Wulff-Rücktritt:Merkels dritter Versuch muss sitzen

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Die Kanzlerin hatte Pech mit ihren Präsidenten. Dass der eine nach sechs Jahren davonlief, ist ihr nicht anzulasten. Dass der andere nicht hielt, was sie sich vorstellte, ist dagegen auch ihr Problem. So etwas darf Merkel jetzt nicht mehr passieren.

Kurt Kister

Es ist an der Zeit, dass eine Frau Bundespräsidentin wird, und es wäre gut, wenn sie mindestens eine volle Amtszeit lang Deutschland angemessen und Respekt gebietend repräsentieren würde. Zwar ist die Affäre Wulff beileibe keine Staatskrise, aber dennoch reicht es jetzt mit Bundespräsidenten, die zu früh (Horst Köhler) oder zu spät (Christian Wulff) zurücktreten.

Wer reiht sich neben Wulff und Köhler in die Ahnengalerie im Haus der Geschichte in Bonn? (Foto: dpa)

Beide haben, wenn auch nur vorübergehend, mit den Umständen ihrer Rücktritte auch die Wertschätzung des Amtes in Teilen der Bevölkerung beeinträchtigt; allerdings sind Begriffe wie "beschädigen" oder gar "zerstören" in diesem Zusammenhang den Übertreibungen einer gelegentlich hyperventilierenden, schwätzenden Klasse geschuldet. Trotzdem: Köhler und Wulff waren, wenn auch in unterschiedlichem Sinne, dem Amte nicht gewachsen.

Die Schicksale zweier Personen aber bedeuten keineswegs, dass das Amt des Bundespräsidenten überflüssig ist - auch wenn manche Talkshow-Intellektuelle dies behaupten. Im Gegenteil: Ein Land, in dem der relative Wohlstand vieler keineswegs zu größerem Gemeinsinn geführt hat, braucht auch Institutionen, die nicht die Verschiedenheit widerspiegeln, sondern das Gemeinsame. Das Verfassungsgericht ist so eine Institution, und der Bundespräsident allemal.

Christian Wulff allerdings konnte, wie er in seiner durchaus berührenden Abschiedsrede sagte, diese Institution nicht mehr sein. Er hat in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident hundert Kleinigkeiten angehäuft, von denen fast jede einzelne für sich genommen eine Lächerlichkeit war. Allerdings waren unter ihnen auch ein paar Vorgänge, die bei einer unter Aufsicht eines CDU-geführten Justizministeriums stehenden Staatsanwaltschaft in Hannover jenen Anfangsverdacht weckten, der eine Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten erfordert hätte. Ein Mann, der sich in dieser Weise verdächtig gemacht hat, kann nicht mehr Bundespräsident sein.

Leben und sterben lassen

Wulff fehlte die Einsicht, dies rechtzeitig zu erkennen. Mehr noch: Ihm mangelt es offensichtlich an Bewusstsein dafür, was man in einem herausragenden öffentlichen Amt nicht tun darf, auch wenn es formell keinen Gesetzesbruch darstellt. Nein, so handeln nicht alle Politiker, nicht einmal viele, und auch keineswegs alle Ministerpräsidenten, selbst wenn sich Kurt Beck schnell mal von einem Spezi des geschassten Wulff-Sprechers Olaf Glaeseker nach Berlin fliegen ließ.

Wulffs Verhängnis war, dass solche Dinge auf Landesebene keine Folgen haben - da ist die Opposition behäbiger, die Presse freundlicher, und die Leute sind angenehmer. In der Bundespolitik aber, auf der großen, grell ausgeleuchteten Bühne, ist das anders. Da wird gewühlt, intrigiert, durchgestochen. Lobbyisten freuen sich darüber, wenn sie anderen Lobbyisten eins auswischen können; in jeder Partei finden sich Dutzende, die einem "völlig vertraulich" Tatsachen und noch lieber Gerüchte über Parteifreunde auftischen; Journalisten enthüllen mehr als Staatsanwälte, und manchmal auch Dinge, die nicht stimmen.

"Leben und leben lassen", wie das in alten Bonner Zeiten war (und noch in mancher Landeshauptstadt so ist), gilt nicht mehr. Das Motto des Konkurrenz-, aber auch des Wahrheitskampfes lautet, um mit James Bond zu sprechen: Live and let die.

Die wichtige Rolle der Medien in der Causa Wulff

Die Medien übrigens, vor allem die Printmedien, haben in der Angelegenheit Wulff im Großen und Ganzen jene Rolle gespielt, die sie spielen sollten: Es waren professionelle Journalisten, die jene hundert Kleinigkeiten, aber auch die paar sehr relevanten größeren Dinge herausgefunden und veröffentlicht haben. Gewiss, auch dabei gab es Fehler, Übertreibungen und Bizarrerien wie etwa einen Reime schmiedenden FAZ-Herausgeber oder die Vielzahl der posaunierenden Kollegen, die ein Bobbycar für 30 Silberlinge hielten und jeden Tag dreimal Wulffs Rücktritt forderten.

Ohne die manchmal auch in Sackgassen führende Recherche und durchaus auch das Räsonieren der Journalisten aber hätten die Kontrollmechanismen so versagt, wie sie über Jahre hinaus in Niedersachsen nicht funktioniert haben.

Angela Merkel hatte mit ihren Präsidenten Pech. Dass der eine, ein durchschnittlicher Amtsinhaber, nach sechs Jahren davonlief, ist ihr nicht anzulasten. Dass der andere nicht hielt, was sie sich bei seiner Auslobung vorzustellen beliebte, ist dagegen auch ein Problem Merkels.

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Die Kanzlerparteichefin hat zwar in Personalfragen nie freie Hand, weil sie Proporz, Parteiflügel und koalitionäre Erwägungen berücksichtigen muss. Aber sie neigt auch zu Problemberufungen, man denke nur an die als CDU-Generalsekretäre hintereinander ungeeigneten Ruprecht Polenz und Laurenz Meyer. So etwas, und leider auch so etwas wie Wulff, darf ihr jetzt nicht passieren. Der dritte Versuch muss sitzen.

Das Gegreine über die Politisierung der Kandidatenfindung fürs Bellevue ist Unsinn. Auch wenn der Präsident in der Amtsführung über den Parteien stehen sollte, ist das Präsidentenamt ein hochpolitisches, und in seiner jeweiligen Besetzung natürlich auch Ausdruck der Verhältnisse im Land. Gustav Heinemann stand auch für die sozial-liberale Koalition und Richard von Weizsäcker für den Wechsel zu Kohls Schwarz-Gelb. Beide waren gute Bundespräsidenten. Ein unpolitischer Präsident wäre eine Gefahr, und ein überparteilicher Präsident muss trotzdem Standpunkte haben, die man in aller Regel auf dem Weg in so ein Amt in einem politischen Lager entwickelt.

Trotzdem, und das hat Merkel richtig erkannt, ist es nun Zeit für einen von vornherein respektierten, nicht polarisierenden Präsidenten. Sollten sich Union, SPD, FDP und Grüne auf einen Konsenskandidaten (oder eine -kandidatin) einigen, wäre das fein. In Merkels Sinn muss es im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 liegen, mindestens die SPD bei der Präsidentenwahl nicht zu sehr zu verärgern. Für die CDU nämlich gibt es außer einer großen Koalition derzeit keine realistische Machtperspektive für 2013 ff.

Unerwartetes ist möglich

Nun kann man sagen, solche parteipolitischen Überlegungen dürften keine Rolle spielen bei der Suche nach Kandidaten. Sie werden es aber, weil die Bundesversammlung ein politisches Gremium ist, das nach Wahlergebnissen besetzt ist. Sicher, Unerwartetes ist möglich, zumal jetzt nach dem zweiten Präsidentenrücktritt. Es gibt zum Beispiel Geraune über den Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle (jung, nicht sehr bekannt, aber von Merkel geschätzt und bei der SPD sehr gelitten) oder den CDU-Öko-Veteranen Klaus Töpfer (populär, aber ziemlich alt, nahezu überparteilich). Minister aus dem Kabinett Merkel wären eher nicht konsensfähig; dann noch eher der soignierte Herr Steinmeier von der SPD.

Notabene, eine Frau, erfahren, unbestechlich, hochpolitisch, gäbe es ja. Sie heißt Angela Merkel und regiert jetzt schon, als wäre sie auch Präsidentin. Es wird nicht so kommen, aber eine Bundespräsidentin Merkel, die im März das Kabinett unter Kanzler Thomas de Maizière empfängt - das hätte was.

© SZ vom 18.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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