Berliner Flughafen Tempelhof:Nostalgie auf Zeit

Lesezeit: 5 min

Bis zu 50.000 Menschen kommen jedes Wochenende nach Tempelhof. Auf dem Vorfeld des früheren Flughafens trifft Kreuzberg auf Neukölln, Alt auf Jung, Kiezgröße auf Zugereisten. Während der neue Berliner Flughafen auf sich warten lässt, ist der alte zur Spielwiese geworden. Doch bald wird in Tempelhof wieder alles anders sein.

Frederik Obermaier

Es herrscht Betrieb in Tempelhof, auch wenn keine Flugzeuge mehr abheben. In diesen Tagen muss man das schon betonen, wenn es um einen Flughafen geht, zumal einen in Berlin. Die Eröffnung des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg hat Bürgermeister Klaus Wowereit vor wenigen Tagen verschoben, seither ist Berlin das Gespött der Republik, mal wieder. Von einer Blamage, einem "Fluchhafen", einem Desaster ist die Rede.

Dreirad statt Jumbo: Der stillgelegte Berliner Flughafen Tempelhof wird für den Familienausflug genutzt. (Foto: Getty Images)

"Stolz sin wa sicherlich nich", sagt auch der Jürgen. Einen Fischerhut auf dem Kopf, Lese- und Sonnenbrille auf der Nase, hängt er in seinem Campingstuhl und blickt auf das Rollfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Inlineskater ziehen ihre Runden, Hunde hecheln ihren Stöckchen hinterher, beleibte Männer ihren joggenden Frauen. "Delta Lima 7 Tango Lima hier, am Flughafen Tempelhof", plärrt Jürgen in sein Funkgerät.

Einen Nachnamen braucht er nicht, nur seine Kennung: DL7TL, so kennen sie ihn in der Welt der Funker, so meldet er sich, wenn er mal wieder seine Antenne aufgestellt hat, daneben seinen Campingstuhl, den Wein im Tetrapak. Er liebe Tempelhof, sagt Jürgen. Denn Tempelhof ist der Flughafen der Luftbrücke, der Flughafen im Herzen Berlins, vor allem aber ein Flughafen, der nicht mehr in Betrieb ist. "Und so ist's auch am besten", sagt der Pensionär und nimmt erstmal einen kräftigen Schluck Wein.

Es ist das Wochenende nach der Berliner Flughafen-Blamage. Nicht weit von Tempelhof, auf der Baustelle des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg, sind Publikumstage. Zum "Tag der offenen Tür" zu laden, wagten die Organisatoren dann doch nicht, es waren schließlich die Brandschutztüren, die der geplanten Eröffnung zum Verhängnis wurden.

Während nun alle Welt auf den neuen Flughafen blickt, sind Jürgen und seine Jungs ganz beim alten. Dort, wo die Boeings, Junckers und Beechcrafts einst die Triebwerke starteten, haben sie ihre Flagge, die Flagge des Deutschen Amateur-Radio-Clubs, gehisst. Sie knattert im Wind, während das Funkgerät zischt, pfeift und piepst. So ähnlich muss es auch geklungen haben, als der Tower von Tempelhof in Betrieb ging.

Ende der vierziger Jahre war das. Die Nationalsozialisten hatten das Abfertigungsgebäude geplant - 1,2 Kilometer lang, Beton gewordener Größenwahn. Eröffnet wurde das Bauwerk jedoch erst nach dem Krieg. Aus dem "Weltflughafen" der Nazis wurde der Tempelhof Central Airport der Amerikaner.

Die Spuren der Nationalsozialisten jedoch haben überdauert. Nostalgiker lassen sich durch die Gebäude des stillgelegten Flughafens führen, sie staunen über die Deckenstrahlungsheizung, irren durch den Lufthansa-Bunker, bewundern die Wandmalereien im Stile Wilhelm Buschs.

Auch Jürgen hat offenbar schon mal eine Führung mitgemacht. "Wir sitzen hier auf einem Keller", weiß er jedenfalls. Mit dem Auto könne man da fahren, so groß seien die Gewölbe. Es ist eine dieser Geschichten, wie sie viele Berliner erzählen können.

Berliner Pfaueninsel
:Königliche Mogelpackung

Adlige wollten zu Zeiten von Königin Luise auf der Pfaueninsel zurück zur Natur. Auch deshalb sind die Wände des Inselschlosses nicht so stabil, wie sie aussehen.

Für sie mag Tegel vielleicht der Airport mit den kürzesten Wegen, Schönefeld der mit den modernsten Gepäckbändern sein, doch der Flughafen mit Geschichte ist noch immer Tempelhof.

In Tempelhof fliegen nur noch Modellflugzeuge - oder Kite-Landboarder, die den Wind zum Abheben nutzen. (Foto: Getty Images)

Auf den etwa zwei Kilometer langen Rollfeldern zwischen Neukölln, Kreuzberg und Schöneberg landeten während der Berlin-Blockade die alliierten Flugzeuge im 90-Sekunden-Takt. Während des Anflugs warfen die Piloten an kleinen Fallschirmen befestigte Süßigkeiten ab. Der Mythos Rosinenbomber war geboren und mit ihm der Mythos Tempelhof.

Und doch war der Flughafen irgendwann zu alt, zu klein, zu laut. Das letzte Flugzeug hob offiziell am 31. Oktober 2008 ab, seither ist Tempelhof eine Brache, ein grüner Fleck auf dem Berliner Stadtplan. "Pampa mit Aussicht" nannte ihn der Tagesspiegel einmal, nur um hinterherzuschieben, dass "Weltstadtpampa" wohl angemessener wäre.

Erst im Mai 2010 öffnete der Berliner Senat die Weltstadtpampa für die Öffentlichkeit. Aus dem Tempelhofer Flughafen wurde die Tempelhofer Freiheit: ein mehr als 300 Hektar großer Park mitten in der Stadt - ein wenig chaotisch, ein bisschen cool, und wenn der Wind pfeift, auch etwas unfreundlich. Berlin eben.

"Die Böen sind echt Hurensöhne", sagt Heiner in Berliner Offenheit. Der Mittdreißiger ist einer von Dutzenden Kite-Landboardern, die Tag für Tag nach Tempelhof kommen. Sie schnallen sich umgebaute Skateboards an die Füße, spannen einen Drachen auf und lassen sich vom Wind über die ehemaligen Rollfelder ziehen. "Das ist saugeil, aber halt auch arschgefährlich", sagt Heiner.

Heute, schätzt er, peitscht der Wind mit mehr als 30 Knoten über die Flughafenbrache, also mit mehr als 60 Kilometern pro Stunde. Immer wieder heben Kiter ab, fliegen ein paar Meter durch die Luft und landen auf dem Asphalt. Wenn alles gut läuft. Keine zehn Meter weiter schlittert gerade wieder einer Kopf voran durchs Gras. Kein Wunder, einen "Sechzehner" habe der, sagt Heiner, also einen 16 Quadratmeter großen Drachen, "aber alles über zehn ist heute reiner Selbstmord".

Heiner selbst versucht es mit einem Neuner. Der Drachen steht über dem Rollfeld in der Luft, die Böen zerren daran, lassen ihn zappeln. Heiner lehnt sich nach hinten, stemmt sich gegen den Wind und weg ist er. Abgehoben.

Bis zu 50.000 Menschen kommen jedes Wochenende nach Tempelhof. Sie kiten, flanieren oder grillen. Auf dem Vorfeld des früheren Flughafens trifft Kreuzberg auf Neukölln, Alt auf Jung, Kiezgröße auf Zugereisten. Es ist einer der wenigen Orte Berlins, an dem man keine Autos hört. Viele Regeln gibt es nicht, nur an eine halten sich alle: Gegrillt wird im markiertem Bereich, als Berliner weiß man schließlich seit Kurzem, wozu missachtete Brandvorschriften führen können.

Stadtführung mit dem Fahrrad
:Wo Berlin "arm, aber sexy" ist

Abseits von Reichstag und Potsdamer Platz vermittelt eine geführte Fahrradtour Touristen ein anderes Bild der Stadt.

Sanft steigen die Rauchschwaden gen Himmel, es riecht nach Hammel und Hühnchen, Bierflaschen klirren. Man könnte glatt vergessen, das dies einst ein Airport war, wären da nicht die Trümmer, die Heckflossen und Flügelstücke abgestürzter Flugzeuge. Der Kubaner Jorge Aguerrevere hat aus ihnen eine Skulptur gebaut. Die zerbeulten Landeklappen bewegen sich, wenn man dagegen stößt, ein Blinklicht schickt Warnsignale, es ist der Humor eines Künstlers. "Missing Mission" heißt seine Skulptur.

Kleingärten auf dem Vorfeld runden das neue Idyll ab - doch wird es nicht von langer Dauer sein. (Foto: Getty Images)

Sie ist Teil eines Minigolfplatzes, eines der sogenannten Pionierprojekte auf dem alten Flugfeld. "Das ist Kunst, die man nutzen kann", erzählt Christoph Ernst. Er hatte die Idee für den künstlerischen Minigolfplatz. Er schwärmt von der Kunst, die als Transmitter diene, von der Verknüpfung "Ostblock, Westblock, alle Kontinente". Dann muss er kurz weg.

Denn begehbare Kunst ist zerstörbare Kunst. Es hakt an Bahn 17, "Restrisiko" heißt sie: Wenn man einlocht, schlagen aus einem Modell-Atomkraftwerk Flammen. Doch in Berlin klappt eben nicht immer alles, gerade erlischt das Feuer mal wieder nicht.

Es sind kleine Probleme, und über Berlins großes Problem, den geplanten Großflughafen, will der Künstler mit der grauen Wuschelfrisur eigentlich gar nicht reden. Er tut es dann aber doch: "Der ist Segen und Fluch zugleich", sagt er. Segen, weil durch ihn Tempelhof überhaupt erst geschlossen wurde. Fluch, weil er schuld sein könnte, dass Tempelhof doch wieder in Betrieb genommen wird. "Das weiß man in Berlin ja nie." Hier sei schließlich alles möglich. Ein Restrisiko bleibt.

Die Tempelhofer Freiheit ist Freiheit unter Vorbehalt. Bereits in wenigen Jahren soll der Park umgestaltet werden, zur Internationalen Gartenausstellung 2017 soll alles neu aussehen. Ein See ist geplant, teure Townhouses, sogar ein kleiner Berg.

1071 Meter hoch solle er sein, hatte der Architekt Jakob Tigges vorgeschlagen, mit Bergziegen und Bergseen. Es war ein Witz, doch er kam damit in die nächste Runde des Architektenwettbewerbs. Gewonnen hat das Konzept eines schottischen Planerbüros, mit einem nur 60 Meter hohen Hügel und einer Statue Alexander von Humboldts obendrauf.

Mit der Aussicht von Thomas Sicre ist es dann vorbei, sein Garten muss wohl den Apartmentblöcken weichen. Dabei hatte alles so schön angefangen: 2011 hatten einige Kiezbewohner am Rande des Flugfelds Hochbeete gebaut - aus alten Türen und Brettern aus dem Müll zimmerten sie ihre eigenen kleinen Gärten. Der 34-jährige Franzose Sicre folgte. Er hat sich aus einer alten Stoßstange und Teilen einer Bank ein Beet gestaltet, es erinnert irgendwie an ein Auto.

Immer wieder bleiben Spaziergänger davor stehen, sie schauen sich die Mangold-Pflänzchen auf dem Rücksitz an und lächeln, wenn sie den Salat entdecken, der aus dem Hintern eines Plastikhasen wächst. Ein "kleines Paradies" nennt der Künstler seinen Garten. Mittlerweile hat er Dutzende Nachbarn bekommen, aus vereinzelten Beeten ist ein Gemeinschaftsprojekt geworden.

Die Kleingärtner zahlen Miete, dafür dürfen sie anpflanzen und abhängen. Sicre kommt jeden Abend her, "für meinen buddhistischen Moment": wenn Himmel und Erde im Rot der Abendsonne ineinander fließen und dann womöglich auch noch ein Kitesurfer durchs Bild segelt. Dann kann er träumen. Von einem kleinen Paradies in einer großen Stadt, von einem Flughafen, der alle anderen in den Schatten stellt, von der Freiheit.

Auch die hat allerdings ihre Grenzen. Jeden Abend um halb zehn fährt ein Wachdienst vor, die Tempelhofer Freiheit wird geschlossen. Es herrscht Nachtflugverbot.

© SZ vom 16.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

125 Jahre Kurfürstendamm
:Von Berlins Prachtstraße zum "Buletten-Boulevard"

Während der Teilung Berlins war der Kurfürstendamm das künstliche Herz des Westteils, heute kämpft er um den Anschluss an alte Glanzzeiten.

Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: