Wahl in Ungarn:Rechtsextreme schaffen Europas Pulverfass

In der Krise wählt Ungarn rechts - jeder Sechste stimmt für die Ultras der Jobbik-Partei. Das Land wird nicht zur Ruhe kommen. Europa ist besorgt.

Matthias Kolb

Streng und seriös präsentiert sich Gábor Vona im Wahlkampfvideo. Im weißen Hemd und schwarzen Jackett steht der 31-Jährige da, im Hintergrund sind die rot-weiß-grünen Farben Ungarns zu sehen. "Die letzten beiden Jahrzehnte haben uns nichts als Korruption, Verbrechen und Armut beschert", verkündet der Chef der rechtsextremen Partei Jobbik. Natürlich könnten seine Landsleute für die alten Parteien stimmen, aber sie könnten auch einen "radikalen Wechsel" einleiten - und für "ein besseres Ungarn" stimmen.

Diese Botschaft wirkte bei vielen Ungarn: Die Ultra-Partei Jobbik (Jobboldali Ifjúsági Közösség - Jobbik Magyarországért Mozgalom, zu Deutsch: Gemeinschaft von rechtsgerichteten Jugendlichen - Bewegung für ein besseres Ungarn) hat bei der ersten Runde der Parlamentswahl 16,8 Prozent der Stimmen erhalten. Überlegener Sieger ist Ex-Premier Viktor Orbán von der nationalkonservativen Fidesz-Partei, die auf gut 52 Prozent der Stimmen kam.

Für Kai-Olaf Lang, Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, kommt das Ergebnis nicht überraschend: "Es war ein Plebiszit gegen die sozialistische Regierung." Die MSZP, die acht Jahre den Regierungschef stellte, stürzte von 43 auf 19 Prozent ab. Im Gespräch mit sueddeutsche.de sieht Lang in der Wahl den Wunsch der Ungarn nach einem Generationswechsel.

Dies zeige sich durch den Einzug der grün angehauchten LMP ("Eine andere Politik ist möglich") ins Parlament - sowie vor allem das Ergebnis der rechtsextremen Jobbik. Diese habe besonders im Osten des Landes, wo viele Sinti und Roma leben, gut abgeschnitten. Allerdings habe Jobbik auch ehemalige Anhänger der Sozialisten für sich gewinnen können und wirkte gerade auf junge Wähler anziehend.

Experte Lang, der seit Jahren über Populismus in Osteuropa forscht, rechnet nicht damit, dass sich die "besseren Ungarn" schnell entzaubern. Zwar könne es innerhalb der Fraktion zu Abspaltungen und Streit kommen, doch die Partei wirke stabil: "Jobbik hat im ganzen Land Strukturen aufgebaut. Sie könnte sich ähnlich wie die Slowakische Nationalpartei im Nachbarland langfristig als politische Kraft im Parlament etablieren."

Die effizienten Strukturen sind nur ein Erfolgsfaktor: Jobbik profitierte von den Fehlern einer inkompetenten Regierung, der in Folge der Wirtschaftskrise gestiegenen Arbeitslosigkeit und von einer aufgeheizten Stimmung in Ungarn.

Viktor Orbán, der künftige Premier, erkannte 2002 seine Wahlniederlage nicht an und zeigte offen, wie wenig er vom Parlamentarismus hält. Obwohl er acht Jahre lang die Opposition anführte, weigerte sich Orbán in manchen Jahren, sich im Plenum des Parlaments zu äußern oder auch nur zu erscheinen. So wollte er die Regierung als staatsgefährdendes Kartell darstellen und ihr die Legitimation absprechen.

Nach seinem knappen Wahlsieg 2006 bekannte der damalige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany in einer internen Sitzung offen vor seinen Abgeordneten: Man habe die Bürger über die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes belogen und in der bisherigen Regierungszeit nichts Konstruktives geleistet. Ein Mitschnitt des Auftritts wurde den Medien zugespielt - wochenlang war die "Lügenrede" das einzige Thema in Ungarn. Im Herbst 2006 kam es zu Straßenschlachten, das politische Klima vergiftete sich weiter.

In dieser erhitzten Stimmung positionierte sich Jobbik als neue politische Kraft. Die Führungsspitze um den jungen Gabor Vona, einen Geschichtslehrer, setzt dabei offen auf den tiefsitzenden Frust und spielt mit den Vorurteilen. Man werde endlich die "Zigeunerkriminalität" bekämpfen und verhindern, dass Juden die ungarische Heimat zu einer israelischen Kolonie machten. Daneben attackieren sie ausländische Banken und Investoren - es dürfe nicht sein, dass "Gewinne privatisiert und Schäden sozialisiert" würden. Dies führe dazu, dass junge, anständige Ungarn keine Familien gründen könnten.

Trauma von Trianon

Allerdings warnt Kai-Olaf Lang davor, alle Ungarn als fremdenfeindlich zu brandmarken. Der Antisemitismus der dreißiger und vierziger Jahre wurde in der Zeit des Kalten Krieges nie aufgearbeitet - auch deshalb finden Nationalismus und autoritäres Denken eine so große Beachtung.

Hinzu kommt das Trauma von Trianon, auf das Jobbik immer wieder anspielt: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im französischen Lustschloss Trianon ein Vertrag unterzeichnet, durch den Ungarn zwei Drittel seines Territoriums und 3,2 Millionen ethnische Magyaren verlor. Jobbik-Politiker posieren gern neben einer Karte von "Großungarn" und bei Veranstaltungen krakeelen junge Sympathisanten gern "Nem, nem, soha!" - zu Deutsch "nein, nein, niemals."

Die Fixierung auf die Geschichte verdeutlicht die 2007 gegründete Ungarische Garde, deren schwarze Uniformen und rot-weißen Halstücher auf erschreckende Weise an die faschistischen Pfeilkreuzler erinnern - diese halfen den Nationalsozialisten einst bei der Deportation der Juden. Dass die Miliz, die bei Jobbik-Veranstaltungen oft als Saalschutz agiert und von Parteichef Vona mitgegründet wurde, 2008 verboten wurde, hat keine Folgen: Unter dem Namen Neue Ungarische Garde marschieren ihre Mitglieder einfach weiter - besonders gern durch Romaviertel.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Viktor Orbán das Land umbauen könnte und wieso die politische Kultur in Ungarn so verroht ist.

Auswirkungen auf Europa

Doch auch die Fidesz von Viktor Orbán spielt gern mit der für viele Ungarn traumatischen Erinnerung an den Trianon-Vertrag. Laut dem Experten Lang gibt es Hinweise, dass Fidesz für Auslandsungarn die doppelte Staatsbürgerschaft ohne Wahlrecht einführen könnte. Dies könnte das Verhältnis zu den Nachbarn, allen voran zur Slowakei, verschlechtern.

Zudem jährt sich im Juni der Trianon-Vertrag zum 90. Mal, was sich die Hetzer von Jobbik sicher nicht für ihre Propaganda entgehen lassen werden. In dieser Zeit geht der Wahlkampf in der Slowakei in die Schlussphase, wo oft über die Rolle der ungarischen Minderheit gestritten wird.

Fidesz-Chef Viktor Orbán schreckt nicht vor starken Worten zurück. Vor jubelnden Anhängern erklärte er am Wahlabend: "Mit jeder Faser spüre ich, dass ich vor der größten Aufgabe meines Lebens stehe." Der 46-Jährige muss eine doppelte Herausforderung bewältigen: Er darf sich nicht von der rechtsextremen Jobbik die Agenda diktieren lassen und muss zugleich das Land aus der Krise führen. Beobachter Lang rechnet damit, dass diese Herkulesaufgabe gerade in den ersten beiden Jahre volle Aufmerksamkeit erfordert. "Wenn der Aufschwung nicht einsetzt, dann könnte Orban sich zur Ablenkung andere Themen wie die Rolle der Auslandsungarn suchen."

Orbán sagte in einer Rede, es sei sein langfristiges Ziel, das Duopol der Parteien zu überwinden und eine Herrschaft der Fisdesz für 15 bis 20 Jahren zu erreichen. Die politische Diskussion wird als kontraproduktiv eingeschätzt. Orban ist laut Lang kein Antidemokrat, sondern ein Anhänger der Mehrheitsdemokratie: "Diese Politiker argumentieren: Wir haben die Mehrheit bekommen, deswegen können wir das Land nach unseren Ideen umbauen."

Gespalten in zwei Lager

Eine Besonderheit der ungarischen Demokratie ist eine extreme Lagerbildung, die das Land in den letzten Jahren in zwei Blöcke gespalten und Diskussionen inner- und außerhalb des Parlaments nahezu unmöglich gemacht haben. Nicht mal in der schweren Wirtschaftskrise habe es einen Schulterschluss gegeben - die Fidesz wollte ihren Wahlsieg nicht gefährden.

Ungarn-Kenner Lang urteilt deshalb: "Die Stärke der einen ist die Schwäche der anderen." In diesem Raum konnte sich Jobbik prächtig entwickeln.

Auch andere Experten beschreiben die politische Kultur in Ungarn illusionslos: "Die politische Sprache ist verlottert, die politischen Eliten sind korrupt und visionslos. Die Vorstöße der Jobbik und der Ungarischen Garde erobern einen abgenutzten politischen Diskurs", so Gregor Mayer und Bernhard Odehnal in ihrem ebenso erschreckenden wie lesenswerten Buch Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa (Residenz Verlag 2010). Die österreichischen Journalisten haben den Aufstieg der Rechtsextremen in Ungarn verfolgt und kommen zu dem Schluss: "Ihre neue Sprache, ihre kalkulierten Tabubrüche und ihre aggressive Mobilisierung werden mit Gleichgültigkeit und Wegschauen quittiert."

Wachsames Europa

Es sind eher die ausländischen Beobachter, die entsetzt aufschreien, wenn etwa Jobbik-Chef Vona den Politikern der anderen Parteien androht, sie würden die ungarischen "Wellness-Gefängnisse" bald von innen sehen. Auf der Straße ertönt dann der passende Slogan "20 Jahre (Haft) für 20 Jahre".

Der bekannte Kulturtheoretiker László Földenyi sagte jüngst in einem Interview: "Die Menschen in Ungarn sind frustriert und haben das Vertrauen in das Mehrparteiensystem verloren - also den Glauben an die Demokratie." Der Intellektuelle hält sein Land für "ein Pulverfass in Europa".

Auf der Ebene der Europäischen Union erwartet Lang von einem rechtskonservativen Ungarn wenig Veränderungen: "Budapest übernimmt im Januar 2011 die EU-Ratspräsidentschaft und wird versuchen, dies ohne große Schnitzer über die Runden zu bringen." Allerdings werden die internationalen Medien und EU-Partner sehr genau beobachten, was in Ungarn, jenem mitteleuropäischen Schlüsselstaat, passiert.

Das ist vielleicht das einzig Positive am erschreckend guten Abschneiden der rechten Hetzer von Jobbik.

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