Wahl in Mecklenburg-Vorpommern:Wenn die Horrorvision der FDP Wirklichkeit wird

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Die Liberalen erleben bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ein Desaster: Sie verlieren massiv, scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde - und werden sogar noch von der NPD überholt. Bestätigt sieht sich hingegen die regierende SPD, sie ist neben den Grünen klarer Wahlsieger: Ministerpräsident Erwin Sellering hat mehrere Machtoptionen.

Ralf Wiegand, Schwerin

Vermutlich sechs Abgeordnete werden die Grünen, die Wahlsieger von Schwerin, ins Parlament von Mecklenburg-Vorpommern schicken, und es steht wohl auch schon seit Sonntagabend fest, welche Räume sie im Schloss beziehen werden. Sie liegen im vierten Stock; in Raum R 473 wird die Geschäftsstelle der Fraktion angesiedelt sein, in R 465 werden die Sitzungen der Grünen-Abgeordneten stattfinden. So zumindest hatte die FDP diese Zimmer genutzt, die sie jetzt nach einem Wahldebakel sondergleichen wieder räumen muss.

Krachende Niederlage bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die FDP-Führung wird sich viele kritische Fragen gefallen lassen müssen - und ist in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren. (Foto: dapd)

Der Ringtausch zwischen den Grünen, die erstmals im Nordosten den Sprung ins Parlament geschafft haben und den Liberalen, die mit weniger als drei Prozent auf das Niveau einer Sonstigen-Partei abstürzten, bestimmten neben dem Wiedereinzug der NPD ins Parlament den Wahlabend in Mecklenburg-Vorpommern.

Die FDP hatte sich ein Lokal in der Nähe des Schweriner Schlosses ausgesucht für das, was man gewöhnlich Wahlparty nennt. Von dort hatten sie den Sehnsuchtsort im Blick, das Parlament hinter historischen Mauern. Dass es eng werden würde für die FDP war angesichts einer Reihe vorangegangener Wahlniederlagen, dem Trend also, klar. Aber dass das Polster von 9,6 Prozent, die sie vor fünf Jahren bekommen hatten, nicht reichen würde, das war eine Horrorvision. Die Wahrheit wurde noch schlimmer.

"Peinlich für unsere Partei" wäre es, hinter der NPD zu landen, hatte Spitzenkandidat Gino Leonhard zuvor geunkt, und nun trat genau das ein: nicht einmal drei Prozent für die FDP, weit hinter den Rechtsextremen, die den Wiedereinzug ins Parlament sicher geschafft haben.

Dafür, dass die Demoskopen nach stets klaren Umfragen eine eher langweilige Wahl angekündigt hatten, war viel los in Schwerin. Die SPD steuerte von der Prognose weg einem klaren Wahlsieg entgegen - sie kann sich jetzt aussuchen, ob sie mit CDU oder den Linken die nächste Regierung bilden wird. Die CDU wurde innerhalb der großen Koalition offenbar marginalisiert. Sie verlor mehr als fünf Prozentpunkte und fuhr ihr historisch bislang schwächstes Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern ein.

Bleibt die NPD. Obwohl sie im Landtag - außer durch eine stattliche Sammlung von Zwischenrufen und Ungezogenheiten bei Gedenktagen - nicht weiter in Erscheinung getreten ist, und obwohl sich die Intellektuellen des Landes mit einer bundesweit einmaligen Anstrengung am Wahlwochenende gegen rechts zu Wort gemeldet hatten, gelang der NPD der Wiedereinzug ins Parlament.

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868.400 Exemplare einer kostenlosen Sonderzeitung waren am Samstag im ganzen Land verteilt worden, initiiert vom überparteilichen Bündnis "Wir. Erfolg braucht Vielfalt", unterstützt von drei großen Verlagen und getragen von der Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD). Mecklenburg-Vorpommern lebt jedes Jahr ein bisschen besser vom Tourismus; eine weltoffene, tolerante Gesellschaft ist der bessere Gastgeber.

Künstler, Politiker und Prominente kämpften für diese tolerante Gesellschaft - und ein Parlament ohne NPD. Doch die Hochrechnungen sahen die Nationalisten um Udo Pastörs bei deutlich über fünf Prozent. Sie verloren zwar Tausende Stimmen, aber die um sechs Prozentpunkte gesunkene Wahlbeteiligung half ihnen.

So haben alle demokratischen Parteien ein bisschen verloren, niemand aber so wie die FDP. Nicht einmal von den Verlusten der CDU konnte die FDP profitieren. Der Landesvorsitzende Christian Ahrendt trat noch am Abend zurück.

Politik machen also die anderen - nur wer mit wem? CDU-Spitzenkandidat und Innenminister Lorenz Caffier hatte bei der Stimmabgabe noch einmal darüber geklagt, dass Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sich nicht zu einer Fortsetzung der großen Koalition bekannt hatte. "Man muss vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl macht", sagte Caffier beleidigt.

Sellering aber kann nun mit der CDU oder den Linken eine Regierung bilden - und mit allen verhandeln. "Vergesst nicht, welches tiefe Tal das war", sagte der Ministerpräsident in den Jubel des Parteivolks hinein. 16,6 Prozent hatte die SPD bei der Bundestagswahl 2009 hier bekommen.

Das Leiden der FDP aber wird lange nachwirken, mindestens bis 18. September. Dann erst wird auf Rügen (Wahlkreis Rügen I) gewählt, wo wegen des Todes eines Direktkandidaten die Verschiebung nötig geworden war. Bis dahin dürften die Zimmer 473 und 465 schon neu gestrichen sein.

© SZ vom 05.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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