Kleingeld in Indien:Wer die Rupie nicht ehrt

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Dollarscheine bringen Reisende überall weiter? Nicht unbedingt: Manchmal kommt man in Indien mit Münzen schneller voran. (Foto: AFP)

Wenn es in Indien ums Kleingeld geht, sind Skrupel fehl am Platz: Wer erst mal Münzen hat, behält sie. Koste es, was es wolle. Schon klar, dass ein Fremder das erst begreifen muss.

Von Peter Sich

Das könne er so nicht akzeptieren, sagt der Schalterangestellte. Er beschränkt sich auf wenige, hart klingende Worte. Vielleicht, um den Singsang des Hindi zu kaschieren, der sein Englisch durchzieht. Vielleicht ist er aber auch nur unfreundlich. "Cash", fordert er. Die 550 Rupien, die vor ihm liegen, sind doch Cash. "Coins", präzisiert er.

Darin liegt die Weigerung, die 550 Rupien als Bezahlung für zwei Bahntickets zu akzeptieren. Denn die kosten 515 Rupien. Und der Mann hinterm Schalter wäre somit gezwungen, den Restbetrag - umgerechnet rund 50 Cent - als Kleingeld zurückzugeben. Was er verweigert.

In Indien hat offenbar niemand Kleingeld. Wenn doch, scheint man es nicht herzugeben. Als Reisender lernt man das schnell und nutzt jede Gelegenheit, um Schwarzer-Kleingeld-Peter zu spielen. Man gibt große Scheine und lässt sich Kleingeld zurückgeben. Man könnte es schließlich selbst einmal brauchen.

Nun gibt es Momente, in denen man davon ausgeht, dass Kleingeld kein Problem ist. Etwa morgens im Touristenbüro des Bahnhofs in Neu-Delhi. Da sollte die Wechselgeldkasse in Erwartung kleingeldhungriger Touristen proppenvoll sein. Ist sie aber offenbar nicht. Wenn doch, wird man das nie erfahren. Der Schalterangestellte hat beschlossen zu beweisen, dass das ehernste aller indischen Prinzipien auch bei der Bahn gilt: Wer Kleingeld hat, gibt es nicht her.

Also kramt der deutsche Tourist in seinen Taschen; exakt 514 Rupien hat er anzubieten. Dass ein indischer Bürokrat eine Rupie zu wenig nicht akzeptieren kann, leuchtet dem Deutschen sofort ein. Auch den Vorschlag, die 550 Rupien zu nehmen und das Restgeld zu behalten, lehnt der Mann ab. Am Ende des Flurs sei eine Cafeteria. Dort könne man das Geld klein machen, sagt er, ganz so, als sei ihm Indiens Kleingeldproblematik vollkommen fremd.

Selbstverständlich begegnet das Personal der Cafeteria dem Ansinnen mit einem lächelnden Kopfschütteln. Auch der Versuch, zur Tarnung eine Flasche Wasser zu kaufen, schlägt fehl. Die müsse man schon passend bezahlen.

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Die Taschen voller Geld, bleibt einem nichts anderes übrig, als zum Bettler zu werden. Ein japanischer Tourist, der auch endlich an den Schalter will, erbarmt sich und spendiert eine einzelne Rupie. Wahrscheinlich ist er gerade erst angekommen und weiß nicht, in welche Schwierigkeiten ihn diese fehlende Münze noch bringen wird. Aber wenn es in Indien ums Kleingeld geht, sind Skrupel fehl am Platz.

© SZ vom 26.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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