "Havana")

Politische Ansichten findet man immer wieder im Großformat an Häuserwänden.

Am weitesten entfernt von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Situation auf der Insel ist "Das Kuba Buch" aus dem Kunth Verlag. Der Antrieb vieler Kuba-Urlauber ist, das Land zu sehen, solange es noch weitgehend unverdorben vom Kapitalismus ist, der - so die gängige Meinung - unweigerlich Einzug halten wird. Solange man "das echte Kuba noch entdecken kann", präzisiert das "Kuba Buch". Und dann wird aufgelistet, was dieses vermeintlich echte Kuba ausmacht: "Rumba und Revolution, afrikanisches Erbe und Art déco, karibische Traumstrände und das flirrende Leben Havannas, Hemingway und Che Guevara." Sollten die Kubaner also einmal die Mittel haben, ihr Land zu modernisieren, dann wird es nicht mehr das echte Kuba sein - so die arrogante Logik, die den Wert des Landes daran bemisst, inwiefern es in Zukunft weiter als Museum seiner selbst existieren wird.

Die bezaubernde koloniale Architektur Havannas, die ganz überwiegend nicht bis zur historisierenden Verkitschung kaputtrenoviert worden ist, sondern über die Jahrzehnte notgedrungen eine romantische Patina angesetzt hat - sie ist natürlich eine der Hauptattraktionen für Besucher. Eine zwiespältige. Einige der Häuser sind inzwischen so marode, dass sie einstürzen, immer wieder sterben dabei Menschen. Wie die Kubaner sich in diesen - man kann es kaum anders nennen - Ruinen eingerichtet haben, zeigt der Fotograf Bernhard Hartmann. Er hat für den Band "Havana" Wohnungen der Altstadt fotografiert, manchmal mit Bewohnern, meistens als Stillleben. Manches Interieur hat tatsächlich Grandezza; in den meisten Fällen kann der Versuch der Bewohner, sich ein behagliches, sogar geschmackvoll eingerichtetes Zuhause zu schaffen, jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie verkommen die Bausubstanz und entsprechend eingeschränkt die Lebensqualität ist.

Fassaden wie nach einem Bombeneinschlag

Auch der Fotograf Andreas Kaiser konzentriert sich in seinem ebenfalls schlicht "Havana" betitelten Band auf die Hauptstadt, bei ihm stehen die Fassaden im Fokus - nicht nur die kolonialistischen. Ihm ist weniger an einer Ästhetisierung gelegen als Hartmann. Sieht man seine Fotos, kann man Havanna im Grunde nicht mehr verklären: Es gibt Szenen, die erinnern an Beirut oder sogar Aleppo. Die Schäden an den Bauwerken, die das Klima und das Meersalz über Jahrzehnte angerichtet haben, sind mancherorts in Havanna schlichtweg so gravierend wie woanders durch Bombardierungen.

Extrem ästhetisiert sind unterdessen Werner Pawloks Fotografien in dem großformatigen, opulent gedruckten Bildband "Cuba expired". Aber wie der Titel besagt, geht es um den Verfall, der nicht geleugnet, nicht verklärt wird. Kuba erscheine hier, so formuliert es Stephan Reisner in einem Begleittext, als Memento mori. Die Schönheit dieses Zerfalls wird als etwas Perfides dargestellt.

Wer in vielen Büchern nur eine Nebenrolle spielt, sind die Kubaner selbst. Immerhin: Katharina Alt setzt sie ins Zentrum ihrer Dokumentation "Boxing Cuba". Kein anderes Land bringt so viele Champions hervor wie Kuba; Alt porträtiert etliche dieser Weltmeister und Olympiasieger. Sie besucht aber auch die Stätten, an denen diese Karrieren beginnen und wo das Boxen als Volkssport ausgeübt wird.

Das vielseitigste, kundigste Kuba-Buch ist jedoch das eingangs erwähnte von Jens Glüsing und Michael Pasdzior. Weil es sich klug und anschaulich an den Alltag auf der Insel anlehnt. Ein Alltag, der in Teilen auch eine Inszenierung ist für Touristen. Die bezahlen dafür, und ihr Geld verschafft etlichen Kubanern eine wirtschaftliche Perspektive. Jede Kubareise vertieft den Wandel, Nostalgie hin, Nostalgie her.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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